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Natur verdrahtet, Werte verdreht

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Die wirtschaftlichen Vorteile des Fremdenverkehrs in Tirol sind unbestritten: Er brachte vor allem in den peripheren und von Abwanderung bedrohten Regionen Tirols Beschäftigung und Einkommen. Das starke quantitative Wachstum der Nachfrage seit Beginn der fünziger Jahre aber führte zunehmend zu Einflüssen auf Gesellschaft und Umwelt, die in den Augen vieler Kritiker durch die positiven wirtschaftlichen Wirkungen nicht mehr aufgewogen werden können.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß das Schlagwort von den „Grenzen des Fremdenverkehrs“ in der öffentlichen Diskussion

immer öfter auftaucht. Neu allerdings ist die Auseinandersetzung mit dieser Frage nicht, denn bereits Mitte der fünfziger Jahre orteten Experten in Tirol Wachstumsgrenzen, insbesondere in den damaligen Fremdenverkehrszentren zum Beispiel Arlberg, Kitzbühel, Mayerhofen, Seefeld, Sölden und so weiter. Dennoch haben sich seitdem auch dort die Nächtigungszahlen vervielfacht, was wohl als Indiz für die Problematik des Begriffs „Grenze“ im Zusammenhang mit dem Phänomen Fremdenverkehr zu werten ist.

Bereits Ende der fünfziger Jahre kam aus Fremdenverkehrskreisen selbst die Forderung nach dem Ende des quantitativen Wachstums, und man suchte durch Erhöhung der Qualität des Fremdenverkehrsangebots der mengenmäßigen Ausdehnung zu begegnen. Die damaligen Leitsätze — auch heute in aller Munde — „Stopp der Masse“ und „Wert vor Masse“ sollten durch einen Bettenstopp über eine sehr restriktive Konzessionsvergabe realisiert werden. So lautete zumindest das Verlangen der Branche: „Hinsichtlich der gastgewerblichen Konzessionen sei… größte Zurückhaltung am Platze.“

Trotzdem haben sich seitdem in Tirol die Bettenzahlen verdoppelt (Ende der achtziger Jahre gab es in Tirol rund 400.000 Gästebetten). Der Weg über einen Bettenstopp führte also in der Vergangenheit nicht zur Einbremsung des Wachstums im Fremdenverkehr. Und trotz aller immer noch spürbaren Forderungen nach einem Bettenstopp ist ein solches Vorgehen gegenwärtig nicht denkbar, widerspricht es doch den Auffassungen einer liberalen Wirtschaftspolitik. Diese Forderung hat daher bestenfalls den Charakter einer „moral suasion“ mit keinerlei Aussicht auf Erfolg.

Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf Umwelt und Gesellschaft sind heute ebenso wie früher festzustellen. Familiäre und dörfliche Strukturen änderten sich, kulturelle Bräuche degenerierten, Luft und Wasser wurden belastet, Abfälle mußten vermehrt entsorgt werden, Fremden- verkehrsinfra- und -suprastruk- turen nahmen die Landschaft stark in Anspruch. Und diese Einflüsse wurden durch die Dimension des Fremdenverkehrs zweifelsohne bedeutend größer. Das Problem dabei ist jedoch die Bewer

tung dieser Wirkungen. Jede wirtschaftliche Aktivität beeinflußt die Umwelt, der gesellschaftliche Wandel tritt auch ohne Fremdenverkehr ein. Daher sind die in Fremdenverkehrsregionen zu beobachtenden gesellschaftlichen Zustände sowie die Umweltwirkungen des Fremdenverkehrs nicht isoliert zu sehen, sondern immer im Zusammenhang mit (reellen) alternativen Entwicklungen einschließlich möglicher Entsiedlungstenden- zen.

Diese Relativierung der als negativ beurteilten Wirkungen des Fremdenverkehrs auf Umwelt und Gesellschaft darf nicht den Eindruck erwecken, man müsse den beobachteten Wirkungen nicht begegnen. Die Forderung, unerwünschte Entwicklungen zu verhindern beziehungsweise zu minimieren, ist in Tirol auch stark verbreitet. Allerdings gibt es zum Teil gravierende Auffassungsunterschiede über den Begriff „unerwünschte Entwicklung“. Einhelligkeit herrscht zum Beispiel in Fragen der Schonung von Luft und Wasser durch und damit letztlich für den Fremdenverkehr. Daher ließen sich in der Vergangenheit hier relativ leicht Maß

nahmen im kommunalen Bereich setzen, die vor allem negative Umweltwirkungen des Fremdenverkehrs hintanhalten sollten. Die Fremdenverkehrsgemeinden verstärkten im Eigeninteresse bereits in den siebziger- und zu Beginn der achtziger Jahre ihre Bemühungen zur Klärung der Abwässer. Die bis dahin oft stark verunreinigten Fließgewässer unterhalb von Fremdenverkehrszentren konnten durch diese Investitionen in ihrer Wasserqualität merklich verbessert werden.

Aufgrund der Vielzahl der Emissionsquellen gestalteten sich dagegen Maßnahmen der Luftreinhaltung entsprechend schwierig. Diese müssen in Fremdenverkehrsregionen in erster Linie beim Hausbrand und Verkehr ansetzen. Einigen Erfolg hatten hier Verordnungen über den Schwefelgehalt von Heizöl sowie

bestimmte verkehrsberuhigende Maßnahmen (Fußgängerzonen oder gänzliche Freihaltung vom Individualverkehr). Das Abfallproblem dagegen ist in Tirol nach wie vor virulent.

In anderen Fragen aber klaffen die Vorstellungen über erwünschte beziehungsweise unerwünschte Entwicklungen im Tourismus weit auseinander. Im allgemeinen sind die Vorstellungen der wirtschaftlich von bestimmten restriktiven Maßnahmen Betroffenen konträr zu jenen, die unmittelbar keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden. Die Ablehnung einer neu zu errichtenden Seilbahn wird (aus Umweltgründen) in Tirol mehrheitlich Zustimmung finden, in der Region selbst aber auf massive Ablehnung stoßen.

In diesem — hier nur angedeuteten - Spannungsfeld müssen die verantwortlichen Entscheidungsträger in Tirol agieren. Von großem Vorteil sind dabei all jene (restriktiv wirkenden) Maßnahmen, die allgemeine Rahmenbedingungen vorgeben. Hier kann nicht wie bei Einzelmaßnahmen der Eindruck entstehen, daß einige bevorzugt, andere dagegen benachteiligt werden. Gerade im Fremdenverkehr sind allerdings solche allgemeinen Vorgaben ausgesprochen schwierig.

In Ansätzen aber finden sich diese bereits in der Tiroler Fremdenverkehrspolitik.

Sie laufen in erster Linie auf die Schonung der Umwelt beziehungsweise Verhinderung weiterer Umweltschäden durch den Fremdenverkehr hinaus.

Dagegen sind Maßnahmen, die die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen des Fremdenverkehrs hintan halten sollen, in

freiheitlich demokratischen Systemen von der Natur der Sache heraus auf rein qualitative Maßnahmen (Aufklärung, Bildung, Installierung von freiwilligen Arbeitskreisen und so weiter) beschränkt; eine Steuerung von oben fällt hier entsprechend schwer.

Erste Schritte für eine generelle Beeinflussung der weiteren F remdenverkehr sentwicklung wären:

• Der Abbau der Förderungen für die Neuerrichtung von Infra- und Suprastrukturen. Dieses in der Vergangenheit eingesetzte Instrument war ja zum Teil mitverantwortlich für die beklagte Ubererschließung.

• Das prinzipielle Bekenntnis zur Verhinderung von Neuerschließungen für den alpinen Schilauf. Neuerschließungen sollen nach dem Willen der Verantwortlichen nur noch in entsiedlungsbedroh- ten und wirtschaftlich benachteiligten Regionen zugelassen werden. Ansonsten sollen neu errichtete Aufstiegshilfen nur noch der Qualitätsverbesserung bestehender Anlagen beziehungsweise der Abrundung von bestehenden Schigebieten dienen. Der Konflikt ist hier jedoch bereits vorprogrammiert und wird zur Zeit

auch schon, in einigen Fällen zum Teil recht heftig, ausgetragen. Was bedeutet „Abrundung von Schigebieten“? Und bedeutet „Qualitätsverbesserung“ im Seilbahnbau nicht immer gleichzeitig Erhöhung der Kapazität, die ihrerseits dann wieder einen Ausbau von Schipisten bedingt? ökologisch bedenklich ist ja in den meisten Fällen nicht die Seilbahn an sich, sondern es sind die Schipisten, die negative Effekte im Umweltbereich verursachen. Eine quantitative Obergrenze wäre daher in erster Linie bei den Schipisten und nicht bei den Aufstiegshilfen anzusetzen.

• Die verstärkte Forcierung von Aus- und Weiterbildung im Fremdenverkehr. Dadurch lassen sich — allerdings nur mittel- bis langfristig - einige der gegenwärtigen Probleme der Branche in den Griff bekommen. Die Erwartungen einer fundierten, vor allem kaufmännischen Ausbildung sind in ein breites Spektrum ein-

zuordnen: Verminderung des Risikos von Fehlinvestitionen und damit indirekt verminderter Er- schließungs- und Ausbaudruck; Verbesserung der Organisationsfähigkeit von Fremdenverkehrsbetrieben und Freiwerden von (Zeit-)Kapazitäten für Familie und Dorfgemeinschaft bei Selbständigen und Unselbständigen; Verbesserung der Fähigkeit zur Menschenführung und dadurch Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern; bildungsbedingte Stärkung des Selbstbewußtseins aller im Fremdenverkehr Tätigen gegenüber den Mitbürgern (dem Fremdenverkehr haftet nach wie vor das Image einer Branche mit niederqualifizierten Arbeitskräften an) und den Gästen.

Vor allem der letzte Weg über die „Höherqualifizierung des Humankapitals“ scheint auf Dauer erfolgversprechend zu sein. Hier aber gilt es, Beharrlichkeit zu zeigen. Denn auch das Wissen um die Notwendigkeit einer fundierten kaufmännischen Ausbildung ist in Tirol an sich schon alt. Bereits 1931 (man zählte in Tirol damals rund drei Millionen Nächtigungen) forderte man massiv eine verstärkte kaufmännische Ausbildung; die auch heute noch dominante praktische Ausbildung wurde als zu einseitig angesehen. Letztlich aber wurde in der Realität dem dann recht wenig entsprochen, wohl auch deshalb, weil die Früchte der Bildung nur langfristig zu sehen sind.

Der Autor ist Dozent am Institut für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik der Universität Innsbruck.

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