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Wie es begann

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Als Historiker und Direktionsmitglied will ich versuchen, durch Aufdeckung der großen geistigen Entwicklungslinie der Salzburger Festspiele zur immanent wirkenden Idee durchzudringen: Idee ganz im klaren platonischen Sinn als das hinter der Erscheinung, hinter Spiel und Schein tätige und belebende wahrhaft Wirkliche kultureller Ur-kräfte betrachtet, um festzustellen, ob, wann und wie sie sich hier erfüllt hat, zuletzt aber aus dieser Erkenntnis zu einigen, jener Idee tatsächlich entsprechenden programmatischen Leitgedanken für die Zukunft vorzudringen.

Denn mir scheinen Gestaltung, Kraft und Dauer der Salzburger Festspiele keineswegs beliebig formbar, wohl erfüllbar durch das Genie einzelner, niemals jedoch ohne empfindliche Wertverluste gegen den tiefen Sinn ihrer Existenz veränderlich. Die Salzburger Festspiele sind der vorläufig letzte, in unserer Gegenwart sich offenbarende lebendige Ausdruck des uralten, höchst aktiven Kulturwillens dieses Ortes an einem der wichtigsten Schnittpunkte West-Ost, Nord-Süd, der Wege und Kulturen im Herzen Europas. Die Planung eines überragenden Geistes, der, noch in der Zeit der großen Völkerverschiebungen, diesen Platz als Zentrum eines ungeheuren Missionsgebietes erkor, einer Zelle lebhaftester Strahlung mediterraner christlich-antikischer Kultur, hat die helle, bis heute oft gedämpfte, nie erloschene Flamme jenes Kulturwillens feierlich mit seinem Segen entzündet. Der schöne Zusammenklang bodenständigen und romanischen Kunstempfindens in der Zeit der großen Erzbischöfe um 1600 hat in der schier unlösbaren Gemeinschaft baulicher, theatralischer und musikalischer Elemente das unvergleichliche Bild dieser Stadt geprägt. Es hat sich in Fischer von Erlach und Mozart persönlich, weltgeltend erfüllt.

Wir wollen an dieser Stelle nicht vergessen, daß es in zehn Jahren genau 350 Jahre her sein wird, daß zu Salzburg — ein Jahrzehnt nach der Uraufführung des ersten Geniewerkes auf dem Gebiet der Oper, des „Orfeo“ von Monte-, verdi — die erste Oper diesseits der Alpen in Szene ging, daß es 1956 dreihundert Jahre her war, seit Fischer von Erlach, und zweihundert Jahre, daß Mozart geboren wurde. Ueber hundertfünfzig Jahre, noch vor der Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzend, blühte hier als Gegenspiel der italienischen Barockoper- die wunderbare Vielfalt des Theaters an der bene-diktinischen Universität, gleich bedeutsam auf dem Gebiet des Sprechdramas, des musikalisch gehobenen Dramas, der Komödie und Posse. Aus dem Gegenspiel der gelehrten Komödie hat die Bühne des Salzburger Volkes der Welt durch die Person Joseph Anton Stranitzkys das unsterbliche Urbild des Hanswurst, der Commedia dell'arte auf zwei Beinen, der Welt geschenkt.

In der ausklingenden Welt dieses so vielseitigen, durchaus eigenständigen Theatergeschehens stand der Knabe Mozart: als Chorist noch in einem jener gelehrten Dramen mitwirkend, als Zehnjähriger selbst an der Musik zu solch einem geistlichen Spiel komponierend. Wenn dann am Eingang des „Schauspieldirektors“, an dessen Libretto Mozart sicher auch seinen Anteil hatte, von Salzburg als von der Heimat des Hanswurst gesprochen wird, so wird uns mit einemmal offenbar, daß der Meister, der als nächstes Bühnenwerk den „Figaro“ und dann den „Don Giovanni“ vollenden wird über Wesen und Verankerung dieser Figur in seiner Heimatstadt völlig im klaren ist. Bald steht die Arlecchinofigur des Figaro vor uns, bald Lepo-rello, dessen Name in den älteren Don-Juan-Stücken nicht vorkommt, der vielmehr ein Derivat der Salzburgischen Hanswurstvariatibn des Lipperl ist, später noch der unsterblichste aller Hanswurste: Papageno. Und das alles in der genialsten Synthese des Bodenständigen mit der italienischen Stegreifkomödie, mit der französischen Komödie, mit der welschen Buffa und der Wiener Tradition zum unsagbar persönlichen, zum menschlichen Geschehen im dramatischen Meisterwerk Mozarts. So begreift man, wie sich in solcher Synthese der Sinn dieser Stadt — gleich wie im Bauwerk Fischers aus ähnlicher Synthese — in herrlichster Vollendung erfüllte, wie wahr und selbstverständlich es ist, in der gleichen Aura mit dem ewig sich selbst erfüllenden Meisterwerke der Fischerschen Bauten an die möglichst vollendete Wiedergabe dieser Werke als Zentrum alles festspielmäßigen Geschehens zu denken.

Somit tritt das Werk Mozarts als gleichsam persönlichste Erfüllung des Sinnes dieser Stadt, der I d e e, in den Vordergrund der Gedanken. Es war zum erstenmal — nach einer Zeit tiefster kultureller Depression in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts —, als diese Idee sich bei einem kleinen Musikfest anläßlich der Enthüllung des Mozart-Denkmals im September 1842 erstmalig manifestierte. Die Salzburger Festspiele, die ohne Zweifel ihren Ursprung in diesem Fest haben, dem noch die Söhne Mozarts beiwohnten, sind somit die ältesten unter den modernen Festspielen dieser Art. Bayreuth, die große Festspielschwester Salzburgs, geht auf das lahr 1876 zurück. Seit jenem ersten bis 1907 war Gustav Mahler Direktor der Wiener Hofoper. Seine Leitgedanken: Ensembletheater — Ensemble auch im Sinne des Gesamtkunstwerks verstanden (Roller). Das Musiktheater, ein Theater von durchaus gesunder natürlicher Realistik, umfaßt die beiden Gegentypen des Musiktheaters:

Der breiten Gestik: Wagner — Verdi — Gluck, und der gedrängten Gestik: Mozart. Dann die Mahler-Nachfolge in Wien: Walter — Schalk — aber auch Strauß, namentlich in seiner Verbindung mit Roller und — Max Reinhardt: Rosenkavalier. — Sorgfalt der Inszenierung, der Regie: Gregor, Wallerstein, Wymetal.

Wir haben das „Gesamtkunstwerk“ schon erwähnt. Es bezog sich vorerst auf das Musikdrama Richard Wagners. Daß es aber eine der großen Anregungen auch für das gesprochene Drama war, beweist der geradezu explosive Einbruch des modernen Stils auch auf dem Gebiete des Sprechtheaters um die Jahrhundertwende. Ohne mich hier aufhalten zu können, nenne ich nur die Namen Stanislawsky für das buchstäblich aus der russischen Erde gestampfte russische Schauspiel, Beerbohm-Tree und Gordon Craig in England, A n t o i n e und Lugne-Poe in Frankreich, vor allem aber für das deutsche Theater Otto B r a h m, der kein Regisseur, aber ein großer Dramaturg war, dessen Ensemble der große Regisseur entwuchs: Max Reinhardt. 1898 hatten sich ein paar jüngere Kräfte des Brahmschen Ensembles zusamMozart-Fest hat man zu Salzburg, wenn auch nicht regelmäßig und in größeren Abständen, doch immer Mozart-Feste gefeiert, bei denen der alte „Dommusikverein und Mozarteum“, wie es ursprünglich hieß, späterhin die „Internationale Stiftung Mozarteum“ die führende Rolle innehatte. Gegen Ende des Jahrhunderts verdichteten sich diese Veranstaltungen. 1890 hatten die Allerwelts-Theaterarchitekten Hell-mer und Fellner sogar den Entwurf eines Festspielhauses fertiggestellt, das auf dem Mönchsberg zur Aufstellung kommen sollte. 1901 trat zum erstenmal die berühmte Sängerin Lilli Lehman bedeutsam in den Rahmen dieser Feste. Man kann nicht sagen, daß die Programme und deren Durchführung immer auf der Höhe standen, wenn sie auch immer aufrichtig gemeint waren. Das hängt mit den allgemeinen Musikverhältnissen um die Jahrhundertwende zusammen, auf die wir jetzt einen kurzen Blick wenden wollen.

Natürlich gehört Wien mit zur großen Idee Mozarts mit all seiner künstlerischen und kulturellen Gewordenheit seit der glänzenden Aera um Leopold I. und Prinz Eugen, seit der wunderbaren Vertiefung seines Eigenstils in der hochklassischen Epoche von Haydn bis Schubert, die noch lange nicht genug gewürdigte zweite Blüte um Bruckner, Brahms, Wolf und Mahler bis zum Ausklang im ersten Weltkrieg. Gerade diese Zeit ist für die Neuentwicklung unserer Festspiele maßgebend geworden. 1897 mengetan, um sommerüber in Prag zu gastieren. Als Probenleiter wählten sie den damals 25jäh-rigen Reinhardt. - Ein Jahr später kam diese kleine Zufallstruppe auch nach Salzburg: der Uranfang des Reinhardtschen Aufstiegs, aber auch seiner seelischen Fixierung in Salzburg. *

Mahler — Reinhardt. Das bedeutet:' die neue naturalistische Bühnenkunst gegen das alte verstaubte Hof- und Stadttheater. Beide waren Oesterreicher. Theater um seiner selbst willen. Die neue Gemeinschaftsform des Theaters — wie wir das Ensembletheater auch nennen können — Synthese von Drama, Schauspielkunst, Musik, Malerei, Licht; Autor, Komponist, Schauspieler und Sänger, Musiker, Techniker, Beleuchter, Requisiteur, Garderobier bis herab zum einfachen Bühnenarbeiter.

Am Ende des Weltkriegs stand die Neuordnung der Festspiele. Es ging um die Entscheidung : intensive oder extensive Festspielidee: zwei Gruppen in Salzburg, aus deren Dissidenz die Salzburger Festspielgemeinde erwuchs.

Im Frühjahr 1918 wurde der erste Kunstrat gebildet: Franz Schalk, Alfred Roller, Richard Strauß, H. v. Hofmannsthal, der zusammen mit Max Reinhardt etwas später kooptiert wurde. Der Spruchsprecher für die Festspiele — die Stadt als Szene — war in der Person Hofmannsthals gewonnen.

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