6809429-1972_25_11.jpg
Digital In Arbeit

Thema: Der Mensch

19451960198020002020

Werden Stücke wiederaufgeführt, die früher gewaltigen Erfolg hatten, kann es Enttäuschungen geben. Das ist bei dem Schauspiel „Haben“ von Julius Hay der Fall, das derzeit im Burgtheater zu sehen isfc Dieses 'Stückt' auf Grund faktischer Vorkommnisse, die sich in Ungarn ereigneten, im Jahr 1936 geschrieben, galt als sozialkritisches Dynamit gegen eine nunmehr versunkene Gesellschaftsordnung. So wurde es interpretiert, so will es der Autor aufgefaßt wissen. Aber diese Deutung stimmt nicht.

19451960198020002020

Werden Stücke wiederaufgeführt, die früher gewaltigen Erfolg hatten, kann es Enttäuschungen geben. Das ist bei dem Schauspiel „Haben“ von Julius Hay der Fall, das derzeit im Burgtheater zu sehen isfc Dieses 'Stückt' auf Grund faktischer Vorkommnisse, die sich in Ungarn ereigneten, im Jahr 1936 geschrieben, galt als sozialkritisches Dynamit gegen eine nunmehr versunkene Gesellschaftsordnung. So wurde es interpretiert, so will es der Autor aufgefaßt wissen. Aber diese Deutung stimmt nicht.

Werbung
Werbung
Werbung

Angeblich sind die Besitzverhältnisse angeklagt, die Armut der Dorfbewohner, die zu Verbrechen treibt. Aber die „menschenunwürdigen Umstände“, unter denen die Dorfbevölkerung lebt, werden kaum angedeutet, geschweige denn vorgeführt. Die Frauen dieses Dorfes ermorden reihenweise ihre Männer, um sie zu beerben. Wird dadurch im Selbsthilfe-verfahren die verbrecherische Gesellschaftsordnung partiell aufgehoben? Keineswegs. Es geht gar nicht gegen die adeligen Großgrundbesitzer und Fabriksherren, sondern gegen Dorfbewohner. Die Weiber entledigen sich aus Habsucht, gewissermaßen als dörfliche Emanzipierte, je in mehreren Ehen ihrer Männer, vergrößern dadurch ihren Besitz. Gesellschaftlich gesehen ändert sich aber nichts, die Verbrechen haben keine soziale Wirkung. Vollends kann man Habsucht nicht auf eine falsche Gesellschaftsordnung zurückführen, Habsucht gibt es auch bei Reichen.

Zu diesem Ergebnis eines vergrößerten Besitzes kommt es gerade bei der Hauptfigur Mari, einem netten armen Ding, nicht. Sie liebt einen Gendarmen, von dem sie ein Kind erwartet, der aber nicht bereit ist, sie zu heiraten, worauf sie sich von einer Sekunde zur anderen entschließt, den ältlichen, reichsten Bauern zu heiraten und ihn nach örtlichem Brauch zu vergiften. Innere Voraussetzungen dafür werden nicht gezeigt. Und diesen Mord begeht sie, man muß schon sagen: saudumm, gleich nach der Hochzeitsnacht. Die Tochter des Ermordeten hat sich Gift beschafft, um die junge Stiefmutter umzubringen, trinkt aber dennoch (höchst unglaubwürdig) den von der Verhaßten vergifteten Kaffee. Bedarf es noch mehr an Einwänden? Das Stück bleibt einem gleichgültig.

Die Impression „Ungarn“ wird in den Bühnenbildern von Hermann Soherr durch rechteckige, hintereinander parallel zur Rampe gestellte

Kulissen vortrefflich erreicht. Regisseur Rudolf Wessely bekundet besondere Hochachtung vor dem Stück, er zelebriert es. Sylvia Lukan glaubt man als Mari das nette Ding, kaum die Verbrecherin. Ebensowenig spürt man bei Hans Gratzer als Gendarm den verschlagenen Kerl. Paul Ver-hoeven ist ein protziger Dorfreichster. In kleineren Rollen sind erste Kräfte aufgeboten: Alma Seidler, Adrienne Gessner.

*

Die gegenwärtig große Zahl junger englischer Dramatiker verführt besonders einen Teil der bundesdeutschen Kritik dazu, Stücke, die von daher kommen, kraß zu überschätzen. Das gilt auch für die bürgerliche Komödie „Der Menschenfreund“ des 26jährigen Christopher Hampton, die derzeit im Akademietheater aufgeführt wird. Englisches Universitätsmilieu, abgekapselte Welt der Professoren. Eingebettet in fast endlos dahinplätschernden Gesellschaftstratsch wird uns Philipp, ein akademischer Lolatsch, vorgeführt, der — im Gegensatz zu Molieres Menschenfeind — rückgratlos „menschenfreundlich“ zu allem Ja sagt, so daß er, der Schwächling, auch bei Frauen kein Glück hat. Und wenn schon, sagt man sich zu dieser ach so feinfühligen Psychologie, was geht das uns an? Der junge Autor hat nicht die Kraft, ein Menschenbild zu formen, das uns in seinen Bann zwingt, er langweilt nur. Hinzu kommt ein Anfang, der dilettantisch wirkt, weil er keine Weiterungen hat. Musik von Bach und Mozart bis Albinoni, die der Autor für die Pausen vorschreibt und für nötig erachtet, bekundet diesfalls die Schwäche des Stücks. Unter der anspruchslosen Regie von Peter Arens spielt Frank Hoffmann glaubhaft den Philipp, heben sich Else Ludwig, Ulli Fessl und Alexander Trojan in ihren Rollen stärker heraus.

*

Im Theater an der Wien führte das

Bayerische Staatsschauspiel, München, Otto Schenks vielgerühmte Inszenierung von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ auf. Das Vorspiel fehlt, dennoch ließ man sich wohl von daher anregen, das Bühnenbild (Günther Schneider-Siems-sen) wie auf einer Pawlatschen aufzubauen: verstellbare niedere, rohe Bretterwände mit gemalten spärlichen Architekturandeutungen. Diese Komödie von der völligen Unterwerfung des widerspenstigen Käthchens unter den brutal-vitalen Willen Petrucchios wirkt wie ein Hohn auf die heute mächtig sich geltend machende Frauenemanzipation. Also dachte sich wohl der Österreicher Schenk, dem ist nur mit Charme beizukommen, und selbstverständlich muß man spüren, daß die beiden von Anfang an fühlen, wie sehr sie füreinander bestimmt sind. Das mildert das Ungefüge. Selbst emanzipato-risch gesinnte Zuschauerinnen müssen da nachsichtig lächeln. Diese Auffassung Schenks wird durch zwei österreichische Schauspieler in den beiden Hauptrollen, Christine Oster-mayer und Klaus Maria Brandauer, überaus bühnenwirksam. Da alle übrigen eine gute Folie abgeben, zeigt sich auch in Wien der Erfolg. *

Exzessive politische Propaganda betreibt das „Cafetheater“ im Museum des 20. Jahrhunderts mit seiner neuesten Produktion, der Aufführung von „Freiheit 1848 in Krähwinkel“, für die diese Gruppe die bekannte Posse Nestroys als Vorwand benutzt. Durch kollektive Bearbeitung und durch Zwischenlieder von Peter Turrini geht es da aktivistisch wider politische Lauheit, um das Errichtei von Barrikaden, um den Ruf nach Revolution und Freiheit. Es zielt das immer wieder auf die Gegenwart. Dazu tragen die Darsteller nur andeutend die Kostüme von damals, ihre Bewegungen schwingen unter der Regie von Dieter Haspel auf den simultanen, lediglich durch Sitzgelegenheiten gekennzeichneten Schauplätzen weit aus, manchmal wird in pantomimischen Stellungen verharrt. Die Sprechweise ist plakativ, alles dient dem agitatorischen Zweck. Was aber soll diese modische Forderung nach Änderung, nach Revolution bei uns? Eine weitergehende persönliche Freiheit, als wir sie besitzen, gibt es in einem Staatswesen nicht. Soll sie abgewürgt werden wie in den totalitären Staaten?

*

Die Band, die temperamentvoll und abwechslungsreich derzeit im Metro-Kino abends zwanzigmal musizierend, singend auftritt, wäre gar nicht übel. Aber leider geschieht dies im Gefüge des Stücks „Gorilla, Gorilla“ von Peter Weiser, das da zur Uraufführung gelangte. Diese meist quirlend Lebendigen stellen eine „Kommune“ dar, wobei es zwischen ihren „Produktionen“ Zwiegespräche gibt: Eine vorübergehend Abtrünnige verliebt sich in einen „Gorilla“ genannten, völlig belanglosen Journalisten, der — ausgerechnet er — das „Establishment' verkörpert. Was dieses Mädchen an antiautoritären Banalitäten von sich gibt (wenn auch vielleicht authentisch), läßt sich kaum noch unterbieten. Kritik am „Overground“: Läppisch. Kritik am „Underground“: Keineswegs spürbar. Der als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft so verdienstvolle Peter Weiser hätte diese Eskapade lieber meiden sollen. Ebenso auch Sabine Sinjen als Darstellerin der Hauptrolle.

• Das Ehrendoktorat der Pariser Universität, eine besonders seltene Auszeichnung für Künstler, erhielt Pablo Picasso, das der Universität München wird am 27. Juni Carl Orff verliehen. Mit einer Aufführung der „Carmina burana“ feiert die Münchener Universität an diesem Tag ihr 500jähriges Bestehen.

• Eine Doderer-Gedenkstätte wurde am 11. Juni im Bezirksmuseum Aisergrund eröffnet. Sie besteht im wesentlichen aus einer Rekonstruktion von Doderers letztem Arbeitszimmer in der Währingerstraße.

• Hans Friedrich Kühnelt arbeitet zur Zeit an einem neuen Theaterstück mit dem Titel „Die Optimisten“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung