Versuche, den Tod zu bannen

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Unter dem Titel "exitus" vermittelt das Wiener Künstlerhaus Einblicke in die Kulturgeschichte des Todes.

Das Leben ist nicht immer nur ein langer ruhiger Fluss. Eher ist es dadurch charakterisiert, dass alles ständig in Bewegung ist, ein beharrliches Hin und Her, wesentlich öfter leider auch ein Auf und Ab. Die wahren Gesetzmäßigkeiten dieser Fluktuation bleiben mehr oder minder unergründlich, die letzten Sicherheiten unerreichbar. So ist das Leben eben - mit einer großen Ausnahme: Denn ist auf alles andere im Leben kein wirklicher Verlass, der Tod ist als einziger sicher. Nur verständlich, dass man diese einzige Sicherheit, die das Leben bietet, zu einem wertvollen Kulturgut gemacht hat. Einen Einblick in die Kulturgeschichte dieser Absicherung des Lebens gewährt derzeit eine Ausstellung im Künstlerhaus.

Betrachtungssärglein

Wenn das Jahr in den Herbst einschwenkt, um sich - vor dem eigenen Tod - zu Allerheiligen der prinzipiellen Sterblichkeit bewusst zu werden, und gleichzeitig die Wiener Bestattung als kommunales Unternehmen hundert Jahre feiert, so ist das sicher Anlass genug, einige Versuche, die Allmächtigkeit des Todes in kulturelle Muster zu bannen, in einem Überblick zu versammeln. Was in mehr oder minder gescheiten Abhandlungen als ein zweiter kulturgeschichtlicher Blick auf einen Teil der Kulturgeschichte leicht zu einem richtigen, aber irrelevanten - oder einem richtig irrelevanten - Schwadronieren über die Elaborate dieser Kulturgeschichte verkommen kann, ist hier von vornherein unmöglich. Denn die Artefakte selbst erzählen diese Geschichte, die dazugehörigen Texte dienen bloß der Ergänzung, auch dann, wenn sie wie ein Schlüssel zu einem Aha-Erlebnis führen.

Unzählige Generationen der menschlichen Spezies haben sich an ihrem bevorstehenden Tod abgearbeitet. Die Ausstellung im Künstlerhaus bedient sich jener vier Kategorien, die Philippe Ariès in seiner "Geschichte des Todes" ausgearbeitet hat. Demnach machen sich die Menschen zunächst einmal den Tod bewusst, indem sie Symboliken des Memento mori oder der Vergänglichkeit entwerfen. Dann entwickeln Menschen irdische Einsprengsel in die Ewigkeit, die der Vergänglichkeit in Form von Monumenten der Erinnerung entgegenwirken. Drittens bieten Vorstellungen aus den Religionen über das Leben nach dem Tod starke Motive, den Tod als Übergang, als zweite Geburt in ein ewiges Leben zu interpretieren. Zuletzt gilt es aber auch die Verwobenheit des Todes mit dem Bösen, vom so genannten Sündenfall bis zu den Höllenvisionen, mit in Betracht zu ziehen.

Und tatsächlich passen sich die Ausstellungsstücke in diese Kategorien ein. Betrachtungssärglein aus dem 18. Jahrhundert konnte man zu jeder Gelegenheit aus der Westentasche holen, den Deckel abnehmen und anhand der darin befindlichen Puppenleiche über die eigene Vergänglichkeit meditieren. Oder man tat dies anhand von Elfenbeinbüsten, deren eine Gesichtshälfte als Porträt ausgeführt war, die andere jedoch als Totenschädel. In jüngerer Zeit nimmt diese Strategie Rudolf Schäfer in seiner Fotoserie "Der ewige Schlaf: Visage des morts", die entspannte Gesichter von Verstorbenen zeigt, ebenso auf wie Lucinde Devlin, die sich in ihren "Omega Suites" einer ganz anderen Form der Lebensbeendigung stellt, nämlich jener der elektrischen Stühle und Giftspritzenzellen. Die Beispiele aus dem Jugendkultarchiv von Birgit Richard belegen die Allgegenwart des Todes anhand der modischen Accessoires von Jugendlichen, die nicht einmal den Slogan von "No Future" mehr ernst nehmen.

Der Sarg als Wiege

Aber bereits hier zeichnet sich der Übergang zur Erinnerungskultur ab. Hierzu sorgte im neuen Medium der Fotografie in unseren Breiten erstmals Albin Mutterer für Furore, der Mitte des 19. Jahrhunderts Tote festhielt, in Posen, die sie als noch Lebende zeigten. In der ländlichen Kultur bemalte man damals Totenschädel mit Motiven aus der Bauernmalerei oder beschriftete sie mit dem jeweiligen Namen kalligrafisch. Totenmasken, die man den Verstorbenen abnimmt, zeugen ebenso von der Notwendigkeit der Erinnerung wie die Versuche von Arnulf Rainer, den Fotografien von Totenmasken durch Übermalung zumindest eine grafische Lebendigkeit einzuhauchen. Den letzten Schrei der Erinnerungskultur bildet die Möglichkeit, aus der Asche eines lieben Verstorbenen einen Diamanten herstellen zu lassen, den man dann entweder in der Schatulle auf den Kaminsims stellen oder in einen Ring einsetzen lassen kann.

Von der Schlechtigkeit des Menschen - vielleicht als Voraussetzung für den Tod - erzählen das "Zertrümmerte Haus" von Otto Dix genauso wie die überzeugenden Übertragungen von mittelalterlichen Totentanzsequenzen in eine heutige Formensprache durch Herwig Zens und Lisa Huber. Hier deuten sich auch jene religiösen Motive an, die unzählige Partezettel zieren. Auferstehungshoffnungen werden aber auch ganz "unklassisch" formuliert. Tone Fink baut einen "Rüttelsarg", den man wie eine Wiege schaukeln kann. Rilkes elegische Verszeile "Ich wollt, sie hätten statt der Wiege / mir einen kleinen Sarg gemacht" wird aufgeschaukelt zum Tod als zweite Geburt. Curt Stenverts "Die Form zerfällt, die Materie bleibt" zeigt den sich auflösenden menschlichen Körper - aber eben wieder in der sehr spezifischen Form von Materie symbolisierenden Kugeln und Verbindungszylindern. Andreas Spiegel schließlich baut einen Sarg als Kokon und greift damit ebenfalls das Motiv des Sterbens als Aufbruch zu neuem Leben auf.

Uneinholbarkeit des Todes

Trotz dieser Belege unterwandert Jacques Derrida, der philosophische Meisterdenker, in seinen "Aporien. Sterben - Auf die, Grenzen der Wahrheit' gefaßt sein" diese Kategorien, wenn er in direkter Abgrenzung zu Ariès schreibt: "Es kann eine Anthropologie oder eine Geschichte des Todes, Kulturtheorien des Ablebens, Ethnologien der Todesriten, des rituellen Opfers, der Trauerarbeit, des Begräbnisses, der Vorbereitung auf den Tod, der Zubereitung des Toten, der Sprachen des Todes im allgemeinen, der Medizin, etc. geben. Aber es gibt keine Kultur des Todes selbst oder des eigentlichen Sterbens." Der Tod bleibt trotz seiner Allgegenwart und seiner ständigen Anwesenheit an allen Orten und in allen Zeiten des "normalen" menschlichen Lebens mit gleicher Absolutheit "draußen". Uneinholbar, ein Ereignis, das immer nur gewesen sein wird. Um das dennoch zeigen zu können, hilft nur ein beherzter textlicher Exitus. Aus, Schluss, Ende.

exitus. tod alltäglich

Künstlerhaus

Karlsplatz 5, 1010 Wien

Bis 6. 1. 2008 täglich 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog: Wittigo Keller, Peter Bogner (Hgg.), Exitus. Tod Alltäglich. Wien 2007, 184 S., € 27,80

Siehe zum Thema auch den Bericht über die Ausstellung "¡Viva la Muerte!" in der Kunsthalle Wien auf S. 20.

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