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Rettet den Hof!

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„Das schönste sterbende Gebäude Wiens ist das Kriegsministerium am Hof. Oh, seht es Euch gut an, Ihr Wiener, denn bald wird es nicht mehr sein! Jeder weiß, daß es bald fallen wird, aber keine Hand erhebt sich, diesem Frevel Einhalt zu tun. Nun gut, so saugt Euch den Hof jetzt noch mit Blicken ein, damit Ihr ihn im Herzen aufbewahren könnt! Dieses Gebäude gibt den Grundakkord für den Plitz. Ohne dieses Gebäude gibt es keinen Hof mehr.“

Diese eindringliche Mahnung an die Wiener schrieb Adolf Loos im Jahre 1 9 0 6. Sie wurde nicht gehört. Der „Hof“, für die Stadtgeschichte Wiens vielleicht der bedeutendste Platz, verlor immer mehr an Gesicht durch das Unverständnis und die Indolenz von Bauherrn und Architekten. Er wurde in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts systematisch zerstört.

Auch jetzt brauchte der „Hof“ neuerlich einen Anwalt von so eindringlicher Sprache. Jetzt ist er nicht durch Unverständnis zerstört, sondern durch den Bombenhagel des zweiten Weltkrieges. Aber er läuft eben jetzt Gefahr, durch Unverständnis und Indolenz im Wiederaufbau ebenso schlecht wegzukommen wie im Jahre 1906.

Die großzügigen Neuplanungen für den Wiederaufbau von London tragen --als; Motto die Worte: „Die Kriegszerstörungen: ein Unglück — aber eine Chance“! Wann wird sich endlich auch in Wien die Erkenntnis durchringen, daß die Zerstörungen nicht nur ein Unglück — sondern auch eine Chance sind! Eine Chance, Fehler, die man als • solche erkannt hat, nicht wieder zu begehen, das heißt das Veraltete und Unorganische durch Gutes, Neues zu ersetzen. Aber an dieser Chance könnte man in Wien manchmal verzweifeln, wenn man allenthalben in der Stadt sieht, wie an vielen Stellen das Alte mit allen seinen Fehlern „wiederaufgebaut“ wird, statt daß durch Neuplanungen ein moderner „Aufbau“ vorgenommen wird!

Die Zerstörungen am Hof lassen an Eindeutigkeit der Veranschaulichung, wie das Unglück der Bombenzerstörungen zu einem Segen für das Stadtbild werden kann, nichts zu wünschen übrig. Da ist vor allem das Haus „Zur goldenen Kugel“ empfindlich von Bomben getroffen. Durch seine zu große Höhe und seine „modernisierte“ Fassade wirkt es als Faustschlag in das vornehme, zurückhaltende und fein profilierte Gesicht des Platzes, wie es uns aus der Kirche, den angrenzenden barocken Gebäudegruppen, der. Feuerwache usw. entgegenlächelt. Diese sogenannte modernisierte Fassade, erreicht durch Abschlagen aller Profile und dekorativer Details, ist durch ihre Härte noch unerträglicher als die zwar kitschige, aber immer noch menschlichere Gestaltung seines alten Bauzustande*. Vor allem aber ist das Gebäude zu hoch und erdrückt durch seine Baumasse nicht nur die architektonisch so außerordentlich reizvollen Häuser seiner nächsten Umgebung, sondern auch die Kirche, die in der Höhenerstreckung die dominierende Baumasse des Platzes bleiben sollte.

Oberbaurat Dipl.-Ing. Erich Leise h-n e r hat gerade zu diesem Kapitel in einem ausgezeichneten Aufsatz in der Zeitschrift „Der Aufbau“ („Bauberatung — warum und wie?“ Septemberheft 1946) Stellung genommen. Aber es ist zu befürchten, daß solche Warnungen und. Ratschläge, in der Fachliteratur veröffentlicht, nicht den Weg in die Allgemeinheit finden, auf die es, wenn es um Probleme des Aufbaues und der Neugestaltung der Stadt geht, in erster Linie ankommt. Denn an jeden einzelnen — nicht nur an Architekten und Städtebauer —, vor allem an Bauherren und Grundbesitzer, ist der Aufruf gerichtet, durch Verständnis und Einsicht, allerdings manchmal unter Verzicht auf persönliche Vorteile, zugunsten einer Erneuerung des Stadtbildes im Sinne eines organischen Wiederaufbaues beizutragen. An diese Einsicht muß vor allem jetzt appelliert werden, solange noch die gesetzliche Handhabe fehlt, etwa Korrekturen in der Höhenerstreckung, der Fassadengliederung, der Gechäftspor-talgestaltung usw. vorzunehmen. Der „Hof“, dieses Juwel des alten Wien, wäre wert, daß ihm persönliche Opfer gebracht werden!

Diese kleinen Opfer zur Verbesserung und Bereinigung des Stadtbildes müssen gebracht werden, nfcht nur angesichts der künstlerischen Bedeutung solcher Plätze, sondern auch ihres historischen Gewichtes wegen, das sie für Wien besitzen!

Die „Modernisierungswut“ in Wien im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts hat die Geschlossenheit unserer Altstadt leider unwiderbringlich aufgerissen. Wo sich früher einheitliche Platz- oder Straßenwände erhoben, doppelt wirkungsvoll in der feinen Abstimmung der Gebäudehöhen und des beschwingten Rhythmus der- -Fassaden, sind jetrpn Löcher gerissen- ^durch--Zuräcfei -nähme der Baufluchten, durch größere Höhenerstreckungen der Gebäude, wie sie die neue Bauordnung zuließ.

Veränderungen, resultierend aus anderen Auffassungen der Wohnhygiene und des modernen Lebens sind allerdings notwendig. Aber wie viele Städte gibt es, die glücklicher in der Anpassung dieser modernen Forderungen an das alte Stadtbild waren als Wien! Man betrachte Prag, Rom, Amsterdam! Wo es in diesen Städten galt, eine aus alter Zeit stammende wertvolle und geschlossen wirkende Straßen- oder Platzanlage zu erhalten, wurde mit viel Geschick — oft mit hohen Kosten — das Innere der Häuser einem völligen Umbau unterzogen (oft so weitgehend, daß ein Neubau, nur unter Beibehaltung der alten Fassade entstand) — auch dort, wo es sich nicht immer um „wertvolle“ Bauten im Sinne des Denkmalschutzes handelte. Auch' die simpelste Fassade kann in diesem Sinne wertvoll sein, wenn sie nur den Rhythmus einer Straßenoder Platzwand aufnimmt oder weiterführt. Wo solche Lösungen nicht mehr möglich sind — wie vielfach in Wien — wird es allerdings besser sein, die „Modernisierungen“ aus der Zeit der Jahrhundertwende, wenn sje stark bombenbeschädigt sind, zu entfernen und durch radikal moderne Bauten zu ersetzen. In der völligen Auflösung der Baumasse solcher Gebäude in Stahl und Glas, mit Ausnützung der feinen Differen-zierungsmöglichkeit, die in den modernen Materialien begründet liegt, wird ein neuer und überraschender Einklang mit dem Alten erzielt werden.

Aber das Alte erhalte man wo man kann! Die alte Mariensäule am Hof entzückt nach ihrer Wiedererrichtung noch mehr als ehedem. Der Platz benötigt noch weitere plastische Gliederung. Warum werden die alten Brunnen, die einst den Platz zierten und in ausgezeichneter Weise gliederten — sie sollen noch irgendwo in einem Magazin ein trauriges Dasein fristen —, nicht wieder aufgestellt?

Gottlob hat der „Hof“ in grandrißlich-städtebaulicher Beziehung seine Einheit und Geschlossenheit bewahrt. Im Aufriß wird diese Geschlossenheit nur durch drei neuere Bauten zerstört: die Länderbank, die „goldene Kugel“, und den Baukomplex, der den Platz in Richtung Naglergasse abschließt.

Dort, wo der Krieg nicht geholfen hat, den Platz umzugestalten, wird es in der nächsten Zeit schwer möglich sein, durchgreifende Verbesserungen durchzuführen. Aber dort, wo bauliche Veränderungen wegen Bombentreffern notwendig sind, wie zum Beispiel bei der „goldenen Kugel“, ist ei unsere Pflicht, nicht nur die Schäden der Bomben zu beheben, sondern die oft. noch viel größeren, die Mangel an Geschmack und' Einsicht 'der GercHldsserHieic q unWrfc' StadtbiM1-'zu^efgV''ri%eh,i im mo[*

Möge gerade dieser historische Boden des „Hofes“ zum Ausgangspunkt eines modernen Wien werden, das das Alte mehr achtet als die Generation, gegen die Adolf Loos sich wandte. Aufgabe ist, das Neue radikal und sinnvoll zugleich in das Alte einzubetten und mit der Umgestaltung dieses Platzes dem Wiederaufbau Wiens Maßstab und Richtung zu verleihen.

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