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„Erheben, erschüttern, erheitern...“

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„Zur 100jährigen Jubelfeier des k. k. Theaters zu Salzburg“ im Jahr 1875 schrieb der Chefredakteur des Salzburger Volksblattes, Rudolf von Frei-sauff:

„Erzbischof Hieronymus, dessen Regierungsepoche in der vaterländischen Geschichte unstreitig einen Eh-renpla1,z;£innimmt, mochte wohl in der weisen Fürsorge für sein Volk Schon längst äaratif hedacht gewesen'sein, dasselbe von dem wüsten Treiben in Tabagien und Trinkstuben, das von Tag zu Tag mehr zunahm, abzuziehen, und betrachtete als bestwirkendes Mittel hiezu das Theater, das bei richtiger Leitung und sorgsamer Auswahl der Stücke nur veredelnd und verfeinernd auf das Volk einwirken konnte.“

Das Theater als moralische oder pädagogische Anstalt ging auch dem Schuldirektor Michael Vierthaler, selbst Autor eines Trauerspiels mit dem Titel „Der englische Spion“, nie aus dem Kopf. 1797 schrieb er in einem Gutachten: „Daß das Theater eine Sittenschule seyn soll, ist eine schöne Idee, aber leider auch ein schöner Traum. Die Dichter sind leichtsinnig, ihre Moral ist zu bequem, als daß sie zum Muster aufgestellt zu werden verdiente ... Das Theater in moralischen Staaten sollte den monarchischen Stempel tragen. Was positiv dagegen anstößt, soll ebenso streng verbothen seyn, als das, was die Sittlichkeit beleidigt.“

Von solchen Auslassungen war das Salzburger Theater, das Höf-, das Stadt- und schließlich das Landestheater, in seiner Geschichte ebenso begleitet wie von andauernden pekuniären Schwierigkeiten, die dann der Landesfürst hatte - oder eben jetzt die Träger des Hauses zu bereinigen haben.

Der jeweilige Direktor oder Intendant hat für das überzogene Budget geradezustehen. Das macht die Sache für einen Theaterdirektor in Salzburg nicht leicht. Wohl aber ist seine Aufgabe, so darf man mit Blick auf die Geschichte unterstellen, schön. Denn Alexander Girardi hat hier in Salzburg sein erstes Engagement angetreten, der 21jährige Max Reinhardt spielte die Rolle des Oberfeldherrn Berengar m Ludwig Fuldas dramatischem Märchen „Der Talisman“, das man am 1.

Oktober 1893 als Eröffnungsvorstellung im neuen Haus gab, das den Bau des einstigen Ballhauses und späteren fürsterzbischöflichen Hof- bzw. k. k. Nationaltheaters ablöste, das am 11. April 1892 seine Pforten geschlossen hatte. Als zweiter Kapellmeister unglücklich, weil unverstanden, war 1881/82 Hugo Wolf in Salzburg enga-, giert. Und Persönlichkeiten wi^*R*ÖS3“ Albach-Retty, Adele Sandrock“, Stella* Hohenfels, Lotte Medelsky oder Raoul Aslan haben in Salzburg ihr erstes Engagement angetreten und wurden später berühmt oder gastierten hier. Um diesen Namen willen kann man heute freilich niemanden unter Vertrag nehmen und ein Haus führen, wie es zur Zeit seit 1974 Intendant Karlheinz Haberland aufgetragen ist. In die vergangene Spielzeit 1977/78 fiel ein Umbau des Hauses an der Schwarzstraße (Ecke Markartplatz), der eine Klimaanlage (von den Festspielen gewünscht) und der Bühne neue Hebe- und Senkmöglichkeiten brachte. Diese Sanierung war notwendig geworden, wobei man auch die Sitzzahl zur Bequemlichkeit der Besucher verringerte -Klagen über Kniebeschwerden sollen bereits aufgehört haben. Rein kaufmännisch bedeutet aber die Verringerung von 772 auf 724 Plätze ein erhebliches Minus an Einnahmen. Das womöglich auf andere Art und Weise aufgefangen werden soll.

So schön es ist, daß das Salzburger Landestheater mit dem schon erwähnten Vorläuferbau 203 Jahre existiert, ^ie Sorgen der Prinzipale und Prinzipalinnen - auch solche gab's in der Geschichte Salzburgs (nachzulesen bei Gisela Prossnitz: „Vom Hof- übers Stadt- zum Landestheater“ in der Festschrift „200 Jahre Landestheater Salzburg“) - ähneln einander auf das Haar. Einmal hat man Sorgen mit dem Besuch, dann wiederSorgen mit der Qualität der Aufführungen, zeitweilig mußte man sogar schließen, weil der Betriebsabgang einfach zu hoch geworden war, dann wieder haben die Leiter von Theatergruppen ihr Privatvermögen in das Theater oder den Fundus gesteckt - die Theaterbesessenheit ist aber immer dagewesen, auch wenn Ratsherren oder Landesfürsten dies oder jenes ablehnten.

Es war auch immer ein offenes geistiges Klima zu spüren, wie etwa bei der Pflege des klassischen Repertoires etwa zwischen 1796 und 1798 unter dem Doppeldirektorium des Publizisten Lorenz Hübner und des fürsterzbischöflichen Kammersängers Josef Tomaselli. Damals führte man Schillers Sturm- und Drang-Werke „Don Carlos“ und „Kabale und Liebe“ auf, die sich gegen höfische Intrigen und Korruption wenden und Gedankenfreiheit fordern. Immerhin hatte der Erzbischof von Salzburg als oberster Zensor der Aufführung solcher revolutionärer Stücke zuzustimmen. Im Vergleich dazu: In Wien kamen diese Dramen erst ein Jahrzehnt später auf die Bühnen.

Wenn man heute als Intendant „Kabale und? Liebe“ auf dfe Bühne bringt, wie Haberland in der vergangenen Spielzeit, muß man nicht unbedingt damit rechnen, daß man just über dieses Drama zu Fall gebracht werden soll. Im Fall Haberland wäre es fast dazu gekommen. Es scheint in der Zwischenzeit manches eingerenkt, jedoch: Wer kauft, bestimmt auch zu einem Teil, was er kauft. Und mit dem Argument, daß diese Inszenierung des Schillerschen Dramas den Besitzern von Abonnements der Salzburger Kulturvereinigung nicht zugemutet werden könne, war der Versuch - sicher nicht auf allen Linien geglückt - „Kabale“ einem modernen Verständnis gemäß zu interpretieren, fast abge-

würgt. Und der verantwortliche Theaterleiter dazu. Zwischen der „Kabale“ und den Kabalen hat freilich immer wieder der Taschenrechner in Aktion zu treten: Bei Eintrittspreisen im freien Kartenverkauf im Landestheater von 50 bis 160 Schilling im Schauspiel, von 70 bis 210 Schilling bei Oper, Operette und Bailett und Eintrittspreisen in den Kammerspielen von 50 bis 80 Schilling (das eigene kleine Haus im selben Komplex gibt es seit 1971) mußten 1977/78 Ausgaben von insgesamt 67 Millionen Schilling wenigstens zum Teil gedeckt werden. Die Einnahmen betrugen 14 Millionen, so daß sich, vertraglich abgesichert, Stadt und Land den Abgang von mehr als 52 Millionen teilen durften. Die Eigenaufbringung, in Vergleich mit anderen österreichischen Bundesländertheatern beachtlich, betrug 22,21 Prozent. Im Vorjahr (1976/77) waren es 21,52 Prozent bei zwei Millionen weniger Ausgaben. 1977/78 ist freilich nicht unbedingt bezeichnend, da man während des Umbaues in das kleine Festspielhaus ausweichen mußte, was andere Aufführungzahlen und auch Eintrittspreise bedeutet.

Die Verwältungs- und Intendanzkosten betrugen in den beiden letzten Spielzeiten jeweils 2,9 Millionen Schilling. Daß in der vergangenen Spielzeit nur 167 Vorstellungen möglich waren, 1976/77 hingegen 246, hängt mit dem Umbau des Hauses zusammen. Die Kammerspiele brachten 138 (137) Aufführungen. Mehr als 3000 Besucher zählen die hauseigenen Abonnements, die Abonnements der Salzburger Kulturvereinigung betreffen insgesamt 80 Vorstellungen pro Spielzeit.

Den Schwerpunkt des Spielplans bilden Stücke österreichischer Autoren, gepflegt werden im musikalischen Bereich vor allem die Spieloper, im Schauspiel neben Klassikern und „Vätern der Moderne“ das sozialkritische Volksstück. Neun Schauspiele standen 1977/78 als Neuinszenierungen auf dem Programm (1976/77 waren es zwölf), fünf Opern (vier) standen vier Operetten (drei) und Musicals gegenüber, der Ballettabend wurde von der Spielzeit 1976/77 übernommen. Vier österreichische Autoren bereicherten 1976/77 mit ihren Stücken den Schauspielsektor, einer in der abgelaufenen Spielzeit. Jedes Schauspiel erlebt etwa zwölf bis 16 Vorstellungen, von der Oper werden 15 bis 20 Aufführungen verkauft, das Zugpferd Operette kommt auf 20 bis 35 Vorstellungen. Je ein Kinder- und Jugendstück mit Diskussionen und Mitarbeit der Kinder stehen pro Spielzeit auf dem Programm.

Wieviele Mitarbeiter braucht man, um überhaupt ein Programm auf die Beine zu bringen, das, wie Haberland selbst sagt, „Provinztheater im guten Sinn des Wortes“ ist? Mit der Auflage oder der Erschwernis allerdings, daß während des Jahres Festspiele, Osterfestspiele, Mozartwoche und Aufführungen einer Tourneebühne stattfinden und das heimische Ensemble an diesen Ereignissen gemessen wird. Zum Ensemble braucht Haberland also ab und zu interessante prominente Künstler.

Intendanz und Verwaltung werden von 15 Personen bestritten, ferner gibt es 16 Bühnen- und Musikvorstände, 16 Schauspieler, 14 Sänger für Oper und Operette, 26 Choristen, 14 Mitglieder des Balletts, sieben Inspizienten und Souffleure - alles seit drei Spielzeiten unverändert. Ferner gibt es einen Technischen Leiter, 18 Personen arbeiten in den Dekorationswerkstätten, 29 zählen zum Bühnenpersonal, dazu kommen 6 Beleuchter, 19 Damen und Herren in der Schneiderei, sechs Friseure, 8 Damen für die Reinigung, 6 Herren „Hauspersonal“ und 24 Personen für den Publikumsdienst. Alles in allem 225 Personen, vom Intendanten bis zum Billeteur.

1974 hat Karlheinz Haberland das Theater nach Gaudolf Buschbeck übernommen. Es war die Zeit, als man die Arbeitszeitverkürzung auch im Theaterbetrieb empfindlich zu spüren begann. So bleibt Montag das Hau sge-schlossen, Premieren finden meist am Sonntag statt.

Haberland ist kein Freund großer Reden. Bei gesellschaftlichen Anlässen sieht man ihn kaum. Er arbeitet hart, verbreitet eher eine Atmosphäre der Kühle um sich, sieht manchen Schwierigkeiten zwischen älteren Em-semblemitgliedern und jüngeren zu und hofft, daß sich das schon einpendeln wird und sagt in der Vorschau zum Spielplan, daß er Theater macht, um das Publikum zu erheben, zu erschüttern, zu erheitern und frepdig zu bewegen. Die alten Prinzipien, die das Theater in Salzburg seit der Aufführung der ersten Oper jenseits der Alpen im Jänner 1614 auf der Hofbühne der fürst-erzbischöflichen Residenz leiten.

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