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Zwischenfall in Polen

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Kürzlich wurden siebzig polnische Studenten der Universitäten Posen und Warschau von Staatspräsident Boleslaw Bierut mit dem silbernen Verdienstkreuz ausgezeichnet, weil sie als Teilnehmer eines akademischen Lagers „trotz den Repressalien verbrecherischer Elemente die begonnenen Arbeiten nicht unterbrachen und den Bezirk Petrikau (Piotrkow) erst verließen, als sie diese, wie vorgesehen, abgeschlossen hatten”. Der Anlaß für diese Ehrung ist ebenso mysteriös wie ungewöhnlich und verdient Beleuchtung.

Ende September versammelten sich in dem kleinen Dorf Sulejow bei Petrikau, das auf dem berühmten Pilgerpfad von Warschau nach der „schwarzen Muttergottes” von Czenstochau liegt, unter der Führung eines Assistenten der Lehrkanzel für Kunstgeschichte in Posen, des Magisters Ziegmunt Swiechowski, die eben ausgezeichneten Studenten und Studentinnen zu einem dreiwöchigen Kurs. Ihr vom Unterrichtsministerium erteilter Auftrag lautete auf Erforschung und Inventarisierung aller künstlerisch und historisch wertvollen Baulichkeiten, Denkmäler und Gegenstände im Bezirke Petrikau.

Als sich eine Partie dieser Studenten in der Pfarrei Kamiensk einfand, verbreitete sich in der katholischen Bevölkerung das Gerücht, die Fremden wären Angehörige der Sekte „Zeugen Jehovas”, die in der Ortskirche das Altarkreuz entweiht und auf dem Friedhof das Grabmal eines Prälaten verunreinigt hätten. Dabei hätten sie sich lästerlich benommen, seen mit dem Hute auf dem Kopf und mit Zigaretten im Mund durch alle Winkel der Kirche gewandert und hätten dem Tabernakel nicht die gebührende Ehrerbietung erwiesen. Zwei Tage später trafen in Kamiensk und auch in dem benachbarten Gorzkowice weitere Partien von Studenten zu dem gleichen Zwecke ein. In diesem Augenblick ertönte in beiden Orten die Feuerglocke und alarmierte die Einwohner. Von den Äckern strömten die Menschen herbei, umringten die Studenten und forderten Genugtuung für die Profanierung ihrer Gotteshäuser. In Kamiensk flüchteten die Studenten in ein Restaurant, wo sie von der erregten Menge belagert wurden. In. Gorzkowice kam es zu schweren Schlägereien auf der Straße; und nur der Waghalsigkeit eines Lastwagenchauffeurs gelang es, die Studenten auf seinem Auto unter einem Steinhagel zu entführen. Man lieferte vierzehn Studenten und den Leiter der Gruppe in das Krankenhaus von Lodsch ein, wo vier von ihnen noch immer mit schweren Verletzungen daniederliegen.

Über diesen blutigen Vorfall liegt natürlich nur eine amtliche Darstellung vor, die den Studenten das beste Zeugnis ausstellt und alle Behauptungen, sie hätten die religiösen Gefühle der Einwohner verletzt, zurückweist, mehr noch, von den Studenten wird gesagt, sie seien in der Mehrzahl selbst gläubige Katholiken. Beim Verhör wiederum hielten viele Teilnehmer des Aufruhrs ihre Aussage aufrecht, daß die Fremden sich anders betragen härten, als es einer heiligen Stätte angemessen sei.

In anderen Ländern und unter einem anderen Regime müßte man das letzte Wort dem Gericht lassen. Hier aber verarbeiten die Richter nur die von der Polizei präparierten Protokolle. Sie werden es in diesem konkreten Falle sehr schwer haben, die Wahrheit zu finden, zumal sich nach dem Abklingen des ersten Schocks bereits die Politik des Zwischenfalls bemächtigt hat. Zuerst gab die kommunistische „Glos Ludu” das Stichwort, das seither im ganzen Lande wiederholt wird: „In Kamiensk und Gorzkowice ist die mittelalterliche Finsternis zur Offensive angetreten.” Nach dieser Meinung hat ein unterirdisch schwelender Haß gegen die Volksdemokratie das polnische Dorf in ein Pulverfaß verwandelt. Das Regierungsblatt „Rzeczpospolita” („Republik”) spinnt diesen Faden weiter: „Wer jemals Gelegenheit nahm, in einer Kirche der Provinz zu verweilen, muß zugeben, daß viele unserer Kirchen und Klöster sich in eine wahre Schule des Hasses verwandelt haben. Wer aber sät diesen Haß?” Das Blatt ist um eine Antwort auf diese Frage nicht verlegen. „Man muß es offen sagen, daß dieser Haß leider von jenen Kreisen sanktioniert wird, die für Klerus und Kirche verantwortlich sind.” Diesen hochgestellten Kreisen müsse .mit einer großen demokratischen Gegenoffensive geantwortet werden.

Ehe also noch Schuld oder Unschuld, Absicht oder fatales Mißverständnis von Kamiensk und Gorzkowice streng und gerecht geordnet sind, wird bereits ein massiver Angriff gestartet. Es ist überall dieselbe Methode zu demselben Ziel.

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