6610156-1954_46_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Welt Boeckls und die Welt Altamerikas

Werbung
Werbung
Werbung

Wien hat eine neue kleine Galerie. In den Räumen der ehemaligen Neuen Galerie in Wien I, Grünangergasse l II, hat der Katholische Akademikerverband die Galerie S t. Stephan eingerichtet. Die Galerie steht unter der Leitung von Msgr. Otto Mauer. Sie eröffnete mit einer Herbert-Boeckl-Ausstellung und will dann der Reihe nach Kubin, Chagall, Braque und eine Schau primitiver Plastiken bringen. Die Neue Galerie ist umgezogen und wird in den Nachbarräumlichkeiten in verkleinertem Umfang ihre Ausstellungstätigkeit fortsetzen.

Die erste Ausstellung der Galerie St. Stephan ist Herbert B o e c k 1 gewidmet und so gerade die rechte Ergänzung zur Ausstellung moderner christlicher Kunst in der Wiener Secession. Sie zeigt. Gemälde, Aquarelle und Handzeichnungen des Meisters aus letzter und früher Zeit. Durch sie wird Boeckls. Weg, wenn auch nur in Umrissen, sichtbar: von den Aktzeichnungen in Kohle aus dem Jahre, 1919 über die abstrakter scheinenden Aquarelle, der Jahre 1949—1951 (aus dieser Periode auch noch: „Dominikaner") bis zu den Bildern aus Spanien, die das menschliche Gesicht und die menschliche Gestalt neu entdecken. Was wir an den Aquarellen zuerst bewundern müssen, ist die Frische und Leuchtkraft der Farben. Gegenstand dieser Aquarelle sind durchweg Landschaften: Häuser am Wald, Bergkuppen und -rücken. Zunächst scheinen diese Bilder vom Gegenständlichen wegzuführen und zu einer abstrakten Farb- und Formspielerei hinzutendieren. Betrachten wir sie aber im Zusammenhang mit den ändern Bildern der Ausstellung, so wird deutlich, daß in den Formen der Bilder versteckt und nebelartig schon neue, kommende Formen innewohnen. So ist auch das Wolkenhafte der Bilder zu verstehen: eben aus dem Vorgang der Verdichtung, der Zusammenziehung, der neuen Gestaltwerdung.

Die kostbarsten Blätter der Ausstellung sind die in Spanien entstandenen Aquarellstudien nach romanischen Fresken. Sie sind als die innere Vorbereitung Boeckls auf sein Hauptwerk, die Ausgestaltung der Abtei Seckau, zu verstehen. Es ist ein altes Bild der Wiederkehr, der Weitergabe der Verwandlung: Das Werk der Toten inspiriert und befruchtet das Werk des Lebenden. Diese Blätter, die durchweg 1953 entstanden sind, sind nicht, wie mehrfach in der Beschriftung angegeben erscheint, bloße Kopien bestehender Fresken spanischer Kirchen. Sie sind vielmehr lebendige Impressionen, in denen auch die schadhaften, abgebröckelten und verputzten Stellen dieser Fresken organisch mit der Figur der Bilder verwachsen scheinen. Die meisten Aquarelle sind auf Bleistiftvorzeichnungen entstanden. Dadurch haben sie das Moment der unmittelbaren Niederschrift, der Skizze. In Spanien entstand auch das einzige Oelbild der Ausstellung: „Die heilige Therese von Lisieux". Spanisch nicht nur die dunkelgelben Farben des Südens und der Kontrast eines tiefen Braun mit einem strahlenden Blau, sondern auch die Steilheit der Gestalt.

Eine sehr schöne Ausstellung ist im Oester- reichischen Museum für angewandte Kunst (Eingang: Weiskirchner-

Straße) zu sehen. Sie zeigt uns unter dem Titel „peintres nalfs" amerikanische Volks malerei von 1670 bis heute. Es wäre grundfalsch, hier von einer Entwicklung sprechen zu wollen; Volksmalerei entwickelt sich nicht, sie ist da, ohne Voraussetzungen und ohne Ambitionen. Die meisten Schöpfer der Bilder kennen wir nicht einmal dem Namen nach; sie haben es unterlassen, ihre Bilder zu zeichnen. Aber auch die Gemälde der heute noch Lebenden — unter ihnen die durch Zufall berühmt gewordene Grandma Moses — sind anonyme Werke, denen jedes Moment persönlicher und bewußter Gestaltung abgeht. Es sind Tischler und Seeleute, Farmer und Anstreicher, die diese Bilder geschaffen haben, und der einzige Grund, warum sie dies taten, war, daß sie Freude daran hatten. Der Umstand, daß sie echt erlebnisfähig und ihre -ihre Augen „zum Schauen bestellt" waren, ließ sie lebendige Bilder schaffen, die in der Mitte zwischen Wirklichkeitswiedergabe und Impression liegen. Was uns an diesen Bildern am tiefsten berührt, ist ihr Gehalt an Welt. Ihre Erlebnisfähigkeit bringt in den Gemälden eine staunende Ehrfurcht vor den Dingen dieser Welt und den Gefühlen, die sie uns zu geben vermag, zum Ausdruck.

Die Wirkung der Bilder wird durch verhaltene und unaufdringliche Musikuntermalung mit altamerikanischer Volksmusik, Jigs, Quadrilles und anderen Volkstänzen verstärkt. Das wäre nicht möglich, wenn es sich bei den gezeigten Bildern um Kunst handeln würde. Aber so vermag uns die Musik ganz in diese seltsame Welt Altamerikas zu verstricken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung