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Das Nachfoige-Garbo-spiei

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A Is das Kino jung war, gab es noch keine Stars. Die kamen erst viel später in den zwanziger Jahren. Mary Pickford hieß der erste der Stars. Sie ist heute eine betagte Dame und lebt in jenem Wohlbehagen, das nur ein wacher Geschäfts sinn ermöglicht. M. P., wie sie abgekürzt genannt wurde, war das erklärte Schweethart der westlichen Welt, ein Geschöpf mit kindlichem Auigenaufschlag. Ihr Mann und Partner hieß Douglas Fairbanks. Die Hochzeit der beiden war ein Märchenfest, bei dem die Vereinigten Staaten Trauzeugen waren. Der merkantile Dollarsegen rettete auch sie über schwarzen Freitag und Wirtschaftskrise hinweg. 1933 zog sie sich zurück. Schön, blond und reich.

Mit ihr und nach ihr schossen die Stärs wie Pilze aus dem Boden Hollywoods: Gloria Swanson, John Barrymore, Clark Gable, Ramon Novarro, Rudolf Valentino und so weiter und so fort. Im alten Europa war auch ihre Stunde gekommen: Asta Nielsen, Henny Porten, Pola Negri, Conrad Veidt, Harry Liedtke. Sie haben sich derart vermehrt, daß alle aufzuzählen unmöglich ist. Sie alle wurden mit dem Vorspann geboren, ein „Who is who“ in knappster Form. Ihre Namen haben sich in die Hirne der Millionen eingegraben. So heftete sich das Interesse auf den Star, der immer im Vordergrund steht.

Der Star ist nicht allein im filmischen Bereich daheim. Illustrierte, Funk und Fernsehen haben das Ihre getan, daß es Stars auch im Sport, in der Literatur, in der Kunst gibt. Somit wurde eine synthetische Oberschicht kreiert, die zugleich die Eitelkeit der ihr Zugehörenden wie das Bedürfnis der Massen nach einem Leitbild und Objekt der Bewunderung befriedigt. Stars bieten die Möglichkeit zur Identifizierung, ohne daß diese Leitbilder schon menschliche Größe verkörpern oder überragende Leistungen böten. Stars gehören zur Prominenz.

Das Wort prominent kommt vom Lateinischen, sagen die Neunmalklugen, prominere heiße doch hervorragen. Es bedeutet wirklich aber nur das materielle Hervorstehen, Nach- vorne-Ragen und — Drängen — eines Gegenstandes aus der Masse.

In der übertragenen Bedeutung heißt es niemals soviel wie „sich auszeichnen“. Dafür gibt es nur die Worte „eminere“ und „excellere“, daher der Titel Eminenz und Exzellenz. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. So hat sich die echte Prominenz mit der Pseudoprominenz gemischt, die an die Stelle der alten, guten Gesellschaft getreten ist. Das ist heute allenthalben restlos gelungen, weswegen Sexbomben ohne Knall und andere Mitternachtserscheinungen sich, ins simpelste Gemüt gemausert haben. Über Playboys, Exmonarchen und Schiffsreeder levantinischer Herkunft leben gewisse großformatige Wochenzeitungen monatelang,

indem sie deren aktuelle oder verflossene Wehwehchen ihren Lesern mitteilen. Dazu gehören auch die

Starlets, vorausgesetzt, daß sie genügend Skandal machen oder gerade nur so viel Pillen schlucken, daß es beim Selbstmordversuch bleibt. Brigitte Bardot, das höchstbezahlte Schmollmündchen der Welt, hat das vorexerziert.

Hier ist die Publicity mitunter grausam. Wer nicht genügend Stoff zur Erwähnung liefert, wird von der

Prominentenliste gestrichen. Dies geschah mit dem Obersten Townsend („Townsend und keine Nacht“), der ins dritte Glied zurücktrat, mit Aga Khan, der kraft abgeschlossener Verkalkung keine Sensation mehr bot, und mit Exkönig Faruk, der zur Armee der Excasanovas abberufen wurde. Wer zur echten Prominenz gehört, nämlich Fürsten, die kein Aufsehen erregen, Schauspieler, die ihren Theatern die Treue halten, mätzchenfreie Literaten, von denen weiß man ohnehin, wer sie sind, wie sie sind und was sie tun.

Bleiben wir beim Film und seinen Stars. Die fixen Manager der Kommunikationsindustrie wissen, daß es möglich ist, durch Werbung einen Star zu machen. Marilyn Monroes Neigung für textilarme Photos war mit ein Anlaß für ihren kometenhaften Aufstieg zur Gallionsfigur des transatlantischen Filmbabels, das den Vormarsch des Fernsehens zu spüren bekommen hatte. Ihre üppige Vorderfront beherrschte sieben Jahre lang die Magazine des Westens. Es war die erfolgreichste technologische Kreation eines Stars. Das Gegenteil davon war der Aufstieg der Greta Gustavsson, die unter dem Namen Greta Garbo die Welt eroberte. Sie war das Traumbild ihrer Epoche. Daß ihr Ruhm und ihre Schönheit schon zu Lebzeiten den der Helena von Troja übertraf, ist ein Phänomen. Sie begeisterte die Männer, und das, ohne die Frauen gegen sich aufzubringen. Sie wurde das Opfer der Publicity, die sie haßte. Keine noch so krasse Camouflage schützt sie vor dem Entdecktwerden, Auch heute, fast 30 Jahre nach ihrem letzten Film, muß sie den Fluch der öffentlichen Einsamkeit tragen. Ohne hirhverne- belnde Oberweite, ohne Skandale erfüllte sie mit ihrem silbrigen Gesicht die Träume der Menschheit ihrer Tage. Wer sie sah, wurde besser. Ihre Wirkung war, im Gegensatz zu den meisten Filmmädchen, moralischer Natur. Noch heute seufzen die Menschen, wenn ihre alten Filme aufgeführt werden.

Gab es Stars ohne Starallüren? Natürlich gab es sie. Man denke an das weltberühmte Trio der genialen Humsti-Bumsti, bestehend aus Charly Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton. Chaplin war die stärkste Persönlichkeit, der ewige Tramp, Vagabund ohne Heimat, der kleine Mann schlechthin. Lloyd war der akrobatische „Keep-smiling“- Buffo mit Strohhut und Hornbrille, Keaton der melancholische, verträumte Lyriker aus dem verrückten Wölkenkuckucksheim. Diese drei Musketiere des höheren Blödsinns stellten die Welt auf den Kopf und waren selbst ihre beste Reklame. Oder denken wir an den Helden der weißen Berge, an Luis Trenker, der mit 70 den Sprung zum Fernsehen wagte. Wo er war, der Hochalpinfex, mit seiner raffinierten Treuherzig-

keit, dort roch es nach Latschen und Skiwachs, nach Sonnenöl und Gipfelschweiß. Er hatte die Wintersportkonjunktur schon vor 35 Jahren vorausgeahnt und gefördert.

Noch nie war es so einfach, Filmstar zu werden. Sagen die Manager. Noch nie seit der Erfindung der Kinematographie wurde in solchem Maße Jagd auf junge Mädchen gemacht. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht sexroutinierte Teenager, einladend lächelnde Verkäuferinnen oder hochbeinige Mannequins dem angeblichen Talentsilo einverleibt werden. Dies geschieht in der BRD, in England, in Italien. Die „Novizinnen“ meinen fest, den Weg zum Ruhm anzutreten. Es wird aber meist eine Tour de Sex, die in müder Resignation endet, wenn nicht in Schlimmerem. Nur wenigen glückt es, s h im Management zu behaupten und einen festen Paradiesplatz unter den Jupiterlampen einzunehmen, derentwegen sie den Ladentisch oder der Boutique adieu gesagt hatten.

Die Zahl der Reklamesüchtigen (Starlet Carol Lynley: „Stimmt genau. Talent allein genügt nicht. Zum Glück bin ich auch neurotisch“), Minderbemittelten im Geist und in der Brieftasche, Gefügigen und erotisch Neugierigen ist Legion. Für sie alle ist der Film eine Art „Sesam, öffne dich!“. Starlet zu sein, ist auf westlichen Parties abendfüllend. Es ist ein Mythos, der zum Gruppenbewußtsein verleitet, ein fragwürdiges Prestige besitzt, im Grunde aber eine optische und soziale Täuschung ersten Ranges.

„Lassen Sie sich testen“, „Ein faszinierender Beruf wartet auf Sie“. So oder ähnlich trompeten geschäftsgewandte Manager und Talentsucher. Bei Mißwahlen soll die Spreu vom Weizen geschieden werden. Stets kommen dort viele Mädchen zusammen. Ein Sammelsurium von Dicken und Dünnen, Dummen, pausbäckigen Knöspchen und exaltierten Karriere girls. Natürlich auch, im Dutzend billiger, der Abklatsch typenprägender „Idole“. Man muß das einmal erlebt haben. Ansager sorgen für die Unterhaltung des Publikums. Barhocker, Laufsteg, Strand und Titelbilder sind die exhibitionistisch angehauchten Vorstufen zum Film. Fast nie ist vom Besuch einer Schauspielschule die Rede, in der das Handwerkliche gelernt wird. Ein Röllchen steigt dem Unglückskind zu Kopf. Es hat mit „Jürgens gedreht“, aber wenn die Kamera klemmt, gibt es kein Umsatteln, weil es keinen Beruf gelernt hatte.

Eine bekannte deutsche Schauspielerin, heute Besitzerin eines Chalets im Tessin und eines formi- dablen Aktienpaketes, abgesichert gegen Flauten, sagte neulich, daß nicht der beste Schauspieler, sondern der cleverste beim Film am chancenreichsten sei. Viele Produzenten interessieren sich kaum für die Reife eines Schauspielers. Bei ihnen steht der am höchsten im Kurs, der die meisten Titelphotos in den Illustrierten hat. Publicity ersetzt oft das Können. Dem könnte man abhelfen, indem man mehr den begabten Nachwuchs herausstreicht. Aber die Flucht in die Welt des schönen Scheins hält unentwegt an. Noch einen Blick auf Hollywood: Stella Stevens. Einst eine Filmhoflnung von 18 Jahren, hat sie heute im Geschäft Fuß gefaßt. Sie spielte nach einer Lehrzeit als Nackedeimodell für galante Magazine ein schizophrenes Partygirl, das Martinis aus einer Wasserpistole trinkt und sich zum Schluß entleibt. Seither sind ihre geistigen Ansprüche und die Gagen gewachsen. „Die Grundlage meiner Existenz ist das Atmen“, vertraute sie einem Interviewer an. Mit einem Blick auf ihre bevorstehende Unsterblichkeit ließ sie sich ihre Totenmaske abnehmen. Eine Zeitung nannte sie „die zweite Garbo“. Hollywood als Gartenlaube. Es ist zum Mitweinen.

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