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Keine Sensationen, keine Flaute, aber eine thematisch und künstlerisch reichhaltige Saison wie schon lange nicht mehr: Ein Vorausblick

Spektakuläre "Events" sind in der neuen Spielzeit auf Wiener Bühnen nicht zu erwarten, obwohl sich so manche strukturellen und personellen Veränderungen abzeichnen. Trotz des Fehlens vorprogrammierter Sensationen, die - man denke nur an Bambiland - oft hinter den hochgeschraubten Erwartungen zurückbleiben, droht keine Theaterflaute. Denn das Angebot ist thematisch so reichhaltig und künstlerisch vielfältig wie schon lange nicht mehr.

Die Burg offeriert in bewährter Weise im großen Haus Klassik und klassische Moderne, Gegenwartsdramatik im Akademietheater und im Kasino Projektarbeiten junger Autoren, darunter Uraufführungen von Ulrich Hub, René Pollesch und Alfred Ostermaier.

Utopien neu gelesen

Das Haus am Ring eröffnet mit Nathan der Weise, inszeniert von Lukas Hemblen, mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle. Fraglos eine diffizile Aufgabe für den in Frankreich arrivierten, erstmals in Wien arbeitenden deutschen Regisseur, da Lessings Utopie einer Menschheitsfamilie gegenwärtig nicht weniger utopisch anmutet als im Zeitalter der Aufklärung. Um eine Utopie ganz anderer Art, nämlich um die tragikomische, täglich neu erfahrene Unerreichbarkeit künstlerischer Perfektion, geht es dem Zirkusdirektor Caribaldi in Thomas Bernhards Macht der Gewohnheit, die bei Philipp Tiedemann mit seinem Gespür für komödiantisches Theater bestens aufgehoben ist. Nichts schief gehen sollte bei den von Andrea Breth betreuten Produktionen von Tennessee Williams Psychothriller Die Katze auf dem heißen Blechdach und Tschechows Kirschgarten, während Nicolas Steman das einst skandalträchtige Frühwerk Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann für unsere Zeit auf den Prüfstand stellt. In einer szenischen Adaption von Hesses Steppenwolf schlagen Joachim Lux (Dramaturgie) und Sebastian Hartmann (Regie) eine neue Lesart des einst von den 68ern als Kultbuch entdeckten Romanklassikers vor. Mit Roland Schimmelpfennigs Auftragswerk Die Frau von früher kommt im Akademietheater einer der wichtigsten Gegenwartsdramatiker, die mehrfach verschobene Uraufführung von Handkes Untertagblues wird als österreichische Erstaufführung nachgeholt, und Skurrilitäten-Spezialist Franz Wittenbrink stimmt auf seine Weise mit einem Originalbeitrag aufs Mozart-Jahr ein. Besonderes Interesse verdienen die Erstaufführungen von God Save America, einer in New York spielenden Tragikomödie von Biljana Srbljanovi´c über einen plötzlich arbeitslos gewordenen Single, und von Untergrundkrieg, einem aus Dokumentarmaterial entstandenen Schauspiel von Haruki Murakami über den Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio im März 1995.

Im Volkstheater hat sich Emmy Werner in ihrem letzten Direktionsjahr die Latte besonders hoch gelegt und fürs Haupthaus und die Nebenschauplätze ein echtes Hochleistungsprogramm zusammengestellt, um noch einmal jene Themen zu reflektieren, die ihre "Arbeit der letzten 16 Jahre bestimmt haben": (Starke) Frauen - z.B. Andrea Eckert als Penthesilea oder Maria Callas in der wieder aufgenommenen Meisterklasse; Sozialkritisches - die "großen politischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts" - etwa Ariane Mnouchkines Bühnenfassung von Klaus Manns Mephisto-Roman - und "Österreich als literarisches, kulturelles und politisches Phänomen" mit Werken österreichischer Autor/inn/en aus Vergangenheit und Gegenwart, von denen u.a. Ingeborg Bachmann, Konrad Bayer, Wolfgang Bauer, Lida Winiewicz oder Gustav Ernst zu nennen sind. Nicht zu vergessen Thomas Bernhard, dessen Theatermacher mit Wolfgang Hübsch in Helmut Wiesners Reichenauer Inszenierung (2002) nach Wien übernommen wird.

Gefällige Theaterkost

Anders ticken die Uhren in der Josefstadt, wo wieder Helmut Lohner als Direktor waltet und seinen Abonnenten im Haupthaus und in den Kammerspielen die vertraute, gefällige Theaterkost auftischt, schmackhaft angerichtet von Publikumslieblingen wie Otto Schenk, der in Premieren - so in Nestroys Kampl oder in Ron Clarks Eine Bank in der Sonne - und Wiederaufnahmen - als Eingebildeter Kranker und im unverwüstlichen Othello darf nicht platzen - quasi im Dauereinsatz steht. Zur Feier seines 85. Geburtstag inszeniert Fritz Muliar Bethancourts Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde und übernimmt dabei auch den Part des Protagonisten. Elfriede Ott wird zusammen mit Erni Mangold in Arsen und alte Spitzen munter ältere Herren ins Jenseits befördern... In diesem Ambiente nimmt sich Brechts Dreigroschenoper, noch dazu mit dem so unsensibel verabschiedeten Kurzzeit-Direktors Hans Gratzer als Regisseur, geradezu wie ein erratischer Block aus.

Kinder und Jugendliche im Medienzeitalter fürs Theater zu begeistern, wird dem Theater der Jugend auch heuer mit Sicherheit gelingen, getreu dem Grundsatz, dass für diese Zielgruppe nur das Beste gut genug ist, etwa Lutz Hübners Alt und Jung konfrontierendes Schauspiel Das Herz eines Boxers.

Mit dem im Oktober unter der Leitung von Stefan Rabl eröffnenden Theaterhaus im Museumsquartier erhält Wien ein zweites Zentrum für ein "Publikum von 2 bis 22 Jahren" und man darf hoffen, dass dem Kinder- und Jugendtheater von der kulturellen Öffentlichkeit endlich mehr als nur marginale Aufmerksamkeit zuteil wird.

Kinder- und Jugendtheater

Im bunt bemalten transportablen Lustspieltheater, das nach dem gelungenen Start mit einem von Susanne Wolf geschickt adaptierten Wiener Sommernachtstraum auch im Winter an verschiedenen Plätzen vom Zentrum bis zur Peripherie Station machen wird, lebt höchst unterhaltsam und mit kalauernd-hintergründigem Sprachwitz die deftig-komödiantische Parodien-Tradition der Altwiener Komödie neu auf.

In der Off-Szene behauptet das Schauspielhaus unangefochten seine Vormachtstellung. Hier begegnet man heuer als "director in residence" dem im israelischen Avantgardetheater herausragend profilierten David Mayaan, der mit seinen anthropologische Verhaltensmuster erforschenden Arbeiten nicht nur ästhetisch neue Perspektiven eröffnet. Kein Wunder also, dass Hausherr Barrie Kosky die neue Spielzeit gemeinsam mit den Sängerknaben mit einem vielversprechenden Wiener Lächeln begrüßt.

Aufmerksamkeit verdient ferner der Spielraum im ehemaligen Erika-Kino, wo man mit beachtlichem Mut unter dem Saison-Motto "Gesellschaftsutopien" - beginnend mit Shakespeares Sturm bis zu Huxleys Schöne neue Welt - dem Mainstream Widerpart leistet.

Was im quantitativ überreichen Angebot der freien Szene, ob nun in "dietheater" im Künstler- und Konzerthaus oder anderswo, als Highlight aufblitzen wird, lässt sich schwerlich vorhersagen.

Die Autorin ist Professorin für Theaterwissenschaft in Wien.

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