Man hat es dieser Tage nicht leicht als Katholik, der - immer noch - davon überzeugt ist, dass sich die eigene Kirche auf dem Weg, den das II. Vatikanum begonnen hat, weiterbewegen und -entwickeln sollte.
Dass die innerkirchlich an Boden gewinnenden (erz)konservativen Seilschaften unsereinen als "liberal" oder "protestantisch" brandmarken und das als Schimpfworte meinen, ist man längst gewohnt. Dazu kommen dann noch Attribute wie "papstfeindlich" oder "die Lehre verratend": Solches wollen wir ja mit Langmut quittieren.
Missmutig stimmt uns aber, dass sich auch eine seltsame Allianz zwischen den Rechtskonservativen in der Kirche und links(liberal)en Agnostikern bildet. Tenor der Kritik der Ungläubigen: Wem die katholische Kirche und ihre Positionen nicht passen, der soll sich darüber nicht aufregen, sondern kann ja austreten. Christian Rainer etwa richtete uns das schon vor Wochen im profil aus: Kritik an den Positionen des Wiener Kardinals aus den genannten Gründen "skurril". Zuletzt fuhr Falter-Feuilletonchef Klaus Nüchtern mit noch stärkerem Tobak auf. Er fragte: "Wozu braucht die Welt eigentlich einen liberalen Papst?" und desavouierte im gleichen Atemzug "liberale Katholiken" als ein "bisschen feig und intellektuell ein wenig verwahrlost".
Facetten der Religionskritik
Wir könnten solche Schmähung ja postwendend an den Autor zurückgeben. Aber hinter der Pose verbirgt sich doch ein veritables Problem des intellektuellen Zeitgeistes.
Zum einen könnte man eine impertinente Facette aktueller Religionskritik ausmachen: Religion darf demnach nur in ihrer besonders reaktionären Spielart existieren. Da hat Religionsfeindlichkeit dann leichtes Spiel, die Fundamentalismen dieser Welt auszuhebeln. An den Lefebvrianern kann man dann sein Mütchen kühlen und in Jubel ausbrechen, man habe schon immer gewusst, wes Geistes Kind etwa die katholische Kirche wirklich sei.
Unsere Vermutung geht allerdings in eine andere Richtung, zumal oben aufgezählte Beispiele sich beliebig fortsetzen lassen. Denn manche Allianz zwischen agnostischem Feuilleton und konservativer Kirchenlinie ist nicht erst in den Turbulenzen der letzen Wochen sichtbar geworden, sondern liegt im Trend: Ja auch in den hehren Denkstuben der Intellektuellen herrscht Ratlosigkeit. Nichts gilt absolut. Die Unübersichtlichkeit ist übermächtig. Woran soll man sich da noch halten?
In Zeiten solcher Unsicherheit können dann auch Ungläubige Institutionen hochhalten, die auf ewige Wahrheiten pochen. Auch wer vorgibt, diese Wahrheiten nicht zu teilen, hält sich dann an den Pflöcken fest, die in den Sumpf der Zeit eingeschlagen sind und sich im Wabern des Zeitgeistes wie Felsen in der Brandung gerieren: "Selbst dezidierte Atheisten und Agnostiker halten es irgendwie für total wichtig, was der Papst so von sich gibt." So liest sich das etwa bei Klaus Nüchtern.
Eine trügerische Weltsicht
Doch diese Weltsicht ist trügerisch und beruht - mit Verlaub - auf einer gehörigen Portion Denkfaulheit. Denn natürlich gibt es den Fels "ewiger" Wahrheiten und Werte nicht im abstrakten Sinn. Sondern die Wahrheit, auch die religiöse, muss immer in einer Auseinandersetzung mit der je aktuellen Zeit errungen werden. Auch die Religions- und Kirchengeschichte zeugt davon. Die katholische Kirche hätte beispielsweise sonst nie und nimmer Ja zu Menschenrechten und Religionsfreiheit sagen oder ihrem jahrhundertealten Antijudaismus abschwören können.
Um nichts anderes geht es einem Katholiken, der sich an der Schule des II. Vatikanums orientiert. Das hat nichts mit Wahrheitsvergessenheit oder irgendeiner "Anpassung an den Zeitgeist" zu tun. Sondern gehört zu einer intellektuell redlichen Auseinandersetzung, die mit der eigenen Kirche und deren Lehramt zu führen ist.
Aber gleichzeitig gilt es, den Denunziationen eines "liberalen Katholizismus", denen man von links(liberal) ausgesetzt ist, klar und deutlich zu widersprechen. Ehrlich gesagt: Wir sind schon erstaunt über die Schlichtheit der Argumente, welche die Kritiker den kirchlichen "Modernisten" da entgegenschleudern.
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