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Kampf fürs freie Österreich

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Vor 50 Jahren: Parade des 1. Osterreichischen Freiwilligen-Bataillons in Innsbruck, das vor Kriegsende in der Französischen Armee aufgestellt wurde.

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Vor 50 Jahren: Parade des 1. Osterreichischen Freiwilligen-Bataillons in Innsbruck, das vor Kriegsende in der Französischen Armee aufgestellt wurde.

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Die Angehörigen des Bataillons waren ehemalige Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die bereit waren, für die Befreiung Österreichs vom NS-Begime noch einmal die Waffen zu ergreifen. Vor 50 Jahren kehrten auch jene österreichischen Politiker aus der Emigration zurück, die unter der Führung des ehemaligen Ministers Hans Bott bis zuletzt unermüdlich bestrebt waren, für die Befreiung Österreichs einen effizienten Beitrag zu leisten. Vor allem deshalb, weil die Moskauer Deklaration das Nachkriegsschicksal Österreichs davon abhängig machte, wieviel Österreich selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben werde.

Die Geschichte des Ersten Österreichischen Freiwilligen-Bataillons von 1943 bis 1945 steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der politischen österreichischen Emigration von 1938 bis 1945. Ein Kapitel, das in den Annalen der österreichischen Zeitgeschichte fehlt und einer Aufzeichnung durchaus würdig, aber auch sinnvoll gewesen wäre. Sinnvoll deshalb, weil man aus der Geschichte auch lernen kann.

Zur Frage des innerösterreichischen Widerstandes auf dem militärischen Sektor bemerkte der Militärhistoriker Allmayer-Beck: „Als die österreichische Begie-rung bald nach Kriegsende ein Rot-weiß-rot-Buch über den österreichischen Widerstand präsentierte, haben dies die Sowjets damals mit einem eher müden Lächeln zur Kenntnis genommen. Und seitdem ist es - ungeachtet der Unmengen bedruckten Papiers - kaum gelungen, die Effizienz des innerösterreichischen Widerstandes sehr viel eindrucksvoller darzulegen. Und doch wäre es möglich gewesen, einen effizienten und vor allem zielführenden österreichischen Widerstand, auch auf militärischem Sektor, aufzubauen und erfolgreich durchzuführen. Voraussetzungen dafür: politische Handlungsfreiheit und ein entsprechendes Betätigungsfeld außerhalb des nationalsozialistischen Machtbereiches. Etwa in den demokratischen Ländern der Westalliierten. Ein solches Betätigungsfeld bot sich Österreichern im französischen Protektorat Tunesien an. Und zwar nach der Kapitulation der Heeresgruppe Afrika und des deutschen Afrikakorps Anfang Mai 1943. Warum gerade in Tunesien?

Anfang November 1942 landeten anglo-amerikanische Einheiten in Nordwestafrika bei Casablanca. Sie beabsichtigten in Tunesien eine Front zu eröffnen, um das in Libyen in schweren Bückzugsgefechten befindliche Afrikakorps auch vom Westen her anzugreifen und zu vernichten. Wenige Tage nach der Landung der Alliierten starteten deutsche Militärs blitzartig ein riskantes Unternehmen. Die Bildung eines Brückenkopfes in Tunesien, um den Bückzug des Afrikakorps zu decken. Auf italienischen Kriegsschiffen, Fähren und in Transportflugzeugen wurden in Eile zusammengezogene Eliteeinheiten der Wehrmacht auf den neuralgischen Punkt des nordafrikanischen Kriegsschauplatzes gebracht. Sie kamen gerade noch zurecht, einen massiven amerikanischen Panzerangriff vor den Toren Tunis zurückzuschlagen. Ich selbst kam im Dezember 1942 mit meiner Einheit, dem Grenadierregiment 755, auf einem italienischen Zerstörer nach Nordafrika.

Es gelang den Achsenmächten, einen erweiterten Brückenkopf Tunesien zu bilden und die Lage einigermaßen zu stabilisieren. Unmittelbar vor ihrer letzten Großoffensive schössen die Angloamerikaner die Stellungen der Verteidiger des Brückenkopfes mit einem verheerenden Trommelfeuer sturmreif. Die Deutschen wehrten sich mit ihren italienischen Verbündeten, auf engstem Raum zusammengedrängt, mit dem Rücken zum Meer. Am 12. Mai 1943 gab das deutsche Afrikakorps seinen letzten Funkspruch durch: „Munition verschossen, Waffen und Kriegsgerät zerstört. Das Deutsche Afrikakorps hat sich befehlsgemäß bis zur Kampfunfähigkeit geschlagen ..."

Rund 130.000 Deutsche gerieten in Gefangenschaft. Unter ihnen verhältnismäßig viele Österreicher, die im Verlaufe ihrer Gefangenschaft in alle Winde verstreut wurden. Man traf sie in Lagern in den USA, in Großbritannien, in Tunesien, in Algerien und in Marokko. Ich geriet am 8. Mai 1943 in englische Gefangenschaft und landete schließlich in einem französischen Kriegsgefangenenlager in Marokko am Rande der Sahara. Dort konnte ich die ersten Österreicher für eine österreichische Legion gewinnen. Ungefähr zu jener Zeit, als in Amerika das 101. österreichische Infanteriebataillon, das Symbol einer österreichischen Legion, bald nach seiner Aufstellung, nach wütenden Protesten österreichischer sozialdemokratischer Exilpolitiker, wieder aufgelöst wurde, meldeten sich in Nordafrika Anfang Mai 1943 die ersten Österreicher, in Gefangenschaft geratene Soldaten der Deutschen Wehrmacht, bei den Westalliierten in die österreichische Legion. Sie waren überzeugt, daß ihre Landsleute in der politischen Emigration in England oder in Amerika eine Exilregierung gebildet und eine österreichische Legion aufgestellt hatten. So wie dies bei den Emigrationspolitikern all jener Staaten der Fall war, die von der Expansionspolitik des Dritten Reiches betroffen waren. Auch in Nordafrika bestätigte sich das Charakteristikum des österreichischen Widerstandes: Der Ansporn kam nicht von oben, sondern von unten.

Das „Rassamblement de troupes", die Sammlung der Österreicher in Nordafrika, ist vor allem der Initiative von zwei einfachen Soldaten zu verdanken. Einem Infanteristen vom Grenadierregiment 755, der in Marokko eine österreichische Kompanie aufstellte und einem Pionier von der Division 999, der in Tunesien die ersten Österreicher für eine österreichische Legion gewinnen konnte.

Jeder Österreicher, der sich in einem deutschen Kriegsgefangenenlager zu einem freien Österreich bekannte, ging ein beträchtliches Risiko ein. In vielen Lagern zogen fanatische Nationalsozialisten Überwachungsdienste auf, stellten Rollkommandos zusammen und bildeten Femegerichte. Nicht selten wurden brutal zusammengeschlagene Österreicher schwerverletzt aus deutschen Lagern in Österreicherlager gebracht. Im Unteroffizierslager Ksar es Souk in Marokko verurteilte ein Femegericht der „Lager-Gestapo" zwei Österreicher wegen Hochverrats zum Tode. Die Urteile wurden durch Ertränken in einem Faß mit gelöschtem Kalk und durch Erhängen im Latrinenbereich vollstreckt und als Selbstmord getarnt.

Im Sommer 1943 meldete sich eine größere Zahl österreichischer Kriegsgefangener auf der alliierten Kom-mandatur in Tunis zur österreichischen Legion, um im Verbände der Westalliierten für die Befreiung ihrer Heimat zu kämpfen. Die dort anwesenden amerikanischen, englischen und französischen Offiziere ließen die Österreicher wissen, daß weder eine österreichische Exilregierung noch eine Ijegion bestünde. Darauf reklamierte der Führer der Gruppe, jener Pionier von 999, vor dem ranghöchsten Offizier, für sich die Kompetenz eines Vertreters einer österreichischen Exilregierung. Nach eingehender Beratung versprachen die alliierten Offiziere, sich für die Aufstellung einer österreichischen militärischen Einheit bei ihren vorgesetzten Dienststellen einzusetzen.

Wenige Wochen nach dem Gespräch auf der alliierten Kommandantur in Tunis wurde der Führer der österreichischen Gruppe von einem Bollkommando fanatischer Nationalsozialisten in einem deutschen Kriegsgefangenenlager, wo er für die österreichische Legion Freiwillige warb, eines Nachts überfallen, zusammengeschlagen und dabei lebensgefährlich verletzt. Sein Gesicht war eine furchtbar entstellte blutige Masse. Der deutsche Lagerarzt verweigerte jede Erste-Hilfe-Leistung.Erst am frühen Mor-.gen holte ihn ein Krankenwagen ab. Der französische General Juin besuchte den schwerverletzten Österreicher im Lazarett und versprach, sich für die österreichische Sache zu engagieren. Er hielt sein Wort.

Im ersten österreichischen Sammellager „Camp Morand", etwa 200 Kilometer südlich von Algier, trafen im Verlauf des Jahres 1944 immer mehr Österreicher ein. Sie kamen aus deutschen Kriegsgefangenenlagern in Tunesien, Algerien und Marokko. Sie kamen direkt vom italienischen Kriegsschauplatz und den Schlachtfeldern Frankreichs. Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die sich zu Österreich bekannten und auch bereit waren, für ein freies Österreich noch einmal die Waffen zu ergreifen. Ich kam mit meiner Kompanie, die ich in Marokko aufgestellt hatte, nach einem kurzen Gastspiel bei der Fremdenlegion, in das Lager. Dort übernahm ich die neuaufgestellte „Jugendkompanie".

Ende 1944 standen im zweiten österreichischen Sammellager, Camp Suzzoni, in der Nähe von Camp Morand, drei österreichische Bataillone, etwa 1.200 Mann, „Gewehr bei Fuß". Sie konnten nicht wissen, daß österreichische Politiker in der Emigration an der Wiederherstellung eines freien Österreich nicht interessiert waren. Man schlug gewissermaßen den eigenen Soldaten die Waffen aus der Hand, wie im März 1938.

Eine österreichische Exilregierung hätte über eine kampferprobte militärische Einheit ehemaliger Soldaten der Deutschen Wehrmacht verfügen können, die sich an allen Fronten des Zweiten Weltkrieges schlugen. Außerdem dienten etwa 2.000 Österreicher in der französischen Fremdenlegion, die ebenfalls verfügbar gewesen wären. Die Franzosen in Nordafrika standen zwar den Bestrebungen der Österreicher, für die Befreiung ihrer Heimat einen militärischen Beitrag zu leisten, immer positiv gegenüber. Da sie aber zunächst noch selbst im Kampf um die Befreiung ihres eigenen Landes standen, wollten oder konnten sie den alliierten Entscheidungen nicht vorgreifen.

Erst als die Existenz der von Kommunisten organisierten, geschulten und geführten österreichischen Freiwilligen-Bataillone bei den Partisanenverbänden Titos bekannt wurde, entschied De Gaulle, daß auch eine österreichische militärische Einheit innerhalb der französischen Armee aufgestellt werde: Das Erste Österreichische Freiwilligen-Bataillon im Verbände der Westalliierten.

Kurz vor Kriegsende wurde das Erste Österreichische Freiwilligen-Bataillon von Camp Suzzoni nach Europa in Marsch gesetzt. In Biom, bei Clermont Ferrand, erfolgte die Aufstockung der österreichischen Einheit auf etwa 600 Mann. Nach entsprechender Ausrüstung löste das Bataillon eine marokkanische Einheit in Süddeutschland ab. Anschließend bezog das Bataillon Garnisonen in Tirol und Vorarlberg.

Am 10. Oktober 1945 fand auf dem Bennweg in Innsbruck vor dem Höchstkommandierenden der französischen Besatzungszone in Österreich, General Bethouard, und den Vertretern der österreichischen Behörden, die Parade des Ersten Österreichischen Freiwilligen-Bataillons statt. Das Defilee eröffneten französische Einheiten der Garnison. Nach den Franzosen näherte sich der graue Marschblock des österreichischen Bataillons der Ehrentribüne: in österreichischen Uniformen, im traditionellen Paradeschritt der Alten Armee, den das österreichische Bundesheer nach 1918 übernommen hatte.

Die Freiwilligen des Bataillons hofften, die Basis und den Kern der künftigen Armee des freien Österreich zu bilden. Zurecht, denn sie sind einst angetreten für die Wiederherstellung eines demokratischen Österreich. Ihre Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Völlig unerwartet erfolgte Anfang 1946, auf Anordnung des Interalliierten Rates in Wien, vor allem auf Betreiben der Russen, die Auflösung des Bataillons.

Der Autor,

Regierungsrat, ist Kulturreferent im Bundesministerium für Finanzen.

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