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Märchen und Wirklichkeit

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„Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate!“ — so scheint bisweilen der Grundtenor des österreichischen Fremdenverkehrs zu lauten. In die Sprache der nüchternen Gegenwart übersetzt, will dies nicht mehr und nicht weniger besagen, als daß Utopie und Wirklichkeit im österreichischen Fremdenverkehr noch einen sehr weiten Abstand voneinander haben.

Das Nachkriegsmärchen Österreichs fand seine beste bildliche Darstellung in der berühmt gewordenen Heurigenkarikatur aus der Staatsvertragszeit, die den damaligen Bundeskanzler Raab und seinen Außenminister Figl zeigt, wie sie, Heurigenlieder singend, mit den Vertretern der russischen Besatzungsmacht beisammensitzen, um sie so zum Abschluß des Staatsvertrages zu bewegen.

Auf dem Gebiet des österreichischen Fremdenverkehrs wird sehr oft die typisch österreichische Stimmung, die Atmosphäre, die der Gast glücklicherweise bei uns wirklich noch antrifft, so gewertet, als sei sie das allein wirksame Zauberwort „Sesam öffne dich“, das den Zugang zu den Gemütern der Gäste Österreichs erschließt und sie so in unser Land führt

Das Ende der Serie geradezu legendärer Skierfolge unserer Nationalmannschaft, die von den Weltmeisterschaften in Portillo im Sommer 1966 bis zu den letzten Kandaharrennen in Sestriere im März 1967 so manche Niederlage einstecken mußte, zwingt zur wahrscheinlich richtigen Feststellung, daß nicht das Idol von Skirennläufern, sondern die Hannes-Schneider-Skischjultradition in den österreichischen Bergen das entscheidende Werbethema darstellt, mit dem die weitere „ Entwicklung des Wintersportfremdenverkehrs Österreichs wirksam gefördert werden kann. Die modernen Hotels sowie die Skilifte und Seilbahnen, die weite Skigebiete unserer Berge erst erschlossen haben, werden als Selbstverständlichkeit im modernen Wintertourismus angesehen.

Für den Nimbus Österreichs als führendes Wintersportland sind allerdings Rennerfolge von gewisser Bedeutung. Soviel zur Wintersaison, die 1966/67 nach den bisherigen ziffernmäßigen Ergebnissen noch nicht allzusehr enttäuscht.

Nun steht wieder eine neue Sommersaison bevor. Das zahlenmäßige Ergebnis der letzten Wintersaison, 1965/66, und der Sommersaison 1966 war gewiß nicht schlecht. Die prozentuelle Steigerung der Nächtigungszahlen gilt als wirtschaftlicher Steigerungseffekt. Der Blick in die Zukunft läßt zumindest oberflächlich eine weitere Steigerung der Nächtigungszahlen in Österreich erwarten. Also weiterhin — so scheint es — gibt es Grund zu dulce jubilo im Sinne der Einleitung dieses Artikels.

Nüchterne „Zahlenfüchse“ haben ermittelt, daß die Zuwachsrate des österreichischen Fremdenverkehrs nicht über, sondern unter dem europäischen Durchschnitt lag, daß Österreich mit seiner Zuwachsrate der Nächtigungszahlen mit 6,5 Prozent merklich hinter Italien mit 11,7 Prozent und Jugoslawien mit 11,5 Prozent liegt. Ferner ist der Zuwachs an Nächtigungen nicht größer, sondern kleiner als der Zuwachs an gewerblichen und privaten Unterkünften. Der Zuwachs an Reisedevisen im österreichischen Fremdenverkehr liegt in seinen aktiven Einnahmen unter dem Soll, denn einer Nächtigungsfrequenz von 5,8 Prozent steht ein Zuwachs der Reisedeviseneinnahmen von 6,1 Prozent gegenüber, der aber in Wirklichkeit wesentlich niedriger ist, da die steigenden Lebenshaltungskosten unbedingt berücksichtigt werden müssen. Die echte Steigerungsrate wird auf 3,8 Prozent geschätzt und liegt somit unter der Zuwachsrate der Nächtigungen.

Die Skeptiker im österreichischen Fremdenverkehr — und dazu müssen sich die berufsmäßigen Fremdenverkehrsfachleute zählen — betrachten es als ihre Pflicht, an die Zukunft des österreichischen Fremdenverkehrs zu denken. Sie haben festgestellt, daß Österreich mit seiner Investitionsförderung weit hinter den westlichen Konkurrenzländern zurücksteht, besonders was das Ausmaß des Zinssatzes bei Förderungskrediten betrifft; so entspricht einem Zinssatz von 1 bis 2 Prozent in der Schweiz ein Zinssatz von 5 Prozent in Österreich im Rahmen der Investitionsförderung. Der normale Zinssatz für langfristige Kredite liegt in der Schweiz bei 3 Prozent, in Österreich bei 8 Prozent.

Neueste Unterlagen aus dem Ausland bieten unter anderem folgendes interessante Bild:

Nach bestehenden Plänen soll die Bettenzahl in seinen internationalen Wintersport-und Ferienzentren, wie Chamonix, Megeve, Courchevel usw., die heute erst 20.000 Betten offerieren, bis 1970 auf etwa 60.000 erhöht werden. Außer diesen Zentren sollen noch zehn weitere Wintersportorte entstehen, die heute erst auf den Plänen bestehen und 1970 eine Bettenkapazität von 52.000 aufweisen •ollen. Frankreich versteht es, seine Möglichkeiten für die Entwicklung des Winterfremdenverkehrs voll auszuschöpfen.

Das aber ist nur ein Ausschnitt des gesamten touristischen Marktes; ähnlich ist es bei anderen kommenden Wintersportländern.

Über die Entwicklung des Sommerfremdenverkehrs, über die außerordentliche Vergrößerung der Kapazität der Ostländer in naher Zukunft wurde in anderem Zusammenhang hier schon geschrieben.

Die Werbekraft der einzelnen Fremdenverkehrsländer Europas basiert sehr wesentlich auf der Finanzkraft ihrer Fremdenverkehrsinstitutionen und sonstiger Einrichtungen, die eine Werbung für den Fremdenverkehr des jeweiligen Landes bedeuten oder betreiben.

Österreich verfügt unter Zusammenraffung aller Mittel, die der österreichischen Fremdenverkehrswerbung zunutze kommen — das formelle Jahresbudget selbst bildet hiervon nur einen Teil —, über ein Budget von 52 Millionen Schilling, die Schweizer dagegen über 77 Millionen Schilling. Unbestritten ist die Tatsache, daß der Werbeeinsatz der nationalen Fluggesellschaften ein entscheidender finanzieller Faktor der gesamten nationalen Fremdenverkehrswerbung ist. Hier steht jedoch dem Werbebudget der AUA von 7 Millionen Schilling ein Werbeetat der Swissair von 87 Millionen Schilling gegenüber! Braucht es hier noch weiterer Erläuterungen, daß auf dem Gebiete der Fremdenverkehrswerbung für Österreich ein höchst ungleiches Kräfteverhältnis besteht? Auch der beste Generalstab kann auf die Dauer die für den Konkurrenzkampf notwendigen finanziellen Mittel nicht entbehrlich machen.

Den Initiatoren des österreichischen Fremdenverkehrstages 1967, der größten Zusammenkunft der Fremdenverkehrsfachleute seit Kriegsende, war es klar, daß das Ergebnis dieser Enquete zumindest darin liegt, daß gemeinsame Notwendigkeiten und Erfordernisse übereinstimmend festgestellt wurden. Ausschlaggebend ist die Gemeinsamkeit, denn in ihrer Verwirklichung wäre wenigstens ein Teil jener Koordinationsforderungen erfüllt, die seit Jahren den dm österreichischen Fremdenverkehr Tätigen als unerfüllbar scheinendes Wunschbild für den Fremdenverkehr Österreichs vor Augen schwebt. Man darf annehmen, daß damit ein Versuch unternommen wurde, über bestehende Kompetenzen hinweg, durch die Zusammenarbeit von bisher einander fremden Institutionen, Lösungen zu finden, die — infolge mangelnder Kooperation — bisher unterblieben sind. Das sind zumindest Ansätze zu Lösungen auf Gebieten, bei denen es sich nicht primär um finanzielle Fragen handelt. Gemeint sind hierbei u. a. der Aufgabenkreis der Raumplanung der Ortsbiilderhaltung, der Naitur-pflege, ferner rechtliche Probleme.

Nicht erfüllt ist nach wie vor ein Großteil jener Wünsche, die nur durch die Sicherung größerer finanzieller Mittel realisiert werden können, also die Schaffung von ausreichenden, „zinsbilligen“ und langfristigen Investitionskrediten, Steuererleichterung von direkten Zuschüsseiii für die Fremdenverkeihirsför-derung und die Fremdenverkehrswerbung im Ausland. Es sind also einige wesentliche Faktoren ungelöst geblieben, die für die Entwicklung des österreichischen Fremdenverkehrs von entscheidender Bedeutung sind, denn die Fremdenverkehrswirtschaft ist in den Fremdenverkehrsbetrieben verkörpert. Die Gast-und Beherbergungsbetriebe, die Verkehrsbetriebe, einschließlich der Seilbahnen und Skilifte, aber auch die Fremdenverkehrseinrichtungen der Gemeinden sind die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung des österreichischen Fremdenverkehrs. Ihre Erhaltung und die Steigerung ihrer Qualität ist, im Blickpunkt der internationalen Konkurrenz gesehen, die Voraussetzung jeder Weiterentwicklung. Daher ist die Weiterführung von Investitionen, die der Modernisierung und Neuanschaffung gewidmet sind, in einem Ausmaß vonnöten, das halbwegs Schritt halten kann mit der Auslandskonkurrenz. Ohne diese Voraussetzung ist ein Einsatz von Werbemitteln schon ein halber Mißerfolg, denn im Fremdenverkehr gilt der Grundsatz, daß die Wahrheit der Werbung ein wesentliches Element ihrer dauerhaften Wirkung ist.

Die österreichische Fremdenverkehrswirtschaft ist ein Teilstück der gesamten gewerbliehen Wirtschaft. Es gibt daher auch in Österreich eine Konkurrenzsituation gegenüber den Interessen anderer Wirtschaftszweige. Über allen lastet die Notwendigkeit des Interessenausgleiches. Das trifft besonders den Fremdenverkehr, der zwar anerkannt lebenswichtige Funktionen der österreichischen Wirtschaft zu erfüllen hat, aber vom politischen Standpunkt offenbar nicht die nötige Zugkraft ausübt, um durch entsprechende Förderungsmaßnahmen Wähler gewinnen zu lassen. Von der devisenbringenden Funktion abgesehen, wird dem Ausländerfremdenverkehr eine nur untergeordnete Bedeutung zugemessen, obwohl das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung von seiner umsatzbelebenden Wirkung entscheidend abhängt. Diese wird freilich erst dann voll gewertet werden, wenn sich ihr Entfall auszuwirken beginnt und es zum Beispiel sichtbar wird, wie viele Arbeitsplätze auch indirekt von der Konjunktur des Fremdenverkehrs abhängen. Es ist also sehr zu fürchten, daß die Vorstellung, man könne mit Charme, Stimmung und Weinseligkeit gegen die Konkurrenz, die Anziehungskraft der südlichen Meeresgestade und selbst gegen Dumping-Maßnahmen der ausländischen Fremdenverkehrskonkurrenz bestehen, in Österreich noch lange das Feld behaupten wird. Hoffentlich nicht so lange, bis es zu spät ist. „Videant consules“, ob es dann nicht unwiderruflich zu spät ist und ein nicht wiedergutzumachender Schaden in einem der blühendsten Zweige der Österreich i sehen Wirtschaft eingetreten ist?

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