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Krise im Fremdenverkehr

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Die heutige Festnummer der „Furche“ aus Anlaß ihres 15jährigen Bestandes mag es in ihrer Betrachtung der „Wirtschaft an der Jahreswende“ zweckmäßig erscheinen lassen, auch das Kapitel Fremdenverkehr aufzuschlagen und sich Rechenschaft über das Erreichte wie auch über das zu Erreichende abzulegen.

Die Geschichte des österreichischen Fremdenverkehrs beginnt etwa in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und stellt bereits einen recht ansehnlichen Band österreichischer Wirtschaftsgeschichte, aber auch österreichischer Kulturgeschichte und nicht zuletzt österreichischer Sozialgeschichte dar. Gerade die soziologischen Veränderungen in diesem Zeitraum von hundert Jahren haben zur Entwicklung und Formung dessen, was man als Fremdenverkehr bezeichnet, sehr entscheidend beigetragen. Selbst wenn wir unsere heutige Betrachtung auf jenes Kapitel beschränken, welches als die Epoche des Fremdenverkehrs nach dem zweiten Weltkrieg zu bezeichnen wäre, können wir feststellen, daß mit der Beschleunigung der wirtschaftlichen, soziologischen und politischen Strukturveränderung auch die Formen, die Richtung und die Intensität jener friedlichen Völkerwanderung ständigen Wandlungen unterworfen sind.

1945: Noch lag das Grauen über der Welt, wenn auch der Waffenlärm verstummt war. Niemand mochte daran denken, wie der Wiederaufbau des individuellen Lebens nach einer solchen Welle der Vernichtung vor sich gehen werde. Die ersten Pulsschläge des wiedererwachten Lebens schienen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu erhöhen. Symptome der Verschuldung, bedingt durch lebensnotwendigen Bedarf, jedoch Fehlen der eigenen Produktion, zeigten sich. An Reisen wagte überhaupt niemand zu denken. Die Hotelbetriebe waren zerstört, zweckentfremdet oder verwaist.

1946: Die Situation in Europa wurde im Winter 1946 alarmierend. Nahrungsmittelmangel, Mangel an Rohstoffen, Preissteigerungen, inflationistische Gefahrenmomente und eine durch Einfuhr lebenswichtiger Güter immer passiver werdende Gesamtzahlungsbilanz gegenüber den Vereinigten Staaten kennzeichnen die Lage.

1947: Staatssekretär im Department of Commerce, George C. Marshall, entwickelte am 5. Juni 1947 an der Harvard University seine Ideen und Pläne zur Hilfe an Europa.

Vom 13. Juli bis 22. September 1947 fand in Paris die „Konferenz der 16“ statt, in der Art .und Dauer der Hilfe von außen festgelegt sowie eine Bilanz des Vorhandenen aufgestellt wurde.

1948: Konstituierung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECE), in deren Verband sich am 18. Juni 1948 die europäische Fremdenverkehrskommission bildete. Von da ab wurde der Fremdenverkehr in die Pläne der europäischen Zusammenarbeit und des europäischen Wiederaufbaues einbezogen und als ausgezeichnetes Mittel erkannt, die Zahlungsbilanz Europas gegenüber der Dollarzone zu entlasten.

1949: Am 17. Februar dieses Jahres schuf der Rat der Minister innerhalb der OECE ein eigenes, ständiges, allen Mitgliedstaaten offenes „Fremdenverkehrskomitee“, dessen Kompetenz wie folgt umschrieben wurde:

..... developpement du tourisme dans le cadre du Programme de relevement europeen, notamment en vue d'augmenter les ressources en dollars dont la plupart des pays Membres de l'OECE etaient demunis.“

Mit der Einbeziehung des Fremdenverkehrs in das europäische Programm war auch die Initiative zur Fremdenverkehrsentwicklung und -för-deiung in den einzelnen Staaten wieder geweckt worden. Auch Österreich baute, wenngleich zunächst nur mit bescheidenen Mitteln, seinen Apparat zur Förderung des Fremdenverkehrs aus, und Hand in Hand damit wurden auch Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm im Rahmen der Marshall-Plan-Hilfe für die Instandsetzung der Fremdenverkehrseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Wurde von der einen Seite somit der Leistungsapparat innerhalb der Fremdenverkehrswirtschaft wiederaufgebaut, so konnte anderseits auch damit für den Besuch Österreichs in aller Welt geworben werden. Die Anfänge waren schwierig, und Österreich war dabei in sehr starkem Maße auf die uneigennützige Hilfe und Bereitschaft von Freunden und im Ausland lebenden ehemaligen Österreichern angewiesen, denen in dieser historischen Rückschau aufrichtig zu danken ist. Eine Tabelle der Ausländernächtigungen in Österreich von 1948 bis 1960 und die mit diesen Nächtigungen verbundenen touristischen Deviseneingänge bei der Österreichischen Nationalbank zeigen eine Entwicklung, wie sie kein anderer Wirtschaftszweig aufzuweisen hat.

Diese Zahlen spiegeln in aller Deutlichkeit die Entwicklung eines Phänomens, welches im Leben des modernen Menschen eine außerordentlich große Rolle spielt. Gewiß zeigen immer Zeiten der Absperrung einen starken Ausschlag des Pendels nach der entgegengesetzten Richtung, wenn die Freizügigkeit der Bewegung wiederhergestellt wird, aber der Fremdenverkehr, der in den ersten Nachkriegsjahren zweifellos zu einem starken Teil Nachholbedarf war, ist inzwischen aus der Enge einer gesellschaftlichen und modischen Manifestation zu einer Lebensnotwendigkeit geworden, die daran erinnert, daß bereits vor rund dreißig Jahren ein deutscher Fachautor den Fremdenverkehr als „biologisches Bedürfnis“ des modernen Menschen bezeichnete.

Es schien also nicht schwer zu sein, eine

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