6616507-1955_34_11.jpg
Digital In Arbeit

Schiller und Moliere in Salzburg

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist möglich geworden, die beiden Schauspielabende dieses Salzburger Festspieljahres in einem Atem zu nennen, in einem Atemzuge des Lobes, ja, der Begeisterung. Welche Welten auch Schiller und Moliire trennen mögen, welche Ziele die Regie bei „Kabale und Liebe“ und dem „Don Juan“ auch im Auge gehabt haben mag: es gibt eine Ebene, auf der sich alle große Kunst begegnen kann. Bürgerliches Trauerspiel oder Komödie, in beiden Fällen haben die Regisseure, Ernst Lothar und Jean Vilar, ein exemplarisches Beispiel gegeben für die szenische Gestaltung aus dem Geiste der Sprache. Deutsche Prosa und französischer Vers bestimmten den Stil, das Ineinanderfließen und Sichabheben der Szenen; der künstlerische Weg war verschieden und mußte es sein, aber die Vollendung war in jedem Falle so vollkommen, daß sich deutscher Idealismus und französischer Esprit berührten. Wieder einmal konnte verstanden werden, daß Tragödie und Komödie einer Wurzel sind.

Ernst Lothar ging von der Konzeption der ewig gültigen, immer wieder in dieser Welt „aktuell“ werdenden Anklage aus, eine Konzeption, die schon deshalb kühn genannt werden muß, weil ihre Verwirklichung Gefahren in sich birgt. Sie wurden, von ganz wenigen Momenten abgesehen — so etwa, wenn Miller in der Schlußszene dem sich in Gefangenschaft begebenden Präsidenten die geballte Faust nachreckt —, gebannt, indem jede nur mögliche Verschiebung des Schwergewichts zwischen bürgerlichem Recht und höfischem Unrecht sorgsam verhütet wurde. Die Grundlage zu der außerordentlich überzeugenden dramatischen Wahrheit dieser Inszenierung bildete die geradezu zeichnerisch behutsame Entwicklung der Charaktere, die geradezu minutiös pflegliche Führung der Figuren aus dem Geiste der Sprache, einer Sprachgewalt, die jenseits ihrer verhüllten Dramatik wirkt. Wie klar aus dieser Indirekt-heit der Sprache, aus ihrer Nachwirkung hier inszeniert wurde, bewies nicht zuletzt die selten anzutreffende Uebereinstimmung von Szene und Bild. Stefan Hla-was Entwürfe stimmten vollkommen mit dem Geist der Regie überein; ihr Grundriß gestattete nicht bloß dramaturgisch exakte Auftritte, er spiegelte zugleich die unerreichbare einsame Höhe des Hofes und das Geducktsein der Bürgerstube, in die einzutreten jedermann erlaubt ist.

Freilich, die Regie Ernst Lothars mußte sich zuerst an der Potenz der Schauspieler erproben. Es ist nicht wahr, daß ein Team glänzender Schauspieler entscheidet. Im Gegenteil, ihren „Widerstand“, ihre Persönlichkeiten zu brechen, das ist das eigentlich Schwere. Wenn sie dem einen Ziel sich fügen, dann allerdings entsteht ein Spiel der Beziehungen, in dem die Charaktere (der Schauspieler und ihrer Figuren) sich lebendig entwickeln, in dem jeder individuelle Ausbruch verstrickt bleibt in dem Netz der dramatischen Verwicklungen. Gerade diese Temperierung der schauspielerischen Potenzen, diese Erfassung ihrer Möglichkeiten und dieses ständige InBeziehung-Setzen der Figuren von Szene zu Szene war es, die Lothar im Auge hatte und — bis zur letzten Szene behielt. Es entstand ein Ensemble; wie man sagen muß, ein Salzburger Ensemble, denn seine Mitglieder kamen aus verschiedenen Himmelsrichtungen und fügten sich erst auf der Salzburger Fest-spielbühne zusammen. So gab es kaum graduelle Unterschiede der Leistungen; es gab nur große, bekannte Namen auf dieser Salzburger Schiller-Bühne, die ihren Ruhm aufs vornehmste neu begründeten: Ewald Baiser (Miller), Will Quadflieg (Ferdinand), Maria Schell (Luise). Walter Franck (Präsident), Heidemarie Hatheyer (Lady Milford), Adrienne Geßner (Millerin), Bruno Hübner (Wurm), Leopold Rudolf (Kalb), Erich Ponto (Kammerdiener), und Nicole Heesters (Sophie).

Molieres Komödie „Don Juan“ wurde vom Theätre National Populaire Paris geboten, von dem Manne, der das heute viel reisende Ensemble groß gemacht hat, inszeniert, und mit ihm in der Titelrolle: Jean Vilar. Es konnte nicht überraschen, daß die Verse blitzten, daß die Rhetorik der französischen Sprache, ihr Bildreichtum, ihre Fähigkeit, die Rampe selbstherrlich zu überspielen und dennoch im szenischen Mittelpunkt zu bleiben, Triumphe feierte. Man wußte auch bereits von dieser berühmt gewordenen Inszenierung, daß sie ohne Dekoration auskommt, daß sie sich auf einer nach hinten aufsteigenden Rampe im wahrsten Sinne des Wortes „abspielt“. Dennoch war man erstaunt, wie sehr bei aller komödiantischen Leichtigkeit eine Art romantischer Ironie lebendig wurde, die Molieres Fassung des durch Mozart berühmt gewordenen Stoffes gleichsam in die Nähe einer oft fast deutsch anmutenden dramatischen Unerbittlichkeit rückte. Gerade auf diese Weise — und das brachte najiezu einzig Vilars Don-Juan-Figur zustande — wuchs diese Inszenierung über Moliere hinaus, über die „Komödie“, die als eine Variation des Dramas erkannt wurde und in die Nähe der Tragödie geriet. Mag sein, daß die Beschäftigung Vilars mit deutschen Bühnenautoren, nicht zuletzt Kleist, diese „Dramatisierung“ der Komödie ermöglichte oder auch verschuldete. Anderseits hat gerade diese Inszenierung bewiesen, daß wir unsere Auffassung von einer etwa unüberbrückbaren Gegensätzlichkeit französischer und deutscher Kunstgesinnung offenbar revidieren müssen; wir sehen heute die Verwandtschaften der beiden benachbarten Kulturen stärker, und sie spiegeln sich nur natürlich auch in jeder künstlerischen Wiedergabe. Auch hier, bei den Franzosen, ein glänzendes Ensemble, in dem jeder Schauspieler, jeder Ton, jede Figur ihren Platz hat und behält. Stärker als Mozarts Leporello gerät Molieres Sganarelle, den Daniel Sorano souverän spielte, in die Nähe des Warners, ja Eiferers, wenngleich er, angesichts des toten Maestro, nichts Eiligeres zu tun hat, als den Verlust seines Lohnes zu beklagen. Elvire, die in einem traumschönen Monolog den Gatten beschwört, von seinem Lebenswandel zu lassen, war Monique Chaumette; bei Moliere gibt es gleich zwei Landmädchen, denen Don Juan nachjagt: Charlotte (Zanie; Campan) und .Mathurine (Christiane Minazzoli), welch letztere mit Pieirot (Jean-Pierre Darras) ein bäuerliches Schäferspiel treibt, das den Hof Ludwigs XIV. in hellstes Entzücken versetzt haben muß. Auch jede andere Rolle des personenreichen Stücks war hervorragend besetzt. Es gab natürlich großen Beifall, den Vilar mit seinen Kollegen in artiger Zeremonie entgegennahm. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, daß die wichtige und gerade jetzt offenbar in das entscheidende Stadium tretende Diskussion um eine neue Verankerung des Schauspiels in Salzburgs Festspiel nicht durch Gastspiele dieser Art umgangen werden kann. Wenn die Aufführungen Molieres und Schillers im Salzburger Festspieljahr 1955 dazu anregen, die Diskussion im Sinne eines Ergebnisses zu fördern, das auf längere Zeit für Salzburg Gültigkeit haben kann, dann allerdings haben sie über ihren un-bezweifeibaren Einzelwert hinaus auch nebeneinander ihre Berechtigung gehabt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung