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KUBINS PRIVATE WIRKLICHKEIT

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Alfred Rubins Schicksal unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkte von dem seiner österreichischen Künstlerkollegen: er genoß schon lange vor seinem Tod am 20. August 1959 jene Wertschätzung und Verehrung, die anderen vielfach erst posthum zuteil wird. Die Eingeweihten brauchen ihn nicht erst zu entdecken. Die anderen freilich — und auch in dieser Hinsicht bleibt Rubin eher ohne Beispiel — werden den Zugang zu ihm nur schwer finden. Ohne Schwierigkeit sehen die Kunsthistoriker in Rubin den Nachfahren des Symbolismus und zugleich — nach dem Zeugnis de Chiricos — einen Wegbereiter des Surrealismus. In jungen Jahren nahm Rubin Impulse von Malern wie Goya, Klinger, Ensor und Redon auf, ohne sie zu kopieren. Nietzsche und Schopenhauer beschäftigten ihn intensiv. Seine entscheidende Mitgliedschaft in der Münchner Künstlervereinigung „Der blaue Reiter” läßt sich dokumentarisch belegen. Ob ihm darüber hinaus noch eine überdurchschnittliche Bedeutung zuerkannt wird, hängt von der Frage ab, ob sein geistiger Hintergrund verstanden werden kann: die fruchtbare Substanz des alten Österreich, die weite, vielfältige Welt der Donaumonarchie mit deren zahlreichen historischen Bezügen.

Niemand wehrt sich dagegen, den Boden zu studieren, dem etwa Hodier, Nolde oder Lam entstammen, um das Werk dieser Maler verstehen zu können. Mehr wird auch bei Rubin nicht gefordert. Um seine Bilder begreifen zu können, muß man seine Blickrichtung auf das Venezianische, Slawische, Byzantinische einstellen. Hier liegt allerdings die Schwierigkeit Die realen Spuren dieser Welt können auf einer Autotour in den Südosten nicht mehr gefunden werden. Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie gingen auch sie verloren. Dieser Tatsache mag es zuzuschreiben sein, daß Rubin außerhalb des österreichisch-süddeutschen Raumes mit Romako und Gerstl, ja zum Teil noch mit Klimt, in den großen Kunstgeschichtswerken übersehen wird.

Kubans Welt existierte in den letzten Jahrzehnten seines Lebens längst nicht mehr. Hat es sie j e/Wirklich gegeben? — Die erfahrbare Umwelt des Künstlers ist rasch geschildert: Der Geburtsort Leitmeritz, in dem der Knabe seine erste bösen Träume erlebte, liegt gegenüber von Theresienstadt, wo später viel Schlimmeres Wirklichkeit wurde. Nach unsteten Jahren in verschiedenen Kronländern erlebte der sensible Junge zwischen 1898 und 1908 in München die entscheidende Begegnung mit der Kunst der Symbolisten und Expressionisten und fand Kontakte zu Klee, Kandinsky und Marc. Hier trafen ihn die gigantischen Visionen seines Frühwerkes. Alle Wege in die westlichen Kunstzentren standen ihm damals offen. Einem inneren Zwang gehorchend, verließ er jedoch die Weltbühne und zog sich in eine Einsiedelei in das Land seiner Jugend zurück. Er achtete nicht mehr auf die weitere Entwicklung der modernen Kunst, sondern begann, sich in seinem Traumreich abzuschließen. Er ist einer jener hyper- sensiblen Charaktere, die um 1900 — seelisch und äußerlich gefährdet — in Österreich lebten. Um wenigstens eine gewisse Ruhe zu finden, erwarb er im Jahre 1906 das oberösterreichische Schlößchen Zwickledt, in dem er bis zu seinem Tode lebte.

Viele von den zahllosen Blättern, die Kubin geschaffen hat, gelangten schon zu Lebzeiten des Künstlers in öffentliche und private Sammlungen. Einen großen Teil seines Werkes hielt Kubin jedoch zurück. Wenige Jahre vor seinem Tode vermachte er diesen Schatz für eine bescheidene Ehrenpension der Republik Österreich und dem Lande Oberösterreich. Dieser umfassende Nachlaß wird von der Albertina und vom Oberösterreichischen Landesmuseum gehütet und bildet die Grundlage für eine repräsentative Publikation, die dem Inhalt und der Gestaltung nach Kubin „in Großformat” zeigt. Unter Mithilfe der beiden Sammlungen konnte der Kunsthistoriker Wieland Schmied im Salzburger Residenz-Verlag den Band „Der Zeichner Alfred Kubin” edieren, der neben 12 Abbildungen im Text 188 ganzseitige Bildtafeln enthält, die durch ihre vorzügliche Reproduktion ein tiefes Miterleben der Kunst Kubins gestatten. Schmied gibt darin eine sachkundige, kritische Einführung; Alfred Marks, der als Leiter der graphischen Sammlungen des Oberösterreichischen Landesmuseums die Kubinforschung bereits mehrfach bereichern konnte, verfaßte den wissenschaftlichen Katalog zu den Abbildungen. Die im allgemeinen chronologisch gereihten Bilder zählen zu den besten Blättern aus dem das ganze Schaffen Kubins umspannenden Nachlaß.

Schmied zeigt in der Einführung die Gegensätze im komplexen zeichnerischen Werke Kubins auf. Trotz des überreichen Umfanges bleibt dieser in Thematik und Motivwahl einseitig. Qualitätsunterschiede sind zu finden, und dennoch weist jede Studie auf die Stärke des Meisters. In den 60 Schaffensjahren hat er einige Metamorphosen durchgemacht. Die Grundlage für die Arbeiten bildeten jedoch immer Träume, die den Jüngling qualvoll verfolgten, die der Erwachsene aber später, in seiner helleren Zeit, bewußt suchte. Kein Gegensatz ist jedoch dort zu finden, wo man ihn vor allem vermuten könnte: zwischen den „freien Zeichnungen” und den Illustrationen. Denn: „Kubin hat immer nur sich selbst illustriert.” Schmied zitiert Kubins Selbstbiographie, in der der Maler selbst klagt, er habe kein starkes formales Talent und keine leichte Hand. Diese Schwäche kompensiert Kubin durch unermüdliche Arbeit an den Motiven, bis sie glückten. Im Ringen um den gültigen Niederschlag seiner Vorstellung trat Kubin selbst zurück. „In aller Groteske und Skurrilität lesen sie (die Zeichnungen) sich wie Protokolle. Doch das Seltsamste wirkt in ihnen nüchtern gesehen, oft sogar übertrieben. Sie sind vollkommen frei von jeder Eitelkeit des ,Mächens “ (Schmid, S. 18).

Was Kubin von der Welt hielt, legte er dem Ich-Erzähler seines Romans „Die andere Seife” in den Mund. Absonderlichkeit und Selbstironie koexistieren mit gemütlicher Sicherheit und stimulierendem Schauer. Der Zeichner sieht die Welt als Allegorie, als Kunstwerk, als nicht meßbare Wirklichkeit. Die alltägliche Walt ist ihm ein Traumreich. Dieser 1908 in wenigen Wochen niedergeschriebene Roman steht geichringig neben Kubins stärksten Zeichnungen. Diese Erzählung trennt spürbar das Frühwerk vom folgenden Altersschaffen und verbindet gleichzeitig beide Abschnitte. Um diese Zeit wird auch Kubins „bürgerliche Existenz”‘ um wesentliche Fakten bereichert. Kubin heiratet die junge Witwe Hedwig Gründler. Auf Reisen erweitert er seinen Erfahrungsbereich und entdeckt in Wien Brueghel, während ihm in Paris die Impressionisten zum Erlebnis werden. Studienfahrten nach Dalmatien und auf den Balkan können jedoch seine Vorstellungswelt trotz pittoresker Motive nicht wesentlich befruchten. Diese Gegenden leben in seinem Inneren schon vorher in einer unwirklich vertrauten Weise.

Die Erinnerung an Bosnien schlägt sich aber in Zeichnungen nieder, die eine neue inhaltliche und formale Auffassung verraten und den Spätstil ankündigen. Die Darstellung des Imaginativen wird abgelöst von der Wiedergabe des optisch Erfahrenen oder Erfahrbaren. Kubin unternimmt in dieser Zeit verschiedene künstlerische Versuche, greift dabei auch zum Mittel der Malerei, bis es ihm allmählich bewußt, wird, daß seine Stärke in der Beschränkung auf das Schwarzweiß der Zeichnung liegt. Die reine Federzeichnung wird zum entscheidenden Medium.

Als Illustrator wendet sich Kubin an Auge und Verstand.

Er ist ein literarischer Künstler, der aus der Literatur schöpft, sie jedoch nicht nacherzählt, sondern „erhellt” (Schmied, S. 30). Wie alle Illustrationen sind deshalb auch seine Zeichnungen arm an Handlung. Die Dramatik der Szene tritt zurück, sie läßt sich eher in der Atmosphäre des Hintergrundes erkennen als in den handelnden Personen. Jedes Bild muß als Gleichnis verstanden werden. Es soll möglichst die ganze Welt enthalten und ist deshalb bis ins Detail hinein zu deuten.

Der malende Literat stellte sich in seinem Roman selbst dar: „Es überfiel mich ein Arbeitsdelirium; im nächsten halben Jahre produzierte ich unter dem Druck des Schmerzes meine besten Sachen. Ich betäubte midi dm Schaffen. Meine Blätter, in der düsteren und fahlen Stimmung des Traumreiches gehalten, sprachen auf verborgene Weise mein Weh aus. Fleißig studierte ich die Poesie der dunklen Höfe, der verborgenen Dachkammern, der schattigen Hinterzimmer… Immer wieder auf neue Art variierte ich den einen melancholischen Grundton, das Elend der Verlassenheit und den Kampf mit dem Unverständlichen.”

Wieland Schmied, den die Leser der „Furche” noch als Kunstreferenten in Erinnerung haben werden, hat sich früh für das Werk Kubins interessiert und eingesetzt. Obwohl er seit Jahren als Direktor der Kestner-Gesellschaft, Hannover, das Publikum mit dem modernsten künstlerischen Schaffen konfrontiert, hat er diese Verbindung nicht verloren, sondern sie vielmehr kritisch vertieft. Seine Aussagen zu Stil und Inhalt der Blätter Kubins ziehen jedes Für und Wider in Betracht. Mit Recht spricht er den zu wenig bekannten Bleistiftzeichnungen hohen Rang zu. In diesen vorbereitenden Studien ist das Stichwort für die spätere Federzeichnung in aller Frische und Spontaneität gegeben. Hier verzichtete Kubin darauf, die Blätter um jeden Preis fertig zu zeichnen. Hier entging der Meister der Gefahr, das Thema so lange mit oft lächerlichen Details zu bereichern, bis es „totgezeichnet” war. Dieses Zudecken und Verhüllen scheint jedoch Kubins eigener Charakterzug gewesen zu sein. Schmied kehrt in seiner Deutung ein Wort Klees um und schreibt: „Kubin gibt nicht das Unsichtbare wieder —er macht unsichtbar. Treffender ist: er macht unwirklich. Er transponiert alles in seine heimlich-unheimliche Privatwirklichkeit” (S. 43). — Kubin hatte immer und vor allem Angst. Er selbst bezeichnete aber diese Angst auch als sein eigentliches Kapital. Hatte er sie in Kunst umgesetzt, verlor sie für ihn ihren Schrecken.

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