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Zehn Gebote
„Domine, Dilexi decorem domus tuae“ (Herr, ich liebe die Pracht Deines Hauses"), sagt der Psalm, und der Vers bezieht sich auf die Schönheit des salomonischen Tempels; gerade dieser Vers ist zum Streitpunkt in der Weltkirche von heute geworden, da sich Reaktionäre und Avantgardisten gleicherweise auf ihn berufen; die ersteren nehmen erregt gegen Modernismen und „Entartungen“ Stellung (wobei sich ihre Argumente von denen der Diktaturen nicht immer in allen Punkten unterscheiden), die anderen sehen Schönheit in dem, was zeitgenössisch und was Kunst ist (ein Unterschied von allen Naturalismen und Akademismen).
Die Kirche steht angesichts der „modernen“ Kunst (nun seit 100 Jahren!) außerordentlichen Schwierigkeiten gegenüber. Das Kultbild hat seine immanente Gesetzlichkeit, weil es an spirituelle Inhalte, an historische Heilsakte und an den religiösen „Stil“ des überlieferten Kultes gebunden ist. Es kann sich weder den impressionistischen „Positivismus" mit seiner optischen Auflösung des Objektes zu eigen machen noch die kubistischen Umformungen der menschlichen Figur, die aus formalen Problemen erwachsen und einer nichthistorischen entseelten Objektivität zusteuern; sie kann die surrealistische magische Traumwelt mit ihren götzenhaften Objets ebensowenig verwenden wie die tachisti- schen Impressionen eines Pollock, und die totale „Abstraktion“ kann zwar zum neuen Meditationsbild, aber doch nicht zum „Gnadenbild“ werden, so beachtliche Vertreter im Kirchenraum sie auch bereits zählen mag (Manessier, Bazaine. Le Moal, Leon Zak. Raoul Ubac). Die Künstler der Zeit (es leben auch immer solche von gestern) weisen mit Recht darauf hin, daß sich die Kirche (die noch dazu im Westen nicht über die Tradition der Ikonenmalerei verfügt, weil sie zu anderen Zeiten „modern“ war) nicht aus dem Fluß der Geschichte absentieren könnte; Nazarenertum und Beuron können nicht fortgesetzt werden, halbe und mühselige Adaptionen. alles das was dem Publikum als modern gilt, führen zu einem abscheulichen Mestizen-
tum, an dem weder die Kunst noch die Kirche profitiert. Eine Theorie der möglichen Symbiose ist von Theologen geschaffen worden (Corturier OP„ Regamey OP.), und etliche respektable und diskutable Beispiele von Realisationen zeigen (zumindest experimentell) den Weg (Vence, Ronchamp, Audincourt, Assy), lieber die religiöse und künstlerische Qualität des Kitsches sind sich im Grunde alle einig. Was hindert die konsequente, willentliche Wieder Begegnung von Kirche und Kunst in diesem Zeitalter, zu diesem Zeitpunkt? Was könnte sie fördern? Als skizzenhafte Antwort ein Programm:
1. Ernstnehmen der Schwierigkeiten einer jahrzehntelangen Nebeneinander- und Auseinanderentwicklung.
Keine voreilige Synthese, vor allem nicht auf dem Weg einer Symptomheilung. Theologische Gespräche mit der Künstlerschaft, bei denen man gegenseitig lernt. (Demut der Theologen angesichts der Eigengesetzlichkeit und Unersetzbarkeit des Künstlerischen.)
Bedeutung einer eigenen Künstlerseelsorge. Schaffung von Zeitschriften, in denen moderne Ars sacra publiziert und diskutiert wird, in denen Theorien geboten werden.
2. Besetzung der auftragvergebenden kirchlichen Stellen mit Experten zeitgenössischer Kunst und Schaffung von Gremien von Sachverständigen (Jury), die aus Kunsttheoretikern (Theologen, Philosophen), Kunstkritikern, Kunsthistorikern, Künstlern zusammengesetzt sind. Organische Bindung der auftraggebenden Stellen an das Votum dieser Gremien.
3. Publizität des kirchlichen Kunstschaffens. Rechenschaftsbericht in einschlägigen Zeitschriften, Ausstellungswesen und vor allem geladene und allgemeine Wettbewerbe. Keine subkutane Auftragsvergebung mit Schaffung von Fait accomplis. Konfrontierung mit der Kritik der kirchlichen und außerkirchlichen öffentlichen Meinung.
4. Beurteilung aller Projekte, primär nach der spirituellen, liturgischen und künstlerischen Qualität. Richtungsfragen müssen zurücktreten, soweit sie nicht funktionelle Bedeutung haben (das ..Kultbild“ zum Beispiel kann nicht abstrakt sein, wohl aber ein Glasfenster). Qualität ist. objektiv feststellbar, weder Geschmacks- noch Mode- noch Richtungssache.
5. Die Frage der Kirchenreinigung von Kitschobjekten muß in konsequenter, wenn auch pädagogisch geduldiger und pastoral verantwortungsvoller Weise in Angriff genommen werden. Böse Beispiele schaffen böse Sitten. Der kommerzialisierten Massenfabrikation von ,,Devo-
tionalien“ (hauptsächlich in nichtkatholischer Hand), die mit ihrer routinierten Geschäftspropaganda den Klerus überschwemmt, ist Einhalt zu gebieten (durch folgerichtige Nichtbeauftragung). In dieser Hinsicht wäre das kirchliche Annoncenwesen zu überprüfen. Der Purgierung kirchlicher „Kunsthandlungen“ käme große Bedeutung zu.
6. Der Klerus müßte schon im Status nascendi (Fakultäten, Priesterseminare) mit den Problemen und den Fakten moderner Kunst bekanntgemacht werden. Kunstschöpfungen zu betreuen gehört ebenso zu seinem Beruf wie die Verwaltung einer Kirchenkasse und die Matriken- führung (Klerus und Kirche als maßgeblicher Auftraggeber und Bauherr). Kunsthistorische Belehrung muß durch Prinzipienlehre" und praktische Urteilsbildung am Objekt vollendet werden.
7. Aus der Zahl der in Betracht kommenden Künstler müßten die nur historisierenden und die unecht sich anpassenden wegen Mangels an Originalität und Aufrichtigkeit ausgeschieden werden. Kirchentreue und Frömmigkeit eines Künstlers sind empfehlenswerte Qualitäten, wenn sie mit Begabung gepaart sind und faktisch in den schöpferischen Vorgang einfließen. Das unerleuchtete Protektionswesen durch prominente kirchliche und weltliche Personen wäre dem Urteil der Fachleute kritisch auszusetzen.
8. Bei gleicher künstlerischer Qualität wird man gerne dem kirchlich lebenden und denkenden Künstler den Vorzug geben (besonders für das eigentliche Kultbild). Es ist jedoch eine missionarische Tat, religiös bisher nicht interessierte, abseitsstehende Menschen mit kirchlichen Projekten' vertraut zu machen und zu betrauen. Der echte Künstler übernimmt keine Aufgabe, die er nicht gewissensmäßig verantworten kann. Aus Frömmigkeit allein entsteht kein Kunstwerk, aus Genie allein kein kirchliches. Unter dem Deckmantel der Kirchlichkeit und Prinzipientreue schleichen sich die übelsten Geschäftemacher und Dilettanten in das Heiligtum ein;
9. Dem Urteil der Kirchengemeinden ist wenig zuzumuten. Es versteht das gute Alte nicht und schreckt vor allem Ungewohnten zurück, weil es durch böse Beispiele verbildet wurde und keine Erziehung auf kirchliche Kunst hin empfing. Die Pars maior ist nicht immer die Pars sanior. Der Appell an den natürlichen Geschmack und den gesunden Menschenverstand verfängt nicht, wo die Voraussetzungen, die Kategorien, fehlen.
10. Das Experiment muß gewagt werden, widrigenfalls die stärksten Potenzen unbenutzt bleiben und sich eine reaktionäre Mittelmäßigkeit breitmacht. Welcher jahrhundertelangen Denkentwicklung bedurfte es, um Platon und Aristoteles in die Scheunen der Kirche einzuführen; und die Divergenz zwischen Kirche und Kunst soll in einigen Jahren überwunden werden? Vertrauen in die Welt und die „weltlichen“ Künstler geziemt niemand mehr als dem Mann der Kirche, dem die Gabe der Unterscheidung der Geister gegeben ist.
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