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Oesterreichs Staatsbeginn

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Der ambitionierte Wiener Verlag für Geschichte und Politik hat seine „Oesterreich-Archiv“ benannte historische Publikationsreihe mit einer grundlegenden Arbeit von Alphons L h o t s k y über das „Privilegium Maius“ eröffnet (vgl. „Die Furche“ vom 22. Februar 1958). Das vorliegende dritte Heft der Reihe enthält nun eine zusammenfassende Darstellung der Entstehung und Bedeutung des „Privilegium minus“, der Basis des späteren Maius. Damit sind allen Historikern und interessierten Laien, die nicht selbst eingehende Spezialuntersuchungen vornehmen können, aber doch eine solide Orientierung über ein bestimmtes Thema wünschen, in übersichtlicher und handlicher Form der neueste Stand der Forschung und eine verläßliche Interpretation eines wesentlichen und schwierigen Problems der österreichischen Geschichte zugänglich gemacht worden. Denn noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts haben auch bei der Beurteilung der Frage der Echtheit des „Privilegium minus“, durch das die Mark Oesterreich in ein Herzogtum verwandelt wurde und die österreichischen Herzoge bedeutende

Sonderrechte zugestanden erhielten, politische Affekte eine große Rolle gespielt. Erst die im zweiten Weltkrieg publizierten Forschungsergebnisse K. H e i-1 i g s haben die historische Fachwelt endgültig von der Echtheit des Minus überzeugt.

Universitätsprofessor Heinrich Fichtenau, der Verfasser der vorliegenden Untersuchung, geht nun gerade wegen der zahlreichen überspitzten Fehlinterpretationen, denen das Minus in der Vergangenheit unterworfen worden ist, von der Notwendigkeit aus, die Ereignisse des Jahres 1156 im Rahmen der damaligen Zeitgeschichte zu sehen und zu verstehen. Die politischen und militärischen Schwierigkeiten jener Zeit, in der durch das aufstrebende Landesfürstentum die Bildung neuer kleinräumiger politischer Einheiten zwar schon längst begonnen hatte, aber lange noch nicht abgeschlossen war, haben ihren Niederschlag auch im österreichischen Freiheitsbrief gefunden. Für seine Entstehung waren daher der hohe Rang und die familiären Bindungen der Babenberger ebenso ausschlaggebend wie die schon seit Generationen vorhandene politische Sonderstellung der Mark Oesterreich. Gewiß hatte Kaiser Friedrich I. mit Rücksicht auf seine geplanten italienischen Feldzüge alles Interesse, den wegen der Entziehung Bayerns erbitterten und gegenüber dem Weifen Heinrich benachteiligten Babenberger zu versöhnen und als Kampfgefährten zu gewinnen. Er hat deshalb die Mark in ein Herzogtum verwandelt, nicht aber einen völlig neuen Rechtszustand geschaffen, sondern im wesentlichen lediglich bereits traditionelle Vorrechte bestätigt. Daß deren Anerkennung die rechtliche Grundlage für eine die Jahrhunderte überdauernde politische Einheit werden sollte, konnten weder der Staufenkaiser noch Heinrich Jasomirgott wissen.

Neben der objektiven und klaren Darstellung dieses Sachverhaltes unter Berücksichtigung aller wichtigen einschlägigen Arbeiten legt der Verfasser aber auch zwei neue Interpretationen von bisher umstrittenen Textstellen der Freiheitsurkunde selbst vor. Er deutet das unklare „ius affectandi“ des österreichischen Herzogpaares als Recht der Lehens-mutung, das heißt, Heinrich und Theodora waren für den Fall, daß sie ohne Leibeserben bleiben sollten, berechtigt, den Kaiser zu ersuchen, ihre Länder nach ihrem Tod einem Mann ihrer Wahl zu verleihen. Im sogenannten Gerichtsparagraphen sieht der Verfasser die Gewährung des herzoglichen Konsensrechtes „für jede Ausübung von Gerechtigkeiten im Regierungsbereich des Herzogtums“. Mit diesen überzeugend belegten Deutungen hat Fichtenau zur Erforschung des Privilegium minus einen wirklich beachtenswerten Beitrag geleistet, zu dem er aufrichtig zu beglückwünschen ist.

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