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ALEXANDER KING / PETER ALTENBERG FÜR YANKEES

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Der kleine, feingliederige Mann mit dem breiten grauen Schnurrbart wechselt im Gespräch unvermittelt von einem Satz zum anderen aus dem akzentfreien amerikanischen Englisch in ein ebenso echtes Wienerisch, über. Auch physiognomisch vollzieht sich dabei eine Wandlung. Wirkte er vorhin wie ein Darsteller würdiger Väter, der einen Südstaatler vom alten Schlag zu spielen hat, so kerben sich nun plötzlich moserische Raunzerfalten um die Mundwinkel. Alexander King, Autor, Übersetzer und Journalist, polyglotter Globetrotter, ist stolz darauf, daß man ihm in Wien nicht anmerkt, daß er Anno 1913 als Halbwüchsiger mit seinen Eltern nach Amerika auswanderte. Wie schon öfter in den vergangenen Jahrzehnten, kam er wieder auf längere Zeit in die alte Heimat, um eine Artikelserie für die „New York Herald Tribüne“ zu schreiben und um manche Erinnerungen aufzufrischen. Nicht zuletzt deshalb, weil er wieder einmal im Volksgarten und im Mirabellpark Spazierengehen will. „Als gebürtiger Mitteleuropäer verliert man ja nie die Sehnsucht nach einem stillen, alten Park.“

Ursprünglich hatte King keine literarischen oder publizistischen Ambitionen. Seit dem ersten Besuch im Kunsthistorischen Museum und der Begegnung mit dem retchen Wiener Bohemien Karl Hollitzer stellte er sich ganz auf die Malerei ein. Vor dem ersten Weltkrieg wurden im Rahmen der Secession begabte Kinder im Zeichnen und Malen unterrichtet. Alex nahm an diesen Kursen teil und setzte seine Ausbildung später in New York fort. Sein erster Auftrag ergab sonderbare ethnische und stilistische Überschneidungen: er sollte Chinoise-rien an die Wände eines koscheren Restaurants malen. Er tat es und kassierte, um sich interessanteren Aufgaben zuzuwenden, nämlich der Buchillustration. Während der zwanziger Jahre, viel auf Reisen in Europa und Nordafrika, illustrierte er vornehmlich Liebhabereditionen klassischer Werke. Ein Höhe- und Wendepunkt in seiner Laufbahn:

die Bekanntschaft mit Eugene O'Neill, der sich damit einverstanden erklärte, daß King eine Buchausgabe seiner Dramen illustriere.

Der Umschwung brachte ihn mit der Journalistik in nähere Berührung. Zuerst versuchte der junge Graphiker sein Glück mit einer eigenen Zeitschrift, Mitte der dreißiger Jahre aber, als der Stab für ein neuartiges großes Magazin rekrutiert wurde, das den Titel „Life“ führen sollte, nahm King den angebotenen Redakteurpostm an. Bis 1940 kreuzte er als „idea man“ auf der Jagd nach photogenen Reportagenthemen durch die USA und den Pazifik, manchmal zusammen mit Robert Capa, dem großen As unter den Bildberichtern von Weltrang, der bald wie Franz Molnär, George Grosz, Otto Preminger, Georges Balanchine und William Faulkner zu Kings engstem Freundeskreis zählte.

Kein Wunder, daß der vielseitige amerikanische Wiener nach einem Abstecher in die Filmateliers Hollywoods seine Erlebnisse mit Prominenten und anoymen Babbitts, mit Weisen und Narren niederzuschreiben begann, und nicht von ungefähr ergab sich nach dem ersten Bucherfolg aus der eigenen Vorliebe für die Form der pointierten, an viele menschliche Grundfragen rührenden Betrachtung in kurzer Prosa der Plan, einmal versuchsweise Werke von Peter Altenberg ins Englische zu übersetzen und das amerikanische Publikum damit zu konfrontieren. Der Erfolg von Kings Altenberg-Anthologie „Evocations of Love“ überstieg die kühnsten Erwartungen. „Die-. ses Buch sollte in keiner amerikanischen Familie fehlen“, schrieb Mrs. Kennedy an den Übersetzer, zahllose andere positive Leserbriefe stapelten sich auf seinem Schreibtisch. „Es sind eben doch sehr allgemeingültige Dinge, die Peter Altenberg geschrieben hat. Deshalb sind sie überall verständlich“, kommentiert King befriedigt.

Die vielen Erfahrungen seines eigenen „seltsamen und abenteuerlichen Lebens“ hat er in mehreren Büchern niedergelegt. Er schreibt so wie er spricht, im Ton eines witzigen, umfassend gebildeten Causeurs von hintergründigem Humor. Da er als überzeugter Nonkonformist lange Zeit die Marotte hatte, prinzipiell nur rosa Krawatten zu tragen, ergaben diese in New York stadtbekannten „Rosa Krawatten“ den zugkräftigen Titel für eine deutsche Auswahl, die vor einigen Monaten erschien. Der paradoxe Voltenschlag, den er dafür als Vorspruch wählte, ist eine treffende Selbstcharakteristik: „Alle Personen, von welchen dieses Buch erzählt, sind Leute, die wirklich leben oder gelebt haben — ausgenommen allein vielleicht der Autor.“

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