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August Gaul und Ernst Barlach

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Beiden Meistern, die noch heute einen ersten Platz in der deutschen bildenden Kunst einnehmen, war es beschieden, an ihrem Werk — jeder auf seine Weise — zugrundezugehen. Gaul an den Entbehrungen, die schon in der Jugend seine Gesundheit so tiefgreifend zerstörten, daß er — als er später im vollen Glanz des Ruhmes stand — ein bereits vom Tode Gezeichneter war. In seinem Sterbejahr — 1921 — sagte er einmal zu mir, als ihm ein Staatspreis von zehntausend Mark zuerkannt worden war: „Hätte ich einen Bruchteil davon in meinen Berliner Jugendjahren gehabt, so brauchte ich heute nicht meinen siechen Körper mit mir herumzuschleppen.“

Freilich gelangte er weit früher zu allgemeiner Anerkennung als sein gleichaltriger Kampfgenosse Ernst Barlach, der erst durch seine Entdeckung aus völligem Dunkel plötzlich in das Licht des Ruhms trat. Dafür aber brach die künstlerische Laufbahn des gefeierten Meisters jäh durch den,Bannstrahl von 1933 ab; er verfiel dem Arbeitsverbot und völliger Aechtung altfti&itsrteter,“ erlebte üe iBeaphlagnahme rcntba Venriehtiing x-eihesv grofeite4teitotefSchöp fungen und starb — ohne Hoffnung auf eine Renaissance seiner gewaltigen künstlerischen Aussage — 193 8, also vor 20 Jahren, als Hitlers Macht immer mehr die Welt in Atem zu halten begann. „ ... Ich habe mich längst an die Vorstellung gewöhnt, daß ich einmal im Chausseegraben sterbe.“

Gaul war mehr heiteren Gemüts, wie auch seine Werke es ausstrahlten, und hatte nichts von der düsteren Schwere seines kongenialen Kollegen Barlacri, der zudem in seinen dichterischen Dramen sich mit der Schöpfung und den Menschen auseinandersetzte! und sein inbrünstiges Gottsuchertum in solchen Werken aussprechen und vermitteln wollte. Gaul, der Hanauer Silberarbeiter von einst, wurde schon früh in Berlin ansässig und dankt seine Entdeckung Reinhold Begas. Er stand indessen in jener kunstarmen Zeit jenseits aller Richtungen. Der damalige Kunstsinn drängte zur Nachahmung des Wirklichen. Aus den Plastiken dieses Tierbildners sprach jedoch ein Meister, der der Urform auf die Spur gekommen war, dessen Schöpfung das Urbild durchdrang und die Aehnlichkeit über dem Endgültigen der artmäßigen Erscheinungsform vergaß. Er wurzelte in der Antike und wandte sich früh Rom zu, während Barlach mehr zur ägyptischen Kunst sich hingeneigt fühlte. Ihm gab Italien nichts. Mit dreißig Jahren war Gaul als Erneuerer plastischen Gestaltens in Deutschland und Italien ein unbestrittener Meister; jene berühmte bronzene Löwin im Vorhof der Nationalgalerie brachte es ihm ein, daß 1902 auf der großen Turiner Ausstellung im Volksmund der Hauptsaal die Bezeichnung „Sala della lionessa“ erhielt.

In seinem letzten Lebensjahr bin ich Gaul menschlich besonders nahegekommen. In Martinsbrunn bei Meran, wo wir gemeinsam zur Erholung weilten, erlebte ich das letzte, wenn auch trügerische Aufflackern seines Lebenslichtes. Und da jene stille, überaus harmonische Zeit für ihn noch von der Hoffnung auf Genesung getragen war, so blieben diese Wochen täglichen freundschaftlichen Umgangs von einem heiteren, oft frohen Grundton begleitet. In den Stunden, wo Gaul ohne Schmerzen war, teilte sich die immer gleiche Harmonie seines Wesens allgemein mit; und sie verließ ihn auch nicht, wenn ihm vorübergehend Bedenken an seiner Wiederherstellung auftauchen wollten: So sehr . war er dem Naturgesetz verhaftet, mit dem zu hadern seiner eingeborenen Sinnesart widersprach. Er lebte gern. Das Dasein bedeutete ihm — trotz aller erlebten Unbill — die Betätigung eines ihm innewohnenden Glücksgefühls, das in seinem Werk Erfüllung fand. In diesem Werk lebte er unbewußt und ohne Pause: Es war die stete, andächtige, ja inbrünstige Beobachtung der Natur, das Betrachten und Ergründen des Lebensrhythmus der Kreatur, deren Offenbarungen wie eine Entschleierung der Schöpfungsgeschichte in ihm wirkten und sich — am Ende freudigen Genusses — als Erkenntnisse in sein Werk übertrugen. Einmal saßen wir nach Tisch zwei Stunden lang in der heißen Sonne des Südens unter einer Palme und rührten uns kaum, weil eine große stahlblaue Eidechse sich zwischen unsere Stühle verirrt hatte und nun unbeweglich liegenblieb — offenbar aus dem Instinkt heraus, daß sie sich vermöge der Mimikry unseren Blicken entzogen habe. Gleichzeitig kreiste das aufgeregte Weibchen unaufhörlich in einiger Entfernung um uns herum. Wortlos vertiefte sich der Meister in ihre Welt. Die große Eidechse entschlüpfte erst, als ein Buchfink sich neben Gauls Hand niederließ und in die dargebotene hineinpickte. „Mein Freund vom Balkon, den ich jeden Tag oben füttere“, sagte er entzückt. Er war selber so bewegt von dieser Szene, daß er am nächsten Morgen von seinem Balkon aus den kleinen Finken auf einer letzten, unvollendet gebliebenen Steinzeichnung verewigte. — Er sah sich stets von neuem beschenkt, und die wachsende Kenntnis um die Dinge der ihm gemäßen Welt war es, die ihn früh zu jener stillen Heiterkeit des Wesens führte und jede

Problematik ausschaltete. Man wird selten einem so in sich ruhenden Meister begegnen.

In seinen Gesprächen nahm seine Künstlerfreundschaft mit Barlach einen breiten Raum ein. Eigentlich wären schon ihren Schöpfungen nach tiefere Gegensätze, zweier so .hervorragenr der Vertreter deutstrheri Biiflhäuerkwist sehweHi'-lich zu denken. Drückt doch Barlachs Werk das leidvolle Pathos einer übergroßen Einsamkeit aus, die die Harmonie erst im erlösenden Schmerz sucht und in der Hoffnung, den Schmerz durch seine Verklärung zu erlösen. Indessen gibt Gaul sich voll befriedigter Ausgeglichenheit dem So der Welt hin.

Es war immerhin ein absonderlicher Zufall, der die beiden zusammenführen sollte. Denn Gaul war es, der den noch unbekannt Ringenden und Suchenden zu einer Zeit in seiner Eingezogenheit aufspürte, als der Name Barlach noch nirgends in Deutschland aufgeklungen war. Gaul erzählte darüber, wie ein in guten Verhältnissen lebender Freund ihn gelegentlich einer Gesellschaft in seinem Hause gebeten habe, noch einmal mit in seinen Keller zu kommen und einen Kamin zu begutachten, den er von einem weltfremden, armseligen und etwas menschenscheuen Künstler mehr aus Gutmütigkeit erworben und im Erdgeschoß abgestellt habe.

Gaul stand erschüttert vor dem Werk und erkannte sofort, daß hier ein Naturgenie den Meißel geführt hatte. Es war Ernst Barlach. Er suchte den ihm bis dahin Unbekannten auf und veranlaßte sofort mit Erfolg seinen Freund, den Kunsthändler Cassirer, sich für die Arbeiten Barlachs einzusetzen. Durch diese fachkundige Befürwortung des anerkannten Meisters war Barlach für die Oeffentlichkeit entdeckt, zu der ihm — durch die Sprödigkeit seiner Jugendwerke und seiner seltsamen Persönlichkeit zumal — der Zutritt bisher versagt geblieben war. Barlach atmete auf, da ihm endlich ein auftragsloses Arbeiten beschieden war. „Der aufrechte Künstler, der sich selbst getreu bleiben will“, so fügte Gaul seinem Bericht nach feiner Pause hinzu, „wirrSsjUSifner eochliiilil rrrte-J sen wie Barlach.“

Der Arzt in Martinsbrunn verriet mir bald, daß Gauls Krankheit unheilbar sei. Man ließ ihn daher gewähren, daß er unermüdlich und oft unter großen Schmerzen an den Skizzen zu einem Glücksbrunnen arbeitete, den die Stadt Berlin für den Wittenbergplatz in Auftrag gegeben hatte. Der Brunnen sollte aus vier Ferkeln bestehen. „Schweinchen, die ihr Geschäftchen machen“, lächelte er schalkhaft. „Die um den Verkauf ihres Gemüses besorgte Marktfrau soll einen Augenblick sich freuen können, wenn sie ihre Waren an dem Brunnen vorüberschleppt, und die Kinder sollen die Bronzefiguren streicheln können und sich aussuchen: dies hier ist mein Schweinchen.“

Täglich gingen wir nach dem Schweinestall, in dem zwölf Ferkel zu dem bestellten Glücksbrunnen „Modell standen“. In allen Stellungen, in denen sie sich durcheinanderwälzten, erschienen sie mit knappen Strichen auf dem Papier, und als ich bemerkte, wie lebendig ähnlich das kleine Viehzeug von ihm festgehalten wurde, sagte er: „Ich bin ein gehorsamer, demutsvoller Diener der Natur .. . Erst bei der Schöpfung eines Werkes bin ich souverän und diese Blätter hier bedeuten mir nichts mehr.“

An dieser Arbeitsweise der beiden Bildhauer wird eine innere künstlerische Verwandtschaft am eindrucksvollsten erkennbar. Barlach selbst berichtet, daß er mit gleicher schöpferischer Unermüdlichkeit seine „Modelle“ von innen her sich zu eigen zu machen und ihnen die letzte Art abzulauschen versuchte. „... Auf der Strecke Charkow—Kiew saß mir ein russisches Ehepaar gegenüber. Ich hatte mich einigermaßen umgesehen, aber so echt war mir noch nichts vorgekommen. Vor allem die Frau. Ieh habe sie einfach auswendig gelernt.“

Man kann gewiß nicht sagen, daß die Begegnung mit Werken Barlachs in ihrem magischen Realismus immer anheimelnd ist wie bei Gaul; aber ergreifend ist sie stets. Wäre denn Gauls Schaffen der harmonischen Heiterkeit Mozartscher Kunst vergleichbar, so nähert sich Barlach der Dämonie Dostojewskis. Vor den Erschütterungen der Zeit verstört zurückweichend, hält er seinen Seelenzüstand gefühlstief in sei-' ffVff i'teyfl iGewanJT noch die plumpe Materie veTgelsfigl. Aber ihre Erdenschwere bleibt unerlöst, sie bleiben dem Boden verhaftet, sind ungelockert- und von besessener Hingabe oder von irdischem Trotz wie ihr Meister. Und vielleicht — so meinte Gaul — weil er . in quälenden Fragen die letzte Antwort nicht fand, trieb ihn die von dumpfem Lebensdruck erfüllte Aussage seiner Geschöpfe in die konkretere Sprache der Literatur.

Der Süden hatte Gaul keine Erholung mehr bringen können. In Berlin besuchte ich ihn nun fast täglich. Er wußte selber, wie es um ihn stand, und es schien ihm ein Bedürfnis zu sein, die stillen Schätze seiner Schöpfungen zu zeigen, wie wenn er von jedem Werk noch einmal Ab1 schied nehmen und den letzten Tagen einen greifbaren Inhalt geben wollte.

Eines Tages bat er mich, als er im Vorgefühl der Todesnähe selber nicht mehr zur Feder griff, ich möge dem Freund Barlach nach Güstrow über seinen Zustand berichten. Es war bekanntlich damals geplant worden, daß dieser nach Gauls Ableben dessen Atelier am Berliner Roseneck übernehmen sollte. Nach dem schon zwei Tage darauf erfolgten Heimgang des kongenialen Meisters antwortete Barlach mir in großer Trauer um den verehrten Freund und schrieb, daß er nach kurzem Schwanken erkannt habe, daß Berlin kein Feld mehr für ihn sei. Es war der Brief eines Naturmenschen, der schon 1919 auf dem Friedhof von Badendiek bei Gütsrow sagte: „Man möchte sagen: Lieber hier begraben sein als anderswo leben.“

Im Atelier Gauls stand jetzt der in einen riesigen Basaltstein gehauene Menschenaffe, ein Orang-Utan, und' füllte eine ganze Ecke des Arbeitsraums. Eine unheimliche Wirkung ging von dem gewaltigen Leib dieses Urgeschöpfes aus, dessen tragischer und zugleich bedrohlicher Gesichtsausdruck unter der lauernden kurzen Stirn wie zum Leben erweckt schien. Gaul hatte die Arbeit, die sich heute in der Nationalgalerie befindet, nicht für fertig erklärt. — Als ich am Sterbetag längere Zeit an seinem Lager verweilte, ohne mich zu bemühen, seiner abgeklärten Stimmung noch mit leeren Hoffnungsphrasen zu begegnen, bedeutete er mir beim letzten Abschied, ich solle noch einmal ins Atelier hinübergehen, den Orang-Utan zu betrachten — gleichsam, als wolle er auf diese Weise noch einmal die Verbindung zu dem verlassenen Arbeitsplatz herstellen ...

Neben dem Koloß lag das gestern noch benutzte Handwerkszeug des Meisters, das seine Hand nicht wieder aufnehmen sollte. .

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