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„VORHANG AUF!“ IN GRAZ

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Am 14. März 1964 wird — nach einer Unterbrechung von zwölf Jahren — das neue „alte“ Grazer Schauspielhaus am Freiheitsplatz mit der Uraufführung von Max Mells dramatischer Dichtung „Paracelsus und sein Lorbeer“ feierlich wiedereröffnet. Damit beginnt ein neuer Abschnitt in der traditionsreichen Geschichte dieses Hauses, die zugleich ein Stück österreichischer Theatergeschichte ist.

Das festliche Ereignis fällt in das gleiche Jahr, da die Steiermark sich anschickt, durch eine große historische Ausstellung und durch verschiedene kulturelle Veranstaltungen des vor 400 Jahren — 1564 — von Erzherzog Karl IL, einem Sohn des Habsburgerkaisers Ferdinand I., errichteten Staatengebildes „Innerösterreich“ zu gedenken, wodurch Graz durch fast zwei Jahrhunderte hindurch Sitz des Hofes, der Verwaltung, Hauptstadt und Mittelpunkt einer sehr weitreichenden Ländergruppe war, bestehend aus Steiermark, Kärnten, Krain, Istrien, Friaul, Görz und Dalmatien. Die Grazer Residenz zog fahrende Theatergruppen an und die erste authentische Nachricht von einer Theateraufführung im Grazer Landhaus stammt aus dem Jahre 1577, fällt also in die Regierungszeit Erzherzog Karls II. 1607 kommt die englische Komödiantengruppe unter John Green nach Graz, mit einem bereits entwickelten Berufstheater. Man nimmt an, daß ihre Aufführungen im großen Ballhaus stattfanden, also am heutigen Freiheitsplatz, wo seit 1776 das Grazer Schauspielhaus steht. So spannt sich der Bogen von 1564 bis 1964, von einer Reichsgründung und dem nachweisbaren Beginn eines regen Theaterlebens bis zur Wiederbegründung der Sprechbühne im Grazer Schauspielhaus.

Nach der Vorstellung von Grillparzers Trauerspiel „Des Meeres und der Liebe Wellen“ — am 26. Juli 1952 — tritt der damalige Direktor Helmut Ebbs vor den Vorhang und hält den Nekrolog auf das totgesagte Schauspielhaus, dessen Schließung aus baupolizeilichen Gründen angeordnet ist. Resignation und eine leise Hoffnung, daß dies nicht das letzte Wort sei, bemächtigten sich der Grazer, die seit eh und je mit ihrem Theater eng verbunden waren. Zwar blieb das 1897 bis 1899 erbaute Opernhaus wie durch ein Wunder im zweiten Weltkrieg fast unversehrt, aber das Schauspiel, das Kammerspiel und das musikalische Singspiel haben nun keine Heimstätte mehr. Im Rittersaal des Landhauses errichtet man während der theaterarmen Jahre die Behelfsbühne.

Der entscheidende Vorstoß zum Um- und Neubau des Schauspielhauses erfolgte durch die Gründung des „Vereines des Grazer Schauspielhauses“ am 22. Jänner 1957. Zwar hatte die steirische Landesregierung gemeinsam mit der Stadtgemeinde Graz, die Erhalter der „Vereinigten Bühnen“, schon vorher Baukommissionen eingesetzt und einen Architektenwettbewerb ausgeschrieben, aus dem der Entwurf des Architekten Dipl'-Irigr Klammer., aus ,J.u4enburg mit dem ersten Preis hervorging. Aber die Tätigkeit des „Vereines“ — unter anderem veranstaltete er eine Straßensammlung, bei der Landeshauptmann, Bürgermeister, Politiker aller Parteien, Schauspieler und Künstler mit der Sammelbüchse auf den Straßen standen — erbrachte nicht nur einen nahmhaften Betrag, sondern förderte vor allem das Verständnis und die Zustimmung eines großen Bevölkerungsteiles für die Wiedererrichtung des Schauspielhauses.

Im Herbst 1959 war es dann so weit, daß die Finanzierung der Baukosten vom Bund mit 40 Prozent, vom Land Steiermark und der Stadt Graz mit je 30 Prozent feststand.— Nun begannen die Abbruch- und Aufbauarbeiten. Innerhalb von vier Baujahren wurde das Werk vollendet. Was der preisgekrönte Entwurf vorsah, ist verwirklicht worden: Die Einteilung des alten, vom steirischen Barockbaumeister Hueber 1776 errichteten „Grazer Nationaltheaters“ und die Bauformen, insbesondere die klassizistische Fassade des nach dem Brand, 1823, vom Wiener Hofbaumeister Nobile gemeinsam mit dem Bruder des Theaterdirektors Stöger 1825 wiederaufgebauten „Ständischen Theaters“ sind erhalten geblieben. Der Neubau des Bühnentraktes und des sogenannten „Garderobenhauses“ fügen sich in Baugestalt und Fassade harmonisch in die zwei vorderen Baukörper ein. Das Bühnenhaus ist mit einer Drehbühne und allen erforderlichen modernen Bühnenmaschinen ausgestattet. Das „Garderobenhaus“ enthält die Seitenbühne, die von der Hauptbühne durch ein Falttor getrennt ist, Probensäle, Künstlergarderoben und Werkstätten. Der nunmehr drei Ränge umfassende, in den Farben Rot, Weiß und Gold gehaltene hufeisenförmige Zuschauerraum mit 588 Sitzplätzen bildet den Mitteltrakt. Trotz der verborgenen Stahlbetonkonstruktionen ist im wesentlichen der Charakter des alten Logentheaters mit seiner intimen Atmosphäre und seiner guten Akustik gewahrt geblieben. Das weiträumige Foyer, das den Haupteingang von der Hofgasse her aufnimmt, und der darüber wiedererstandene Redoutensaal — ein seit zwei Jahrhunderten beliebter Tanzsaal der Grazer — bilden den Vordertrakt.

Das 1736 vom Italiener Pietro Mingotti aus Holz errichtete „Opernhaus“ am Tummelplatz hatte sich immer mehr als unzureichend erwiesen. 1770 schrieb ein Grazer Bürger an die Stände, sie sollten „bedenken, daß ein wohlgeordnetes Schauspiel eine wahre Schule der Sitten, Höflichkeit und Sprache seye“. In den Jahren 1774 bis 1776 ließen die steirischen Stände auf den Gründen des Vizedomgartens nach den Entwürfen des steirischen Architekten Hueber ein prunkvoll ausgestattetes Theater, das erste Haus des heute wiedererstandenen Schauspielhauses, bauen. Das war zu einer Zeit, als das Wiener Hofburgtheater noch in einem umgebauten Ballhaus spielen mußte!

Das neue „Ständische Grazer Nationaltheater“ wies die gleiche Dreiteilung auf, die sich auch in den Umbauten des zweiten und dritten Hauses erhalten haben. Es wurde unter dem ersten Direktor Jakobelli mit dem belanglosen Trauerspiel „Derbi oder echte Treue und Freundschaft“ von Anton Adolf von Crenzin mit viel Pomp und schlechten Gagen für die Schauspieler eröffnet. Bei der Aufführung von Lessings „Minna von Barnhelm“ gab es darob einen Skandal, dessen Handgreiflichkeiten sich auf den Straßen fortsetzten.

Tosef Bellomo, den Goethe als Direktor des Weimarer Theaters ablöste, war 1791 bis 1797 Theaterdirektor in Graz, und ihm ist es zu verdanken, daß Mozarts „Zauberflöte“ zum erstenmal in Graz über die Bretter ging.

Eine Glanzzeit erlebte das Grazer Theater unter der Direktion des Niederösterreichers Johann August Stöger. Auf seinem Spielplan standen zum erstenmal mehr ernste Opern und klassische Schauspiele als Spektakelstücke. Er mußte freilich schon wenige Monate nach Antritt der Theaterleitung den Brand des Nationaltheaters in der Weihnachtsnacht des Jahres 1823 erleben. In der „ständischen Reitschule“ und an anderen Ausweichstellen führte er das Theater beliebig weiter, während sein Bruder, Theaterarchitekt Joseph Stöger, die Pläne für das zweite Haus entwarf und sie nach Weisung der Stände dem Wiener Hofbaumeister Nobile zur „Korrektur“ vorlegte.

Am 4. Oktober 1825 wurde das zweite Haus mit dem Festspiel Leithners „Styria und die Kunst“ und dem Schauspiel „Weißröschen“ von Zedlitz eröffnet. Bemerkenswert ist, daß unter Stögers Direktion der Wiener Johann Nestroy als Bassist engagiert wurde und sich hier in Graz zum Possendichter und Komiker entwickeln konnte.

Joseph Pellet, Stögers Nachfolger, ebenfalls besonders der Oper verpflichtet, gab auch den aufkommenden „Volksstücken“ ihren Platz im Spielplan: 15 Nestroysche Possen wurden erstaufgeführt und „Lumpazivagabundus“ wurde gleich 43mal wiederholt.

Ab 1844 übernahm Karl Remmark, der als Valentin in Raimunds „Verschwender“ so brilliert hatte, die Theaterleitung. Aber es sollte sich erweisen, daß ein guter Schauspieler nicht unbedingt ein guter Direktor sein muß. Immerhin, die im Revolutionsjahr 1848 erreichte Zensurfreiheit gab seinem Spielplan neue Impulse: „Die Räuber“, „Wilhelm Teil“, „Don Carlos“ wurden nun ohne sinnstörende Streichungen aufgeführt und das nationale Element, das in Graz immer einen üppigen Boden hatte, feierte damals auf der Bühne mit Bauernfelds „Ein deutscher Krieger“ und Zacharias Werners „Martin Luther“ seine Triumphe.

Die österreichische Erstaufführung von Wagners „Tannhäuser“, am 20 Jänner 1854, fällt unter die eher matte Direktion Franz Schwarz'. Die Oper wurde nach der Erstaufführung noch neunmal wiederholt. — Unter Anton Balvanskys Führung erlebte das Grazer Theater eine neue Blütezeit, die Direktor Eduard Kreibig erfolgreich fortgesetzt hat. Kreibig hatte zunächst noch mit dem Konkurrenzunternehmen am Ring, .dem aus. .ejnsm Zirkus .1,8.64. erstandenen Thalia-Theater, zu kämpfen. Als aber beide Häuser unter seiner Führung standen, und es nur ein Ensemble gab, war — wie Peter Rosegger festgestellt hat — die „klassische Zeit des Grazer Theaters“ angebrochen. Das Niveau des Spielplanes entsprach dem Niveau des Ensembles. „Faust“ wurde 16mal gegeben, und fast alle Schillerschen Dramen wurden aufgeführt, ebenso Hamerlings und Roseggers dramatische Versuche, Es gab bedeutsame Erstaufführungen von Opern, so von Wagners „Rienzi“, „Der Fliegende Holländer“ und von Verdis „Maskenball“.

Schon kündigten sich auf der Bühne die aufkommenden Heilslehren des Nationalismus und Liberalismus an, aber auch die „Moderne“ mit Ibsens „Gespenster“ und „Ein Volksfeind“, Björnsens „Fallissement“, Hauptmanns „Biberpelz“ und „Fuhrmann Henschel“, die unter Helmut Gottingers umsichtiger Führung seit 1893 ebenso wie die Wagner-schen Opern gepflegt wurden. Nach Gottinger fand das Grazer Theater erst wieder unter Julius Grevenbergs Direktion ab 1911 eine gute Zeit. Grevenberg verstand es, einen ausgezeichneten Spielplan zu erstellen und gute Schauspieler zu verpflichten. Er führte beide Häuser — 1899 war das Opernhaus am Ring erbaut worden — durch die schwierigen Kriegs jähre. Inflation und Wirtschaftskrisen in der Nachkriegszeit veranlaßten die Stadtgemeinde, das Schauspielhaus in private Hände zu geben, wo sich unter Theo Modes noch einmal reges Theaterleben entfaltete. 1925 feierte man den hundertjährigen Bestand des zweiten Hauses, und die Stadtgemeinde, die das Haus wieder in ihre Obhut übernahm, ließ es für dieses Jubiläum renovieren. Aber in den kommenden Jahren wurde die Wirtschaftslage immer drückender, man konnte das Schauspielhaus nicht mehr halten. 1930 wurde es als Filmtheater geführt. Nach kurzer Scheinblüte, im Jahre 1938, setzte der zweite Weltkrieg allen ernsthaften künstlerischen Bestrebungen ein Ende. Schließl|c1i>bä<tlJ^phi)^^ei4Mitische Besatzung- macht das Haus“ und“ nach seiner Freigabe hat Intendant Helmuth Ebbs es verstanden, auch im baufälligen Schauspielhaus bis zur Schließung im Jahre 1952, gutes, den Klassikern ebenso wie der Gegenwart verpflichtetes Theater zu gestalten.

Zwölf Jahre sind seither vergangen. Die behelfsmäßige Sprechbühne im Rittersaal des Landhauses ist geschlossen, alle Kräfte der „Vereinigten Bühnen“ sind auf die Vorbereitung des anspruchsvollen Programms zur Wiedereröffnung des Schauspielhauses, das eine Reihe von Ur- oder Erstaufführungen vorsieht, konzentriert. Ein großes Festbuch und eine interessante Festgabe, „Theater in der Steiermark“, mit 25 Beiträgen werden erscheinen.

Die Eröffnung ist ein bedeutsames Ereignis für die Steiermark und für ganz Österreich. Wird sich auf der neuen Bühne das „Wunderbare“ ereignen, der „Traum der Träume“, von dem Hugo von Hofmannsthal spricht? Wir hoffen es, wir erwarten es.

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