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Stall, Park oder Hochhaus?

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Heuer im Juli jährt sich zum 300. Male der Geburtstag Johann Bernhard Fischer von Erlachs. Viele Gedenkaufsätze werden aus diesem Anlaß erscheinen, viele große Worte werden fallen. Sie werden bloße Worte bleiben, wenn wir uns nicht Gedanken darüber machen, wie wir etwas zur

Erhaltung seines Werkes tun können Ein solcher Anlaß, sich Gedanken zu machen, ist jetzt gegeben.

Eines der Meisterwerke Fischer von Erlachs, ja vielleicht der bedeutendste Profanbau überhaupt, den er schuf, ist das Palais Trautson in der Museumstraße im siebenten Wiener Gemeindebezirk, das in den Jahren 1710—1712 nach seinen Entwürfen als Gartenpalais erbaut wurde. Dieses Palais diente in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg der ehemaligen ungarischen Garde. Zu dem Palais gehören auch Stallungen, die erst viel später entstanden und heute als Geschäftslokale und Werkstätten adaptiert sind. Da man sie, ebenso wie das Palais selbst, verwahrlosen ließ, bieten sie heute einen jammervollen Eindruck. Allen, die um das Wiener Stadtbild besorgt sind, war es seit langem klar, daß diese ehemaligen Stallungen verschwinden müssen, um die Gartenfassade des Gartenpalais wieder sichtbar zu machen und so dem Stadtbild zu erschließen.

Es war daher zu begrüßen, daß das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, dem die Höfe und die ehemaligen Stallungen gehören, im vergangenen Herbst eine Ausschreibung vorbereitete, die eine Lösung für diesen wunden Punkt im Herzen Wiens bringen sollte.

Im einzelnen sah diese Ausschreibung folgende städtebauliche Gesichtspunkte vor:

1. Freilegung der historisch wertvollen Gartenfassade des Trautsonpalais.

2. Harmonische Einfügung der Neuanlage zwischen Trautson- und Auersperg-Palais.

3. Ein einwandfreier Anschluß an das Haus Lerchenfelder Straße 3, verbunden mit einer Verbreiterung der Straße.

4. Die Anlegung von Parkplätzen unter besonderer Berücksichtigung der gegebenen Verkehrsverhältnisse.

Die vorgesehene Neuanlage soll ein Amtsgebäude des Bundes werden, das das Statistische Zentralamt und das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen aufnehmen wird. Die erforderte Baumasse für dieses Amtsgebäude beträgt um 80.000 Kubikmeter; es müßten also bei bauklassenmäßiger Verbauung zwei Drittel des gegebenen Baugrundes herangezogen werden. Schon daraus wird ersichtlich, daß von einer tatsächlichen „Freilegung der Gartenfassade“ und einr „harmonischen Einfügung der Neuanlage“ nicht die Rede sein kann, und die Ausschreibung, wenn, sie diese tatsächlich im Auge hatte, als verfehlt anzusprechen ist Wahrscheinlich ging es ihr aber lediglich darum, diesen teueren Baugrund mit größtmöglicher Ausnutzung zu verwerten, ohne Rücksichtnahme auf das Stadtbild.

Achtunddreißig Architekten beteiligten sich an der Ausschreibung. Ihre Entwürfe sind jetzt im Erdgeschoß der Akademie der bildenden Künste ausgestellt.

Mit dem ersten Preis wurde ein Projekt der beiden Architekten Dipl.-Ing. Hanns K u n a t h und Dipl.-Ing. Georg L i p p e r t ausgezeichnet. (Lippert ist Miterbauer des neuen Heinrichshofes gegenüber der Oper.) Aus dem diesem Projekt beigegebenen Motivenbericht zitieren wir (Sperrungen vom Verfasser dieser Zeilen):

„Die wohl eindeutige städtebauliche Forderung, die häßlichen Silhouetten der Hinterfronten der Häuser der Mechitaristengasse zu verdecken, soll durch die Errichtung des elfgeschossigen Gebäudetraktes vor dieser störenden Hinterfront erreicht werden... Für den Gebäudeteil an der Museumstraße wird eine Zurücksetzung der Baulinie um zwei Meter für notwendig gehalten, um gegenüber dem historisch wertvollen Palais bescheiden (?) zu bleiben ...“

Weiter erscheint es den Planverfassern „wichtig, die meisterhafte Gartenfassade des Palais Trautson nicht nur durch eine 1; Meter breite nicht verbaute Fläche freizulegen, sondern diese Fassade über einen weiträumigen Hof, durch einen auf Stützen gestellten Bauteil, von der Lerchenfelder Straße aus sichtbar zu machen. Das Niveau des Gartenhofes ' wird durch Abgrabung um eine Geschoßhöhe g esenkt... Eine möglichst neutrale Haltung erscheint das Gegebene, um zwischen den beiden zeitlich auseinanderliegenden Nachbargebäuden“ bestehen zu können.

Dieser „Motivenbericht“ läßt einiges von dem Dilemma spüren, in dem sich die Planverfasser befanden. Die in der Tat vorhandenen häßlichen Feuermauern der Häuser in der Mechitaristengasse sollen durch ein Hochhaus abgedeckt werden, das diese noch um einiges überragen wird. Der vom Bundesdenkmalamt geforderte Respektabstand von 15 Metern zur Gartenfassade des Trautson-Palais wird als offenbar zu gering empfunden; ihm soll dadurch nachgeholfen werden, daß ein Bauteil des Amtshauses auf Stützen gestellt wird. Der schwierigen Aufgabe, ein modernes Bürohaus zwischen zwei historischen Palais zu errichten (die aber zeitlich gar nicht so weit auseinanderliegen, entstand doch das Auersperg-Palais, wahrscheinlich nach Entwürfen von Johann Lukas von Hildebrandt, im Jahre 1706; seine äußere Fassade wurde freilich im 19. Jahrhundert stark umgestaltet) — dieser Aufgabe kann man am wenigsten durch eine „neutrale“, unentschiedene Haltung gerecht werden. „Neutrale“ Haltung heißt in der Architektur fast so viel wie: Gesichtslosigkeit. Und die ist in der Architektur genau so vom Uebel wie anderswo. Die ausgestellten Planskizzen, die geschickt eine gemeinsame Wiedergabe von Gartenpalais und geplantem Hochhaus vermeiden — wir werden früh genug sehen, wie das dann aussieht! —, machen einen dementsprechend eintönigen Eindruck.

Besser gefällt das mit dem zweiten Preis ausgezeichnete Projekt der Architekten Dipl.-Ing. Josef W e n z und Dipl.-Ing. Otto E r h a r t. Auch sie erkennen richtig:

„Der in' der Ausschreibung geforderte Mindestabstand von der Gartenfront des Trautson-Palais bedeutet nach Ansicht der Verfasser keine Freilegung desselben. Insbesondere, da die Zufahrt eine Sackgasse bildet und die auf Symmetrie aufgebaute Barockfassade Großräumigkeit verlangt.

Eine geschlossene Hofverbauung schied daher aus.. .

Eine wirkliche Lösung freilich konnte auch das mit dem zweiten Preis ausgezeichnete Projekt nicht bringen. Denn sie war unmöglich. Ein Rundgang zwischen den Tafeln mit den vierzig Entwürfen, die alle kompakte Baukomplexe vor das feingegliederte Palais setzen, bestätigt das Urteil, daß wir von Anfang an hatten: hier haben nicht die Architekten versagt, sondern die Ausschreibung als solche war verfehlt. Die Architekten trifft nur insofern „Schuld“, als sie, nolens volens, gute Miene zum bösen Spiel machten und überhaupt mittaten.

Und doch hat diese Ausschreibung auch ein erfreuliches Ergebnis gezeitigt. Wir meinen damit ein Projekt, das keinen Preis erhielt. Es stammt von den Architekten Dipl.-Ing. Hans

G m e i n e r und Dipl.-Ing. Emil L a d e w i g. Diese beiden Architekten reichten zwei Varianten ein: eine, die den Wettbewerbsbestimmungen entspricht, und eine, die ihnen bewußt widerspricht, weil sie eben vom städtebaulichen Standpunkt nicht zu rechtfertigen sind. Diese Variante (die auf ein altes, bereits vor zwanzig Jahren bei einem anderen Wettbewerb preisgekröntes Projekt Ladewigs zurückgreift) bringt 1c e i n e Lösung für die geforderten Amtsgebäude (die hier vorgeschlagene Verbauung ist zu klein und würde wohl für ein Museum oder dergleichen genug Platz geben, nicht aber für zwei Aemter), aber sie bringt eine Lösung für das Palais Trautson.

Als einzige von allen eingereichten Arbeiten enthält sie wirklich eine Freilegung des Bauwerkes Fischer von Erlachs, in dem sie ihm gibt, was ihm gebührt: dem Gartenpalais seinen Garten.

Vor der Gartenfassade wird ein siebzig Meter breiter Park geschaffen, der einen wunderbaren Einblick auf die einundzwanzigachsige Gartenfront des Palais gewährt. Dieser Park wird bis zur Zweierlinie (Museumstraße) vorgezogen. Er soll in zwei Teile zerfallen: einen höheren und einen niederen Die Sala terrena, ein schöner Barocksaal im Palais (im Laufe der Zeiten uch einmal als Pferdestall verwendet), lag ursprünglich zu ebener Erde. Heute ist sie durch eine 3,80 Meter hohe Erdaufschüttung (dem allgemeinen Niveau, auf dem jetzt die Baracken im Hofe liegen) nahezu verdeckt und wirkt wie ein Keller. Diese Erdaufschüttung soll nun in einer Breite von vielleicht zwanzig Metern abgegraben werden, so daß die Sala terrena wieder zu ebener Erde liegen wird und vom Palais her als Zugang zum Park dienen kann. Die beiden Treppen, die jetzt in den Hof führen, sollen umgelegt und bis zum neuen Parkniveau verlängert werden. Der übrige, fünfzig Meter breite Teil des Parkes soll dann auf seiner jetzigen Höhe verbleiben. Stufen werden zu ihm hinaufführen.

Den Abschluß geeen die Feuermauern der Mechitaristengasse soll zunächst im Anschluß an das Palais (als Notlösung) eine Architekturmauer bilden, an die sich ein hakenförmiges Gebäude anschließen wird, das auch den Abschluß zur Lerchenfelder Straße bilden wird. Von der Lerchenfelder Straße aus soll aber auf jeden Fall ein Durchgang und Durchblick zu Park und Palais geschaffen werden.

Unter diesem nach französischer Art zu gestaltenden Garten kann eine Großgarage und ein Parkplatz geschaffen werden.

Zwei Fliegen mit einem Schlag: Wien bekommt seinen vornehmsten Park, der dem Mirabellgarten Salzburgs in nichts nachstehen muß. Und Wien bekommt ein Glanzstück der Barockarchitektur, die Gartenfassade des Trautson-Palais, die es durch ein Hochhaus für immer verlieren würde, wieder zu Gesicht. Außerdem wird ihr die sala terrena, berühmt durch die Deckenfresken von Chiarini, neu erschlossen.

Es kann in Wien, vor allem in der Inneren Stadt und in den unmittelbar angrenzenden Bezirken, nicht genug Grünflächen geben Von Jahr zu Jahr steigt der Verkehr, von Jahr zu

Jahr wird der Benzingeruch und der Gestank der Auspuffgase schwerer zu ertragen. Angesichts einer solchen Entwicklung ist die Anlage von Grünflächen kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit für “eine Stadt, die lebendig bleiben und nicht in ihren Abgasen ersticken will.

Es mag sein, daß dies nicht überall gerne gehört wird. Aber es ist so. Und wir werden deshalb nicht müde werden, es immer und immer wieder zu betonen! Die „Furche“ hat gegen die Verbauung des Karlsplatzes und gegen die Neuerrichtung des Heinrichshofes und bei vielen anderen Anlässen ihre Stimme erhoben — man hat sie gehört, aber man ist ihr nicht gefolgt. Heute, wo es zu spät ist, setzt sich auch' bei den Verantwortlichen die Einsicht durch, daß — beispielsweise — der jetzige Heinrichshof nicht hätte gebaut werden dürfen. Hier ist es noch nicht zu spät. Hier ist es noch möglich, daß die Einsicht siegt, ehe ein elfstöckiger Wolkenkratzer zwischen zwei wunderbaren alten Bauwerken errichtet wird. Hier kann noch etwas geschehen.

Ein Entwurf zweier Architekten, die als einzige den Mut hatten, gegen die herrschende Strömung, alles möglichst mit x-stockhohen Bürohäüsern zu vefbaUen (weil das am rentabelsten ist, eine Entwicklung, die bei Laien als „modern“ gilt, im Grunde aber das Gegenteil ist; jeder Eingeweihte, der die moderne Stadtplanung für die Großstädte Europas und der Neuen Welt kennt, wird lachen, wenn man ihm Hochhäuser im Stadtzentrum als „moderne“ Errungenschaft preist!), ein Entwurf liegt hier vor, der von seinen Verfassern den zuständigen Stellen „außer Konkurrenz zur Erwägung gegeben und zur Diskussion gestellt wird“.

Das sollen wir auch: über ihn diskutieren. Gerade heuer, im 300. Geburtsjahr Fischer von Erlachs.

Die Diskussion ist hiermit eröffnet.

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