Trumpisten - © Foto: APA/AFP/Saul Loeb

US-Wahl: Donald Trumps treue Wähler

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Auch wenn Trump in Umfragen geschlagen scheint – seine Fans haben schon 2016 eine ähnliche Situation zu seinen Gunsten gedreht. Über den Influencer-Präsidenten und seine Macht aus der Schweigespirale.

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Auch wenn Trump in Umfragen geschlagen scheint – seine Fans haben schon 2016 eine ähnliche Situation zu seinen Gunsten gedreht. Über den Influencer-Präsidenten und seine Macht aus der Schweigespirale.

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Ob Donald Trump oder Joe Biden aus der US-Wahl als Sieger hervorgehen wird? Ich bin Wissenschaftler, nicht Wahrsager. Deshalb traue ich mir kein Urteil zu – trotz aller demoskopischen Prognosen. Es gibt Erkenntnisse, die Zweifel am sicheren Sieg von Biden nähren – auch wenn die Meinungsforscher und auch viele Journalisten seit Wochen einen Sieg der Demokraten prognostizieren, übrigens ganz ähnlich wie schon vor vier Jahren.

Für Trump spricht schlichtweg dessen Omnipräsenz in den Medien. Zu ihr verhelfen ihm nicht zuletzt immer wieder Journalisten, wenn sie seine oftmals absurden Tweets weiterverbreiten – meistens lustvoll und hämisch, aber stets Aufmerksamkeit generierend. Müsste Trump für seine Fake News und Provokationen, mit denen er sich unentwegt Gratis-Sichtbarkeit in den Medien sichert, in Form von Werbespots bezahlen, wären er und seine Wahlkampfmanager längst pleite. Die Washington Post hat inzwischen über 20.000 falsche oder missverständliche Statements von Trump während seiner ersten Amtszeit gezählt. So zuverlässig, wie die Medien diese weiterverbreitet haben, so berechenbar war Trumps tägliche Reality-Show im Fernsehen – und zwar nicht nur bei seinem stockkonservativen Lieblingssender Fox, sondern auch bei MSNBC, CNN und anderen Sendern im gegnerischen Lager.

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Das führt zu einer These, die der Filmwissenschaftler Hediger kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgestellt hat: Trump sei „zunächst eine Medienfigur, die Fanloyalität auf sich zieht, die ihn gegen die Diskrepanz zwischen seinem Image und seinem Leistungsausweis immun macht“. Man dürfte seine Anhänger „nicht primär als herkömmliche, rational ihre Eigeninteressen mit dem politischen Programm eines Politikers verrechnende Wähler“ verstehen, „sondern eben als Fans, die sich zu ihm als Star verhalten“.

Schweigespirale

Ob man unter solchen Bedingungen Wahlen gewinnen kann, indem man wie Joe Biden möglichst unsichtbar bleibt? Indem man darauf hofft, dass sich der Gegner selbst aus dem Rennen katapultiert? Zwei weitere wissenschaftliche Einsichten sprechen dagegen. Sie sind beide nicht taufrisch, aber valide: Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat schon in den 80er Jahren auf die „schweigende Mehrheit“ aufmerksam gemacht, die aus Isolationsfurcht gegenüber der Öffentlichkeit mit der eigenen Meinung hinter dem Berg hält – und häufig auch gegenüber Demoskopen nicht ihre wirkliche Ansicht preisgibt.

Diese schweigende Mehrheit fühlt sich von den wortgewaltigen Hütern der veröffentlichten Meinung eingeschüchtert. Tatsächlich sehen sich ja viele Medienschaffende inzwischen nicht mehr als Gralshüter unvoreingenommener Wahrheitssuche, sondern – bis in die höheren Ränge der New York Times und der Washington Post hinauf – als Aktivisten, die in der Tradition des Philosophen und Kommunistenführers Antonio Gramsci um „kulturelle Hegemonie“ kämpfen. Sie erwecken gerne den Eindruck, sie repräsentierten die „Wahrheit“ der Mehrheit. Bei denjenigen, die diese Wahrheit nicht teilen, entsteht dann eine „Schweigespirale“, die tatsächliche Mehrheiten verschleiert. Das Konzept erklärt schlüssig, weshalb Wahlprognosen und -ergebnisse so oft stärker voneinander abweichen als die üblichen drei Prozent Fehlerquote bei Umfragen.

Donald Trump ist wohl der weltweit genialste und sichtbarste Influencer von allen – so proletenhaft, so ungebildet und so skrupellos er vielen auch erscheinen mag.

Zweitens hat der Wiener Sozialforscher Georg Franck seine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ soeben in einem neuen Buch weiterentwickelt. Es ist „Vanity Fairs“ betitelt, sprich: Es geht um Jahrmärkte der Eitelkeiten. Auf ihnen tummeln sich tagtäglich auch viele von uns Normalbürgern, zum Beispiel auf Instagram, TikTok, YouTube und Facebook. Am sichtbarsten tun das aber eben „Influencer“ sowie notorische Selbstdarsteller. Ihnen gelingt es erstaunlich oft, ihre mediale Präsenz und Prominenz auch in Geldeinkommen oder eben in Wählerstimmen zu verwandeln. Donald Trump ist wohl der weltweit genialste und sichtbarste von allen – so proletenhaft, so ungebildet und skrupellos er vielen erscheinen mag.

Forscher versuchen nicht nur das Phänomen Trump zu erklären, sie haben sich im derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf auch mehr denn je eingemischt. Sogar die angesehensten wissenschaftlichen Fachzeitschriften bezogen Position: Erstmalig in den 175 Jahren ihrer Geschichte hat die Scientific American eine Wahlempfehlung, ein sogenanntes Endorsement, abgegeben. Nature ist ihr gefolgt, und auch Science und das New England Journal of Medicine haben in Editorials entschieden gegen Donald Trump Position bezogen.

Streitlust und streitkunst russ-mohl - © Foto: Herbert von Halem 2020
© Foto: Herbert von Halem 2020
Buch

Streitlust und Streitkunst

Diskurs als Essenz der Demokratie
Von Stephan Russ-Mohl (Hg.)
Herbert von Halem 2020
400 S., TB, € 28,80

Vier Wochen vor der Wahl sind außerdem rund 70 Politik- und Medienforscher mit Empfehlungen an die Journalisten herangetreten, was sie bei der Berichterstattung über die Wahl tun und was sie besser unterlassen sollten. Dies ist löblich, weil Wissenschaftler ja seit Jahr und Tag auf Defizite im medialen Umgang mit Wahlkampf hinweisen – und bei der jeweils nächsten Wahl diese guten Ratschläge meist schon wieder vergessen sind.

Die Forscher erinnern an den Einfluss, den Medien und Journalisten gerade bei Wechselwählern und bei knappem Wahlausgang haben können. Sie empfehlen insbesondere, Statements, die nicht substantiiert sind, weniger Aufmerksamkeit zu schenken – im Klartext geht es vor allem um Trumps Tweets. Außerdem sollten die Journalisten aufhören, ihre Wahlberichterstattung als „Pferderennen“ zu inszenieren – weil gerade das für die Wähler keine nützliche Information enthalte, sondern sie im Gegenteil verwirren und demobilisieren könne.

Was, wenn es Unruhen gibt?

Was indes irritiert – und eben auch hellhörig im Blick auf den Zustand der amerikanischen Demokratie macht: Nur drei Seiten des Memorandums beschäftigen sich mit der Schlussphase des Wahlkampfs, und zwar vor allem mit „Versuchen, die Wahl zu unterminieren“. Danach sind ganze acht Seiten der Frage gewidmet, was Journalisten tun sollen, wenn das Wahlergebnis infrage gestellt wird, wenn es unklar ist, wenn ein Kandidat seine Niederlage nicht eingesteht und wenn nach der Wahl zivile Unruhen ausbrechen sollten. Hoffen wir einfach mal, dass die Redaktionen auf diesen Teil der Forscher-Empfehlungen nicht zurückgreifen müssen.

Es ist indes merkwürdig, dass gerade Journalisten die Durchschlagskraft und Wirkungsmacht von Dauermedienpräsenz unterschätzen. Neben Corona ist in Amerika wohl nichts und niemand in den Medien so allgegenwärtig wie der amtierende Präsident. Wir sollten nicht allzu überrascht sein, falls sich dies auch im Wahlergebnis niederschlägt.

„Game over“ ist das neue Buch des Amerikanisten Tobias Endler betitelt. Der Autor ist klug genug, das nicht auf Trump zu beziehen. Er sieht dessen Präsidentschaft nur als Episode im Auflösungsprozess des Westens, auf den sich der Buchtitel und Untertitel beziehen. Da ist es fast schon egal, ob Trump wiedergewählt wird oder nicht.

Der Autor ist emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Universität Lugano.

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