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Ulrich Pocksperger

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Die beiden Flügelreliefs des A n-dreas Lackner im Erzstifte St. Peter lassen sich schon durch ihren Zusammenhang mit Werken Altdorfers und Hubers in die Zeit um 1517 datieren. Diese Bestimmung läßt sich in unerwarteter und aufschlußreicher Weise erhärten: bisher blieb, soweit wir sehen, die Tatsache unbeachtet, daß die Rückseiten beider Reliefs gleichzeitige Malwerke tragen. Diese lassen sich trotz ihrer Beschädigungen als zwei Szenen aus der Legende des heiligen Blasius erkennen, wie sie schon 1293 die Legenda aurea des Jakob von Voragine und ihr folgend die deutschen Passionale des 15. Jahrhunderts schildern.

Die erste Tafel zeigt mehrere junge Männer in Zeittracht am Ufer eines Gewässers stehen, das sich bergumrandet bis in die weiteste Ferne glänzend erstreckt; auf seinem Spiegel geleitet ein lächelnder jungmädchenhafter Engel fürsorglich einen Bischof, der in vollem Ornat, aber mit bloßen Füßen darüber hinschreitet. Diese unverwechselbare Szene stellt Blasius, den heiligen Bischof von Sebaste dar, der in einem Teich er tränkt werden sollte und von Engelshand gerettet wurde. — Daher ist das entsprechende Gemälde der anderen Flügelaußenseite als die Hinrichtung des gleichen Heiligen zu deuten: Dieser kniet, im Profil gesehen, die Mitra neben sich, mit betend erhobenen Händen und Haupt, während der nebenstehende Henker, schon die Hand am Schwert, ihm den Hals zum Todeshiebe entblößt. Reiter in wechselnden Stellungen und edlem Schmuck — ein prunkendes Bild adeligen Treibens — umgeben die Szene, die -sich im halbzerstörten Hintergrunde in landschaftliche Fernen dehnt und im Vordergrund mit reichen pflanzlichen Details belebt. Immer wieder fügen sich Bildnisse der sakralen Darstellung ein, die sich in lebhaften Lokalfarben von der dämmernden Raumferne abhebt. Es sind groß gesehene Gestalten von schlankem Wuchs, freier Haltung, biegsamer Bewegung und prächtigem Selbstbewußtsein, scharf geprägte Charaktere voll geistigen Lebens.

Die Maße dieser Gemälde der Blasiuslegende und der Umstand, daß sie auf den Rückseiten von Relieftafeln Lackners sitzen, lassen keinen Zweifel darüber, daß sie zwei von den ursprünglich vier Flügelhälften des dem heiligen Blasius geweihten Abtenauer Hochaltars von 1518 und Werke jenes bisher unbekannten Malers Ulrich Pocksperger sind, den die Altarinschrift als in Mondsee entweder tätig oder ansässig nannte; denn es wäre absurd, aus dieser Inschrift zu folgern, daß der darin genannte Maler nur die Plastiken gefaßt und nicht die Flügelgemälde geschaffen hätte. Salzburger Urkunden besagen, daß er 1529 daselbst wohnte und vor 1545 starb. Wir schließen aus diesen Daten und der Haltung der Abtenauer Flügelgemälde, daß Ulrich 1518, als er seine junge Meisterschaft mit aller Freude am reichen farbigen Leben bewährte, kaum dreißig Jahre gewesen sein mag, mithin im Alter zwischen Altdorfer und Huber stand. Folglich gehörte er einer Generation an, der sich die Renaissance bereits als reifes Erbe schenkte und nicht mehr als Wagnis erkämpft werden mußte. Ulrichs Gemälde zeigen, daß sein richtunggebendes künstlerisches Erlebnis Dürer war? doch läßt sich dieser Einfluß kaum aus der Formengewalt von Dürers Graphik allein erklären, die nach 1510 auch in Salzburg allgemein kanonische Geltung errang; es ist vielmehr angesichts der zeichnerischen Kultur der beiden Tafeln Pockspergers anzunehmen, daß dieser Dürers persönliche Schulung genossen hat. Der daraus erwachsene Hang zu Buntfarbigkeit sei-, ner Figuren unterscheidet die Abtenauer Flügelgemälde deutlich von den farbigen Traumgebilden der gleichzeitigen bodenständigen Salzburger Malkunst, als deren Hauptvertreter wir Gordian Guckh in Lauffen an der Salfach kennen (Altar von Wonneberg bei Waging u. a.). Wenn auch Pocksperger sich mit diesem Meister in einzelnen auffälligen farbigen Experimenten begegnet (zum Beispiel in der liebevollen Schilderung reinweißer Gewänder), so verbindet doch die Stärke des landschaftlichen Erlebnisses Ulrich unbedingt mit den gleichzeitigen Meistern der .Donauschule“, ohne daß wir angesichts zahlreicher zeitbedingter Parallelen von Abhängigkeit sprechen dürften. Jedenfalls zeigen sich merkwürdige Typenverwandtschaften zwischen den Werken Pockspergers und Altdorfers, dessen Gestalten neben jenen seines Salzburger Genossen triebhafter und erdverbundener wirken. So findet sich unter den Zuschauern der Rettung des heiligen Blasius unter anderem ein glattrasiertes männliches Gesicht unter schattendem Barett, dem wir sehr ähnlich in Alt-dorfers Werken von den Tafeln für St. Florian (1518) bis zu seinen Regensburger Badstubenfresken (zirka 1530) begegnen, ein typischer Patrizierschädel von spöttisch wirkender, spähender Intelligenz. Andererseits fehlt Pocksperger jener urbajuwarische Trieb, die Charakteristik fallweise bis ins Skurrile zu treiben; ein Zug klassischer Formgesinnung macht sich als Schulerbe vielleicht der Dürer-Werkstatt geltend.

Nahe liegt die Frage, ob man unter den erhaltenen Salzburger Malwerken um 1520 weitere Arbeiten für Pocksperger beanspruchen könnte. Unter den in Betracht kommenden Gemälden stehen an erster Stelle die ansehnlichen, aber bisher nicht veröffentlichten Flügelaußenseiten des (für Scheffau um 1515 geschaffenen) Hochaltars der Nonn-berger Stiftskirche, Werke, an denen die offenkundigen Dürer-Reminiszenzen und die Freude an der Einfügung zeitgenössischer Öildnisse den Abtenauer Flügel-, gemälden wesensverwandt scheinen. Ein. abschließendes Urteil hierüber könnte aber erst erfolgen, wenn diese frostgeschädigten Tafeln in ihrem Bestände gesichert und gereinigt sein werden, so daß man die ursprünglichen Farben erkennen wird können. Zunächst wirken beim Vergleich Besonderheiten der Raumbildung, Analogien der Porträtauffassung und der Darstellung einzelner Engelgestalten überraschend.

Nahe läge es ferner, im Bereiche des Kunstmäzenats des einstigen Stiftes Mondsee Spuren der Tätigkeit Pocksperger zu suchen, der dort 1518 tätig war, wo sich Wolf Huber schon 1510 nach dem Zeugnis seiner frühesten Landschaftszeichnung aufgehalten hat.

Hiefür kommt allein das 1517 datierte Gemälde der Heilandsklage in Oberhofen in Betracht; doch dieses in exstatischer Bewegtheit mit expressiver Farbigkeit geschaffene Bild ist von den Abtenauer Flügelbildern zu wesentlich verschieden, als daß e i n Künstler diese Werke innerhalb Jahresfrist gemalt haben könnte.

Geichzeitig mit Ulrich Pocksperger begegnen wir im Bereiche Salzburgs einem Bildschnitzer von Rang, der 1521 ein Relief des Sündenfalls (Wien) mit I. P. signiert hat und als Kleinplastiker bahnbrechend wirkte. Franz Martin vermutet, daß Meister I. P. ein Angehöriger der Künstlerfamilie Pocksperger war, die um 1540 mit Johann dem Älteren in Bayern (Neuburg und Landshut) faßbar wird und deren Nachfahren Freskanten und

Illustratoren im manieristischen Sinne waren. Es ist anzunehmen, daß Ulrich Pocksperger und Meister I. P. etwa gleichaltrig, vielleicht Brüder waren, und daß die Reliefs des Schnitzers mit ihren von Dürer entlehnten Typen zum Teil auf Einflüsse oder sogar auf Vorzeichnungen Ulrichs zurückgehen könnten. Ferner bleibt zu erwägen, ob Ulrichs Zusammenarbeit mit Lackner dem ersteren Anlaß zu Zeichnungen für Statuen und namentlich für Reliefs Lackners bot. Diesen Fragen kann man erst dann nähertreten, wenn die Vergleichsobjekte restauriert und im Rahmen einer Ausstellung gemeinsam gezeigt werden.

Als den ersten gesicherten Gewinn der Feststellung der Künstlerpersönlichkeit Ulrich Pockspergers können wir die Erkenntnis buchen, daß die Renaissancekunst Salzburgs um 1520/30 selbständig und qualitätsvoll neben den weit bekannteren Werken der .Donauschule“ besteht und in das Gesamtbild des alpen-ländischen Kunstschaffens dieser Jahre Werte eigenster Prägung einfügt.

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