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Schwere Zeiten kommen erst

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Die österreichische Industrie hat kein leichtes Jahr hinter sich. Die Tatsache, daß die Industrieproduktion in den meisten Bereichen auf hohen Touren lief, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeit des leichteren Verkaufens endgültig vorbei ist. Der ständige Kostenauftrieb im Inland, die immer fühlbarer werdende Diskriminierung der Ausfuhr in den EWG-Raum und die Verschärfung des internationalen Wettbewerbes, vor allem durch die Industrialisierung der Entwicklungsländer, erschweren eine ruhige, vorausschauende Absatzpolitik der industriellen Unternehmen.

Es gehört zum Beruf des Industriellen, Optimist zu sein. Aber diese optimistische Grundhaltung befindet sich nicht im Widerspruch zu einer nüchternen Beurteilung der gegenwärtigen Lage und der Zukunft. Eines ist gewiß: die österreichische Wirtschaft steht vor ihrer schwersten Umstellung seit dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahre 1918. Auch nach 1945, als buchstäblich beim Nullpunkt begonnen werden mußte, waren große Schwierigkeiten zu überwinden. Die Erfolge, die seitdem erzielt wurden, sprechen dafür, daß wir den uns gestellten Aufgaben gerecht werden konnten. Die Probleme, die nun vor uns liegen, sind anders geartet als die der Phase des Wiederaufbaues einer Wirtschaft aus Trümmern und Chaos, sie sind aber nicht mindeT schwierig, man kann sagen, in ihrer Art komplizierter als jene der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wir gehen einer Zeit entgegen, in der das Sozialprodukt, wenn überhaupt, nur langsamer wachsen wird als in den letzten Jahren, da infolgedessen auch die Staatseinnahmen geringere, vielleicht gar keine Zuwachsraten aufweisen werden, so daß alle ehrgeizigen Wünsche hinter der nüchternen Erkenntnis, daß Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, zurückstehen sollten.

Die Industrie hat schon lange vor und in noch stärkerem Maße unmittelbar nach der Wahl betont, daß in dieser durch den Einbau Österreichs in die wirtschaftliche Zusammenarbeit der freien

Völker Europas charakterisierten neuen Phase ein langfristiges Wirtschaftsprogramm zur unabweisbaren Notwendigkeit wird. Bei der Ausarbeitung dieses Programmes sollten die Bundesregierung, die Organisationen der Sozialpartner und unabhängige wissenschaftliche Fachleute zusammenwirken. Ziele müßten die Stärkung der Leistungskraft der österreichischen Wirtschaft, die Erleichterung ihres Einbaues in den Europamarkt, die Beschleunigung und Förderung der damit verbundenen wirtschaftlichen Umstellungen sowie die Beseitigung der bekannten Schwächen und Ungereimtheiten unserer Wirtschaftsstruktur sein.

Neuer Kurs der Budgetpolitik

Eine Zentralstellung in diesem Programm kommt der Budgetpolitik zu. Die Meinung der Industrie deckt sich hier völlig mit den Ansichten der Wirtschaftswissenschaftler, an erster Stelle des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung. Man muß unermüdlich wiederholen, daß die Staatshaushaltspolitik einen Angelpunkt für die Entwicklung von Wirtschaft und Währung darstellt. Diese Feststellung gilt nicht nur für das Budget des Jahres 1963, sondern im Zusammenhang damit auch für die Staatshaushalte der nächsten Jahre.

Die Lage auf dem Gebiete der Staatsfinanzen ist so ernst wie noch nie zuvor, jede Beschönigung in dieser Hinsicht sollte vermieden werden. Den bereits angemeldeten, in die Milliarden gehenden Ansprüche an den Staat stehen die Schätzungen der Einnahmen gegenüber, die im nächsten Jahr, dem Wachstum des Sozialproduktes gemäß, nur in einer Höhe eingehen dürften, die nicht im entferntesten ausreicht, um alle Wünsche an die Staatskasse zu erfüllen. Das Budget 1963 kann also nicht mehr isoliert betrachtet werden, wenn eine Sanierung des Staatshaushaltes in Angriff genommen werden soll. Die Industrie plädiert daher schon seit langem für eine völlige Neukonzipierung der Budgetpolitik, der eine längerfristige Vorausschau zugrundegelegt werden muß. In dieser Vorausschau sind einerseits die zu erwartenden Staatseinnahmen, geschätzt für mehrere Jahre, anderseits die Anforderungen an den Fiskus festzuhalten. Auf Grund dieser rechnerischen Unterlagen wird es dann notwendig sein, eine Reihung nach Dringlichkeit und staatspolitischer Notwendigkeit vorzunehmen. Es ist der Industrie ein besonderes Anliegen, an prominentester Stelle dieses Dring-lichkeitskataloges die Ausgaben für das Erziehung- und Bildungswesen und den Ausbau unserer Hochschulen und Forschungsstätten anzuführen. Die wirtschaftliche Zukunft, damit auch die Sicherheit des einzelnen Arbeitsplatzes und das Wohlergehen jeder einzelnen österreichischen Familie hängen von einer großzügigen, der Tradition Österreichs würdigen und dem technischen Fortschritt gemäßen Förderung dieser Aufgaben ab. Die Situation auf diesem Gebiet stellt einen Staatsnotstand erster Ordnung dar, und es ist daher dankenswert, daß sich „Die Furche“ seit Jahren der Bedürfnisse des Bil-dungs- und Forschungswesens mit aller Energie annimmt.

Warnsignale

Wenn es nicht gelingen sollte, im Budget 1963 die Ausgaben mit den Einnahmen in Einklang zu bringen, wären mit Sicherheit vom Staatshaushalt ausgehende neue Kostensteigerungen zu befürchten. Was dies bei einer schwer um ihre Position auf den internationalen Märkten ringenden Volkswirtschaft eines kleinen, stark im Außenhandel mit der Welt verflochtenen Landes bedeuten würde, braucht nicht näher ausgeführt werden. Eine zusätzliche Kostenbelastung würde ihre Rückwirkungen auch auf die Beschäftigungslage und damit die Arbeitsplätze tausender Österreicher haben. Die Industrie hofft daher, daß sowohl die für die Budgeterstellung Verantwortlichen als auch die Spitzen des Sozialpartners den Ernst der Situation erkennen und die Ansprüche an das Sozialprodukt in jenen Grenzen halten werden, die durch die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft, die sich inmitten eines großen Umstellungsprozesses befindet, gesteckt sind.

Nach dem Budget werden von der Regierung und dem Parlament jene Maßnahmen beraten und beschlossen werden müssen, die die Kapitalbildung in den Unternehmungen fördern und diesen, worauf besonders hinzuweisen ist, ein Disponieren über mehrere Jahre ermöglichen. Wenn die Umstellungsprobleme bewältigt werden sollen, dann muß die österreichische Industrie ihre Investitions'entscheidungen und Exportdispositionen ohne ständige Sorge vor legislativen Änderungen treffen können. Die Industrie will für sich keine „Geschenke“, wie oft leichtfertig behauptet wird, sie erwartet von der Wirtschaftspolitik lediglich praktisches Verständnis dafür, daß sie zur Mehrung des Sozialproduktes beitragen kann.

Wenngleich derzeit noch nicht abzusehen ist, wann die Verhandlungen zwischen der EWG und Großbritannien beendet sein werden, so geht doch die Meinung dahin, daß diese Gespräche bereits so weit gediehen sind, daß es kein Zurück mehr gibt. Erst wenn diese Verhandlungen beendet sein werden, kann Österreich in realistischer Einschätzung der Situation damit rechnen, seinerseits in die Klärung der Detailfragen seines Verhältnisses zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eintreten zu können. Österreichs Industrie hält an ihrer Linie unverrückbar fest: Unter strikter Wahrung unserer völkerrechtlichen Verpflichtungen soll die bestmögliche Form der Assoziierung mit der EWG gesucht werden, die die Gewähr bietet, daß wir unsere wichtigsten Exportmärkte nicht verlieren und daß damit die Vollbeschäftigung erhalten werden kann. Wenn im Zusammenhang mit der Integration vielfach von nicht sachkundiger Seite behauptet wird, die österreichische Industrie habe ich auf die Eingliederung in einen größeren Markt bisher noch nicht oder nur ungenügend vorbereitet, so kann darauf nur erwidert werden, daß in einer großen Zahl österreichischer Unternehmungen seit Jahren äußerst initiativ, ideenreich und zäh an den notwendigen Vorbereitungen gearbeitet wird und daß auf Grund dessen schon zahlreiche Umstellungsmaßnahmen getroffen wurden.

Die kommenden Jahre werden jedem In der Industrie Tätigen — ob Unternehmer, Forscher, Angestellter oder Arbeiter — das Äußerste abverlangen. Vor uns liegt eine Zeit der Bewährung. Die Bewährungs- und Belastungsprobe der nächsten Zukunft wird bestanden werden, wenn — wie so oft in der Geschichte unseres Landes — der Gedanke der Schicksalsgemeinschaft aller Österreicher parteipolitische Rivalitäten und Gruppeninteressen in den Hintergrund drängt.

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