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„Im Saal der Sniesel“

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Vor knapp zwei Jahren, im Mai 1959, fand an der Stockholmer Oper eine sensationelle Uraufführung statt, über die wir seinerzeit auch an dieser Stelle berichtet haben: Karl-Birger Blomdahls Weltraumoper „Aniara“ nach dem Versepos des schwedischen Dichters Harry Martinson. das Erik Lindegren zu einem Libretto umgestaltet'%»«« In Jßra®#MW!Bt-6 zwischen über mehrere Bühnen gegangen ist und vor kurzem — in einer Aufzeichnung des schwedischen Fernsehens — auch im österreichischen Fernsehprogramm ausgestrahlt wurde, gibt es eine Szene im „Spiegelsaal". Es scheint sich hier um ein Lieblingsmotiv des Komponisten und des Textdichters zu handeln. Denn in seinem neuesten Werk, das wir in einem öffentlichen Konzert des österreichischen Rundfunks kennenlernten, wird dieses Motiv in einer Folge von neun Sonetten (die dem Versepos „Der Mann ohne Weg“ von Lindegren entnommen sind) breit aus

geführt und vom Komponisten einem dramatischen Oratorium für Soli, Chor und Orchester zugrunde gelegt. In dem symbolträchtigen, verschlüsselten Text (halb expressionistisch, halb Paul Valery) wird das Thema der Lebensangst des modernen Menschen im Atomzeitalter variiert — „hier in diesem Schweigen, dem Grenzen auslöschenden zwischen den lebenden Toten und der Toten lebenden Wünschen, wo sich zwei Hälften zu doppelter Blindheit vereinen, so können sie desto besser hören, wie die Strahlen fallen, langsam, betrügerisch, als ob sie wüßten, was sie

wollten, wenn die Nacht vor dem Tor steht und leer ist der Tag"

Der Komponist Karl-Birger B1 o m- d a h 1, Jahrgang 1916, hat zunächst zehn Jahre in seiner Heimat studiert, dann hat er sich nicht nur im Ausland, sondern auch in den Partituren seiner großen ausländischen Zeitgenossen, von Bartök bis ■Schönberg, umgesehen In Schweden gehört er der sogenannten „Montagsgruppe“ an.

_ an. die sich gegen die bis dahin herrschende Nationalromantik wendet. „Montagsgruppe" — man könnte auch sagen „Montagegruppe“. Denn in Blomdahls Tonsprache begegnen wir vielerlei Stilen und Elementen, bis zur Elektronik. — Er setzt die Effekte, wie er sie braucht, und ist recht unbedenklich in der Wahl seiner Mittel. Er produziert mit hohen Glocken, Xylophon und Flageoletts gläserne Sphärenklänge und schreibt zum Text des 5. Sonetts einen zünftigen Boogie-Woogie. Aber Blomdahl hat etwas, was andere nicht be-

sitzen: dramatische Schlagkraft, einen echten Sinn für Wirkung und Klangphantasie. Seine Musik ist keinen Augenblick langweilig, und es gelingt ihr jedenfalls, die gewählten Texte auf eine zuweilen suggestive Art zu illustrieren.

Das etwa vierzig Minuten dauernde Werk stand am Anfang eines Chor- Orchester-Konzerts, dem zweiten in der Reihe eines kleinen Musikfestes, das der Österreichische Rundfunk im Rahmen des Zyklus „M u s i c a nova“ veranstaltete. Innerhalb von drei Tage

fanden vier Konzerte statt, die vom Chor und dem Orchester des Österreichischen Rundfunks sowie von den Wiener Symphonikern ausgeführt und von den Dirigenten Ernst Märzendorfer, Bruno M a d e r n a und Winfried Z i 11 i g geleitet wurden. — Die 14 aufgeführten Werke, von denen mehr als die Hälfte in Wien zum erstenmal erklangen, kann man folgendermaßen gruppieren; zwei bereits „historisch“ gewordene Kompositionen Schönbergs (die 1909 geschriebene „Kammersymphonie“ mit ihrer berühmten Quartenfolge und die „Variationen für Orchester“ op. 31 von 1928, in denen Schönberg zum erstenmal mit den „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ manipuliert); drei Schönberg-Schüler der mittleren Generation, der Grieche S k alko 11 a s (mit zehn Orchesterminiaturen aus dem Jahre 1940), der Wahlwiener H. E. Apostel (Klavierkonzert op. 30 aus dem Jahre 1958) und der Deutsche Winfried Z i 11 i g (Konzert für Violoncello und Blasorchester von 1960); drei Italiener aus der Zwölftonschule, der mittleren und der jüngeren Generation angehörend: Dallapiccola (mit den „Canti de Liberazione“ für gemischten Chor und großes Orchester auf lateinische Texte der Bibel, des heiligen Augustin und des Sebastiano Castellio, eines Calvin- Gegners), Luigi N o n o (mit „Due Espres- sioni für Orchester“ von 1953) und der junge Mailänder Niccolo Castiglioni („Apreludes für Orchester" von 1959); schließlich eine Gruppe jüngerer Komponisten mit Kammermusikwerken (Thomas Christian David, Rudolf W e i s h a p-

pe 1, Eugene Hartzell und Helmut Eder).

Versucht man, die Eindrücke von den Kompositionen der beiden zentralen Gruppen zusammenzufassen, so fällt bei den italienischen Dodekaphonisten eine stärker ausgeprägte Klangsinnlichkeit auf, angefangen von der „Pianissimodynamik“ der punktuellen Komposition Castiglionis bis zur dramatisch-expressiven Großform Dallapiccolas. — Die Komponisten der anderen Gruppe vermeiden zwar gleichfalls die doktrinäre Anwendung der Zwölftontechnik, sie haben es aber schwerer, ihren Stil aufzulockern. Skalkottas versucht es mit der Kleinform und dem Reiz der Abwechslung, die eine Reihe von zehn Charakterminiaturen bietet; Apostel mit dem „durchbrochenen“ Satz und einer elastisch-gelenkigen Rhythmik, Zillig mit markanten Motiven, ostinaten Wiederholungen, virtuoser Behandlung des Soloinstruments (ein Sonderlob der Pianistin Frieda Valenz! und dem deutschen Cellisten Siegfried Palm!) und diskreten Anleihen beim amerikanischen Jazz.

Was der österreichische Rundfunk in diesen vier Konzerten geboten hat, war zum Teil schwere Kost. Aber es hat keinen Sinn, die Situation der neuen Musik durch Auswahl gefälliger und traditioneller Werke zu verschleiern. Ein interessiertes Stammpublikum bekam das zu hören, was es erwartete, und einem breiteren Hörerkreis mag — wenn diese Werke im Lauf der nächsten Monate gesendet werden — das Dargebotene zur Information dienen.

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