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Die Brandstifter in Wien und ein alter Mann

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Eine sehr gelungene Aufführung im Volkstheater: in der Regie Gustav M a n k e r s befreundeten sich die Wiener mit Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter”, die sie bereits im Juni 1958 im Burgtheater durch ein Gastspiel des Züricher Schauspielhauses kennenlernten. Hoffen wir, daß dieses politische Schauspiel seinen Weg auch in unsere Bundesländer findet: sie haben es, wie wir alle, nötig. Frisch hat seinen Brecht studiert, verdaut und in eigenen Elementen neu aufgebaut. Zu Nutz und Frommen einer schlafsüchtigen, geschäftstüchtigen, hier und dort sentimen- talischen, im Innersten feigen und verdummten „bürgerlichen” Welt, hat er es einst seinen Schweizern, die die nazistischen Brandstifter in ihr Haus aufnahmen und ihnen mehr gestatteten, als ihrer Seele und ihrem Ruf guttat, geschrieben. Otto Woegerer ist kein Schweizer „innert des Züribietes”, wohl aber ein artverwandter, massiver Geschäftsmann, der mit seiner lieben Frau (Margarete Fries) den bulligen Landsknecht und Rottführer des Teufels, Hans Otto Ball, und seinen abgefeimten Oberkellnerkollegen (Kurt Sowinetz) in sein Haus aufnimmt und zusieht, wie sie dieses und die freie Stadt, den Staat in Brand stecken. Ergreifend in ihrer Dummheit und Hilflosigkeit, an das Geschwätz unserer Kulturapostel erinnernd, umsteht eine „Feuerwehr”, geführt von einem untergründig mit den Brandstiftern im Bunde stehenden Hauptmann, die Vorbereitungen zum Brande. Wer Erinnerungsvermögen, Erinnerungswillen und Freiheitswillen hat, denkt da an den März 1938, in diesem März 1961, der von drohenden, verdeckten, verschönten Gefahren überschwillt, obwohl die beamteten Verteidiger des Staates sagen: Bürger, es ist nicht schlimm!

Die starke politische Tragikomödie von Max Frisch hat leider zwei Haken, so daß sie, im Ganzen, schlecht aufgehängt erscheinen kann. Der erste Haken besteht darin: Frisch möchte, in der Gegenwart, gerne auch die anderen Brandstifter, die linksradikalen Brüder, um deren Genossenschaft sich Joseph Goebbels vor 1933 und wieder 1945, im brennenden Berlin, bewarb, einbeziehen. Das geht aber nicht gut: Taktik und Strategie kommunistischer Machtübernahme, Werbung und Infiltration sind ganz anders und richten sich auch gegen andere Gruppen und Typen der Gesellschaft. Es ist wichtig, daß, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, die biederen Brandstifter „Lili Marken” und nicht die „Internationale” pfeifen. Das hätte ein anderes Stück, ein anderes Drama erfordert. Der zweite Haken besteht darin: Frisch hat für Wien, um den Einakter zum vollen Abend zu runden, ein Nachspiel geschrieben, das wiederum ein Thema behandelt, riesengroß, würdig eines Dramas, da es die allerheißesten, allerheikelsten Eisen unserer Zeit behandelt: die Mörder, die Brandstifter und ihre Anstifter, die Generale und Machthaber vom Gestern im „Himmel”: dorthin werden sie nämlich durch ein Volk versetzt, das seit sehr alter Zeit sich daran gewöhnt hat, seine Furcht in Ehrfurcht zu wandeln und seine Zwingherren auf Erden auf falsche Höhen zu entrücken …

Dieses riesenhafte, sehr heikle Thema kann kabarettistisch, wie hier, in knapper Kürze, nicht abgehandelt werden. Vielleicht entschließt sich Max Frisch, es so ernst zu nehmen, in einem großen Drama, wie es verstanden werden will. — Trotz alledem: ein sehr verdienstlicher und auch sehr unterhaltsamer Abend. Übersehen wir zum Schluß nicht ganz den verzweifelnden Intellektuellen, der sich mit den Brandstiftern einließ (Ernst Meister), und das verzweifelnde Dienstmädchen (Paola Loew): es steht für ein Volk, das, naturbelassen, durchaus imstande wäre, die Brandstifter zu erkennen, und erst mitmacht, nachdem ihm die „besseren Herren und Herrschaften” Vorspielen, daß diese doch gar nicht so schlimm sind…

Zwei Einakter im Kleinen Haus der Josef Stadt im Konzert h a u s. Walter Franck spielt das Einmannstück von Samuel Beckett: „Das letzte Band.” Das ist eine Dichtung: andere nennen es anders: wir wiederholen: diese eine Szene ist eine Dichtung, die den Atem unserer Zeit besitzt, und deshalb allerdings auch Organe, um sie zu vernehmen. Ein alter Mann spielt sich selbst, mit Hilfe alter Bandaufnahmen, einige Höhepunkte und Tiefpunkte seines Lebens vor. Wer mithört, wird hier exemplarische Situationen zu Gehör bekommen, die heute den Lebenslauf, der Langeweile und dem Tode zu, von sehr vielen Einzelnen und Einsamen in unserer Massengesellschaft bilden: ein, zwei, drei scheiternde Begegnungen des scheuen und verlangenden Mannes mit Frauen: Wachträume von Erfolg: Erinnerung an das Sterben der Mutter: allein im überfüllten „Lokal”: allein in der letzten

Stube, mit dem letzten Band, dem Tode zu. Das erinnernde Tonband spricht für die unheimlich schnell und leer abspulenden Lebensläufe Moderne Dichtung bedarf der besten, wachsten, sensibelsten Schauspieler, ln Walter Franck ist ein solcher zugegen.

Der zweite Einakter, „Das Pflichtmandat” von John Mortimer, behandelt ein reizvolles Thema: Ein gescheiterter Rechtsanwalt erhält endlich einen „Fall”, einen Pflichtfall, die Verteidigung eines Gattenmörders. Und versagt völlig. „Rechtsanwalt” und „Mörder” sind aber nur Chiffren für zwei einsame, zuinnerst hilflose Männer. Hier versucht der „Verbrecher” den Anwalt zu trösten. Was ihm fast gelingt. Diese ergreifende Groteske wird leider durch die Fehlbesetzung um ihre Bühnenwirkung gebracht: Ernst Waldbrunn ist nicht der Rechtsanwalt und Guido Wieland nicht der Verbrecher, die hier, stellvertretend für viele, einander begegnen sollen.

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