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Aggression Zeichen unserer Zeit

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Brutales Verhalten in der Gesellschaft nimmt wieder zu. Sind das nur Einzelfälle oder ein Vorgeschmack auf rauhere Zeiten?

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Brutales Verhalten in der Gesellschaft nimmt wieder zu. Sind das nur Einzelfälle oder ein Vorgeschmack auf rauhere Zeiten?

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Ein Wiener Ehepaar wird verdächtigt, jahrelang sein Adopitvkind in eine Kiste gesperrt und mißhandelt zu haben. Vor einem Bierzelt treten Jugendliche aus nichtigem Anlaß einen 17jährigen mit Stahlkappen-stiefeln zu Tode, Kinderbanden erpressen Schulkameraden, Kleinkinder schlagen Babies zusammen, Mütter werfen Neugeborene in die Mülltonne, Väter mißbrauchen ihre kleinen Töchter, jede fünfte Ehefrau bekommt die Brutalität ihres Mannes zu spüren, Gewalt beginnt den Alltag in den Schulen zu durchsetzen, die Bereitschaft dazu nimmt beängstigend zu ... Solche Schlagzeilen sind nur ein kleiner Ausschnitt an Zeitungsmeldungen der letzten Wochen. Gewalttätiges, aggressives Verhalten scheint alltäglich geworden zu sein bzw. zuzunehmen. Das subjektive Gefühl der Österreicher, einer aggressiver gewordenen Gesellschaft gegenüberzustehen, hat sich jedenfalls verstärkt (siehe nebenstehende Grafik). Laut einer noch unveröffentlichten Studie des Unterrichtsministeriums haben (quer durch alle Schichten und Altersgruppen) auch die Erfahrungen von „weicher” Gewalt, also Anpöbe-leien, ungerechte Behandlungen, Streitigkeiten et cetera, vor allem in der Freizeit deutlich zugenommen.

Gewalt und Aggressionen begegnen uns auf beunruhigende Weise nicht nur in den kleinen Lebensräumen (sogar auf Fußballplätzen mußten wir uns an die Präsenz der Polizei gewöhnen). Auch politische Auseinandersetzungen werden wieder in einer Art und Weise ausgetragen, die eigentlich überwunden schien. So sorgte kürzlich in Deutschland, um nur ein Beispel zu nennen, der Transport von Atommüll für „bürgerkriegsähnliche Zustände”. Kernkraft-Gegner und Polizei attackierten einander mit einer nicht für möglich gehaltenen Brutalität. Auffallend dabei: bei der Gewaltorgie waren nicht nur Berufsrandalierer oder Berufsdemonstranten, sondern auch brave Mitbürger auf einmal mit von der Partie. Unvorstellbar in Osterreich?

Allmählich entsteht der Eindruck, wir befinden uns inmitten einer irritierenden Entwicklung: Bröckelt der humane Grundkonsens, daß Gewalt verpönt ist, allmählich wieder ab?

Natürlich würde niemand auftreten und aggressives Verhalten oder gar Gewalt lautstark verherrlichen. Und trotzdem gibt es offensichtlich immer mehr Menschen, die es mühsam finden zu argumentieren und

Redaktionelle Gestaltung: Elfi Thiemer statt dessen lieber gleich zuschlagen. Der Alltag vieler Menschen ist dermaßen aggressionsschwanger, daß sie aus heiterem Himmel „explodieren”, ohne erkennbaren Grund.

Vermag unsere Erziehung nicht mehr, Aggression und Gewaltbereitschaft zu kanalisieren? Schlummern unter der dünnen Schicht zivilisierten Verhaltens Gewaltpotentiale, die immer wieder zum Ausbruch kommen (müssen)? Hat die „gewraltfreie Erziehung” versagt?

Untersuchungen in allen europäischen Ländern zeigen jedenfalls, daß - abgesehen von der Sorge um den Arbeitsplatz - die Sorge um die innere Sicherheit, die Angst vor Kriminalität, Gewalt und Zerstörung groß ist.

Bekommen wir allmählich eine Ahnung davon, wie gefährdet und zerbrechlich auch unsere moderne, hochtechnisierte Gesellschaft ist? Sogar Bundeskanzler Franz Vranitzky, den Österreichern nicht gerade als Visionär bekannt, hat anläßlich des 10. Jahrestages seines Kanzleramtes mehrfach betont, was er für besonders wünschenswert hält: „Eine Gesellschaft mit weniger Gewalt.”

Sind Gewalt und Aggressionen typische Zeichen unserer Zeit? Oder nur Banderscheinungen? Die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel beispielsweise ortet deutliche Symptome einer gesellschaftlichen Krise (siehe Seite 12). Der Tiroler Pädagogikprofessor Bernhard Rathmayr plädiert (Seite 13) für bessere Konfliktlösungsstrategien in den Schulen.

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