Wie böse ist der Mammon?

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Anleitungen zum guten Wirtschaften finden sich in jeder Religion: Das wurde beim Symposion "Weltreligionen und Kapitalismus" des Club of Vienna deutlich. Um so drängender ist die Frage, wie man diese Normen konkret umsetzen soll.

Wie sollen sich religiöse Leitlinien zum rechten Wirtschaften in der realen Ökonomie niederschlagen? Diese zentrale Frage stellte sich Donnerstag und Freitag vergangener Woche beim Symposium "Weltreligionen und Kapitalismus" des Club of Vienna. Schließlich scheinen religiöse Quellen gerade zum Thema Wirtschaftsethik viel zu sagen zu haben. Ob das Gesagte freilich auch ernst genommen wird, ist ein anderes Thema. Eine Teilnehmerin des Symposiums brachte dieses Problem nach der Hälfte des ersten Tages auf den Punkt: "In dem Moment, wo Religionen zu sprechen beginnen, hört man oft: Ihr wisst ja auch nichts!", zeigte sich die Dame aus der ersten Reihe verärgert über häufig geäußerte Vorurteile.

Koran gegen Zinsen

Die Ökonomin Gülmihri Aytac kann solche Vorurteile freilich schon durch ihre Profession zerstreuen. "Für die Muslime ist der Kapitalismus in seiner heutigen Form eine Ungerechtigkeit, und sie haben die Verantwortung, etwas dagegen zu unternehmen", erklärte sie im Rahmen ihres Vortrags. Die geborene Türkin, die in Wien auch islamische Religion unterrichtet, verwies auf den Koran, der Spekulation, Monopolbildung, aber auch die Annahme und Vergabe von Zinsen klar verbietet. Gerade das Zinsverbot werde von gläubigen Muslimen streng eingehalten, indem sie etwa kein Sparbuch hätten. "Wenn sie eines haben müssen, spenden sie die Zinsen, oder lassen sie in der Bank zurück", erklärte Aytac im Gespräch mit der furche. Eine weitere Vorschrift, die laut Aytac verbreitet eingehalten wird, ist die Zakat, eine Sozialabgabe. 2,5 Prozent ihres überschüssigen Vermögens müssen Muslime für soziale Zwecke spenden. Der Friedensforscher Johan Galtung habe vorgeschlagen, diese Regelung in die Charta der Menschenrechte zu übernehmen. "Eine Forderung, der ich mich nur herzlich anschließen kann", meinte Aytac.

Der Islam sei jedoch keine kapitalismusfeindliche Religion - er vertrete das Prinzip des "mittleren Weges": mehr Gewinn bedeute höhere Verantwortung. Hier sieht die Muslima starke Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen - sie habe jedoch den Eindruck, dass sich etwa christliche Vertreter heute nicht so recht trauen würden, ihre Stimme zu erheben.

Bedingungslose Solidarität

Mehr Mut zur Politik - das forderte auch Hansjörg Lein, evangelischer Superintendent von Wien, von den christlichen Kirchen. Als Titel für seinen Vortrag wählte er das Bibelzitat "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!". Jesus habe eine bedingungslose Solidarität mit den Armen gelebt, das werde besonders im Lukas-Evangelium erkennbar. "Seine Botschaft ist ziemlich eindeutig, da kommen wir nicht herum", erklärte Lein. Für die evangelische Kirche liege diese Verantwortung aber auch in der Nachfolge Martin Luthers. Der Reformator habe sich gegen den "Mammon", also unredlich erworbenen Gewinn, als "allergemeinsten Abgott auf Erden" gewandt. Für Luther sei jeder, der Geld angehäuft habe, ein Wucherer gewesen. "Luther machte die ethische Frage der Ökonomie zu einer theologischen. Gott selbst steht hier zur Diskussion", so Lein. Die Ökonomie habe keine Eigengesetzlichkeit - es sei daher möglich, Widerstand zu leisten. Die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes habe sich 2003 gegen die neoliberale Ideologie ausgesprochen. Und auch die 14 christlichen Kirchen Österreichs hätten im Ökumenischen Sozialwort ein klares Zeichen gesetzt und analog zur wirtschaftlichen Globalisierung eine "Globalisierung von Rechten" gefordert. "Die Theologie muss die Gottesfrage stellen: Gott oder Mammon". Darüber hinaus müssten sich auch die evangelischen Kirchen selbstkritisch fragen: "Kümmert ihr euch um das, was in der Weltwirtschaft vor sich geht?"

Theoretischer blieb der polnische Soziologe Slawomir Partycki von der Katholischen Universität Lublin, der sich dem Thema "Pro und Kontra Neoliberalismus" aus der katholischen Perspektive annäherte. "Die Aufklärung hat zu Beginn zwar ihre religiösen Quellen erkennen lassen, stellte aber auch eine Wende zum Kapitalismus dar", erklärte Partycki. Im Relativismus der Aufklärung werde Gott übergangen. An der Wende zum 21. Jahrhundert sei das besonders spürbar: Es entstehe, wie es der Soziologe Manuel Castels beschrieben hat, eine "Netzwerkgesellschaft", in der Religion nur eine von vielen Optionen darstellt, erklärte Partycki, der in Lublin einen Lehrstuhl für soziale Mikrostrukturen und Theorien inne hat.

"Man muss die katholische Soziallehre auf die heutige Situation beziehen", forderte der Universitätsprofessor. Auch heute müsse, entsprechend den Aussagen in den vatikanischen Sozialdokumenten, der "ganze Mensch" mit seinen materiellen, aber auch spirituellen Bedürfnissen im Blick bleiben. "Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss die derzeitigen Entwicklungen auf die Identität des Menschen haben." Durch den heutigen "Netzwerk-Individualismus" verstehe sich der Mensch als Ware, die Religion werde so an den Rand des individuellen Bewusstseins gedrängt. Dabei brauche der Mensch gerade in Zeiten, wo sich Raum und Zeit auflösen, einen sicheren Begleiter. "Die Ansichten der Relativisten sind zu verwerfen, weil sie die menschlichen Universalwerte nicht anerkennen", fasste Partycki seinen Vortrag zusammen.

Einen ganz anderen Blick auf die Beziehung zwischen Religion und Kapitalismus bot Klaus Davidowicz, Professor für Judaistik an der Universität Wien. Anhand von historischen Fakten schilderte Davidowicz, wie mit den Anfängen des Kapitalismus auch die Stereotype des geldgierigen Juden entstanden seien und bis heute anhalten würden. Diese Bilder seien im Wesentlichen auf den "modernen Antisemitismus" des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, den man im Zusammenhang mit der Industrialisierung und dem enormen Anstieg des jüdischen Bevölkerungsanteils in Europa sehen müsse. "Die Juden erhielten zwar alle ihre Ghettoeigenschaften, aber wurden auf einmal auch zu unglaublichen Supermenschen", beschrieb Davidowicz anhand von Deutschland und Österreich die damaligen Feindbilder: "Sie seien unglaublich reich, hätten die Presse, Kunst und Literatur in der Hand und seien darüber hinaus natürlich die geheimen Herrscher der Welt". Tatsache sei, dass etwa die Familie Rothschild, die im 19. Jahrhundert für ihren Reichtum berühmt war, eher die Ausnahme gebildet habe. Ein Großteil der Juden habe an Armut gelitten. "Warum stechen die Rothschilds immer noch ins Auge? Weil der Antisemitismus immer noch existiert", zog Davidowicz eine bittere Bilanz.

Aus welchem Grund ist der Judaistik-Professor mit seinem Vortrag so deutlich vom Rest der Veranstaltung abgewichen? "Wenn die Vertreter der Religionen ihre Idealvorstellungen hernehmen, dann ist das meistens sehr hübsch und gefällig, aber es ist schwer, etwas für den Alltag herauszuziehen", begründete Davidowicz seine Zugangsweise im Gespräch mit der furche. Er sei bewusst ausgeschert, um bei den Teilnehmern einen Nachdenkprozess auszulösen.

Keine Gleichmacherei

Als letzter Vertreter der Religionen brachte Gerhard Weißgrab, Vorstandsmitglied der Buddhistischen Gemeinde Österreichs, die Lehre des Buddha in die Diskussion ein. Der Buddhismus weise auch in ökonomischer Hinsicht einen "Weg der Mitte", erklärte Weißgrab - und man fühlt sich an das islamische Prinzip des "mittleren Weges" erinnert. Zwar habe die Lehre des Buddha eine eher ablehnende Haltung zum privaten Eigentum. "Die Anerkennung des natürlichen Pluralismus widerspricht aber der marxistischen Gleichmacherei", führte Weißgrab aus, der hauptberuflich im Bereich des Rechnungswesens bei der Erste Bank arbeitet. Der Buddhismus gebe keine zentralen Dogmen vor, den richtigen Weg müsse jeder Mensch selbst erkennen. Das gelte auch für eine angemessene Form des Wirtschaftens, meinte Weißgrab und erinnerte an den berühmten Ausspruch des Buddha: "Ich zeige Dir den Weg, gehen musst Du ihn selbst".

Der im Symposion aufgeworfenen Frage, wie man religiöse Forderungen an die Ökonomie umsetzen soll, sind die Teilnehmer in diesem Sinne sicher näher gekommen.

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