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DER WUNSCH

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Es waren alte Leute, die Tag für Tag die schwarze Erde ihres Ackers besorgten, die drei höckerigen Ziegen fütterten und im Herbst die frischen Äpfel und Birnen in dunkelbraunen, selbstgeflochtenen Weidenkörben ins Haus trugen. Zur Zeit des Frühlings hängten sie immer einen Kranz neuer Blumen über ihre Türe. Und des Abends duftete aus der lehmfarbenen Tonschüssel die leuchtend-weiße Milch der drei Ziegen.

Die Alte sorgte für die Glut im Herde, während ihr Mann — immer seltener zwar — zum Stabe griff und sich auf den Weg machte zur Stadt, die manche Stunde nach Osten zu lag. Früh, wenn er das Haus verließ, strahlte die Sonne ihm ins Antlitz und abends, wenn er auf dem Heimwege war, tat sie es — nur viel behutsamer — wieder. Seine Alte aber kam ihm jedesmal ein Stückchen des Weges entgegen und ließ sich, unablässig mit dem Kopfe nickend und mit lächelnden Lippen Fragen stellend, die bunten Eindrücke berichten, die ihr Mann in der Stadt empfangen.

Daheim dann stellte sie ihm den knotigen Stab in die Ecke, nahm warmes Wasser vom Herde und wusch dem Müden mit Sorgfalt die staubigen Füße Wenn sie dabei zuweilen mit verwunderten Augen aufblickte, um ihn ein anderes zu fragen, mochte es vorkommen, daß er, statt zu antworten, sie ganz behutsam auf die Stirne küßte. Rasch aber beugte sie sich dann himmter zu seinen Füßen und nur ihre Hände zitterten ein wenig vor Zärtlichkeit.

Ihre beiden Seelen durchwehte derselbe Wind.

Eines Tages geschah etwas Seltsames; zwei Fremde baten um gastliche Aufnahme. Ihre Füße waren nicht von Staub besudelt, obwohl sie sichtbar den Weg von der Stadt her gekommen. Dennoch stand für sie warmes Wasser auf dem Herde bereit. Ihre Augen blickten gar nicht müde, obwohl sie gegen die abendlich sinkende Sonne gewandert waren. Dennoch bot die Alte ihnen Lager für die Nacht. Auch Wein und Salz und Brot und sogar ein wenig Obst trug sie auf den Tisch für die glänzenden GL,te.

Der eine nun lächelte, denn er spürte den Hauch, der die beiden gemeinsam durchwehte. Und da fragte er sie, und seine Frage war wie verklingender Donner, ob sie einen Wunsch zu sagen wüßten. Sie schauten ni^ht verlegen, betroffen. Ja, sie wußten einen Wunsch; schon länge hatte er frühere Liebesworte fromm aufgewogen; sie hatten sich's oft schon leise gesagt, die glücklichen Gedanken zurückgewendet in die lange gemeinsame Zeit. Derselbe Wind hatte durch ihre Seelen geweht, schon seit jeher. Und so schenkten sie den glänzenden Gästen nun auch ihr streifte. Der Park war so düster, und die Bäume waren so hoch, daß es aussah, als ob ihre Wipfel bis zu den Sternen reichten und sich dort ineinander verstrickten. In der Tiefe des Parks unter dem Zelt der undurchdringlichen Lindenkronen hielt der Wagen vor einem kleinen Haus mit hellerleuchteten Fenstern. Zwei Hunde, ein weißer und ein schwarzer, Mordan und Tschet-wertak gerufen, kläfften mich an, sprangen an mir hoch und versuchten, mir das Gesicht zu lecken.

An jenem Abend begann mein Leben in Rjowny, das früher einmal ein Potjomkinsches Gut gewesen war, ein Leben inmitten der düsteren Brjansker Wälder und Flüsse, unter den Bauern des Gouvernements Orjol, in jenem alten Park, der so riesengroß war, daß niemand sagen konnte, wo dieser Park zu Ende war und w« der Wald anfing. Es war der letzte Sommer meiner eigentlichen Kindheit. Darnach begann die Zeit auf dem Gymnasium. Unsere Familie ^rrfiel. Ich lebte sehr früh allein, ich mußte mir in den oberen Klassen des Gymnasiums bereits meinen Lebensunterhalt selbst verdienen und fühlte mich daher schon früh ganz als Erwachsener, i

Seit jenem Sommer bin ich für immer und von ganzem Herzen an Mittelrußland gefesselt. Ich kenne kein Gebiet, das eine so große lyrische Kraft ausströmt und mit all seiner Schwermut, Ruhe und Weite von so rührender Schönheit ist wie dieser mittlere Teil von Rußland. Die Größe dieser Liebe ist schwer zu ermessen. Jeder hat das schon einmal selbst empfunden. Man liebt jeden Grashalm, der sich unter dem Gewicht des Morgentaues beugt oder von der Sonne erwärmt wird, jeden Trunk Wasser, den man aus einem Waldbrunnen schöpft, jedes Bäumlein am Seeufer, dessen Blätter rauschen, obwohl der Tag windstill ist, jeden Hahnenschrei und jede am blassen hohen Himmel dahinziehende Wolke. Und wenn ich mir manchmal wünsche, hundertundzwanzig Jahre alt zu werden, wie es mir Netschipor prophezeite, dann nur deshalb, weil ein Leben zu kurz ist, um ganz den Zauber und die heilende Kraft unserer russischen Landschaft za «rf&nenr ,SSü'„sj)0 „^„„m ms-f> . . , uon coiWb Die Kindheit ging zu Ende:-EHSt ttaur^däß wir den ganaen Reiz der Kinderzeit erst dann zu V&stelieri^beginnen; wenn wir schon Erwachsene werden. In der Kindheit war alles ganz anders. Wir sahen die Welt mit klaren und reinen Augen an, und alles erschien uns so viel lichter. Die Sonne strahlte schöner, die Felder dufteten stärker, der Donner war lauter, die Regen waren stärker, und das Gras war höher. Weiter war damals das Herz der Menschen, bitterer das Leid und tausendmal wunderbarer die Welt; die Heimat aber war das Herrlichste, was uns fürs Leben gegeben war.

Geheimstes, die Worte ihrer Liebe, sie wollten zur selben Stunde den dunklen Tod erdulden.

Da lächelten die beiden glänzenden Gäste wieder und nickten. Und sie gedachten des frommen Wunsches, als die Alte eines Abends vor der Zeit sich niederlegte in letzter Schwachheit. Da sandten sie auch ihm voll Güte unendliche Müdigkeit in die Glieder, so daß auch er vor der gewohnten Stunde das Lager aufsuchte.

Am nächsten Morgen ragten zwei Eichen vor der alten Hütte und derselbe Wind wehte durch sie hin und bewegte die Blätter und Äste.

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