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SCHAUSPIELER IM KELLER

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Von den elf Wiener Sprechbühnen sind nicht weniger als sechs in Souterrainräumen etabliert. Der Fassungsraum dieser Kellerbühnen ist zwar äußerst beschränkt, doch werden hier immerhin für etwa 70.000 Zuschauer jährlich 30 bis 40 Stücke inszeniert und an-die 150 Schauspieler beschäftigt. Mit anderen Worten: nahezu ein Drittel aller in Wien lebenden Schauspieler spielt im Keller. Die Umstände sind nicht gerade rosig.

In den ersten Nachkriegsjahren, als das Schauspiel unter dem Bürgersteigniveau im flammenden Zeichen des Experiments und der Avantgarde mittlerweile längst eroberte Bastionen stürmte, setzten sich die Kellerensembles aus den Reihen des begabtesten Nachwuchses zusammen. Die Bühnen des damaligen Hochschulstudios, der „Courage“, des Parkringtheaters, des „Kaleidoskop“ waren nicht nur Umschlagplatz des Neuen und Unerforschten und Kampfplatz des juvenilen Feuergeistes — sie erfüllten obendrein jene Mission, die einst den zahlreichen Provinztheatern überantwortet gewesen war: Die junge Generation erprobte sich im Keller, sammelte Erfahrung, gewann Profil. Die Kellerbühnen Wiens waren das, was für die vorhergegangene Generation Troppau war und Znaim und Marburg: Sprungbrett und Stätte der Bewährung.

Die Situation hat sich gewandelt. Sehr zum Nachteil der Keller: Sartre und Cocteau sind abgespielt, Anouilh und Camus schreiben für den „ersten Stock“ und Dürrenmatt für große Häuser; Beckett und Ionesco haben in Wien keine Chancen, Osborne wird am Volkstheater und in der Josefstadt gespielt, und von der- heimischen dramatischen Produktion kann die kleinste Bühne nicht leben.

Und was die Schauspieler anbelangt: Die erfolgreichsten jungen Kräfte der „Gründerzeit" sind längst in vorteilhafte Engagements abgewandert, und die gezählten Dagebliebenen und die Neuhinzugestoßenen, die keine so günstige Situation mehr vorfanden wie ihre Vorgänger der sechsundvierziger und fünfziger Jahre, gerieten allmählich in eine Art Isolation, aus der sich zu befreien es schon deshalb immer schwerer wurde, weil die Keller, die Nachwuchsstätten von einst, wohl noch als Unterschlupf für engagementlose Schauspieler von einiger — sozialer — Bedeutung sind, aber, von ein paar mehr oder minder begabten Laiendebütanten abgesehen, kaum noch Nachwuchs. finden. (Während beispielsweise aus dem Studienjahr 1948 49 des Reinhardt-Seminars zwölf und 1951 52 immerhin noch neun Absolventen, zumindest vorübergehend, im Keller spielten, gehen heuer von den 15 Absolventen bereits 13 direkt von der Schule ins Engagement an große. Bühnen.)

Die folgenden Besprechungen sollen zeigen, daß im Keller immer noch bedeutende Begabungen anzutreffen sind und daß es einer Reihe jüngerer Kräfte auch noch in letzter Zeit gelungen ist, zumipdest in Gastrollen an große Wiener Bühnen aufzusteigen oder an guten Provinzbühnen Engagements zu erlangen. Aber viele sind ęs ihrer nicht mehr. Die letzten Stützen des ..Kellerensembles“ sind im Begriff, sich in alle Winde zu zerstreuen — und es ist ihnen nur zu wünschen.

Da ist zum Beispiel Alexander Wagner: Ein großartiger Typ, ein überaus begabter Gestalter des jugendlichen Zorns, der Rebellion, der intellektuellen Nervosität. 1952 absolvierte er das Schauspielseminar in Salzburg, spielte dann in Bregenz und in Klagenfurt und hatte, als er 1956 nach Wien kam, bereits den Gottfried in „Armut", den Dr. Jura, den Rustan und seine ersten Inszenierungen („Warten auf Godot“, „Schlaf der Gefangenen") hinter sich. Parkringtheater, „Tribüne" und „Kaleidoskop“ waren Stationen einer raschen „Kellerkarriere“, der Gastspiele in Bern und Salzburg („Blick zurück im Zorn“) folgten.

Brigitte Köhler ist seit Jahren Wiens profilierteste Schauspielerin im Keller. Vom Reinhardt-Seminar (1952) ging sie nach Klagenfurt, kam 1955 zurück nach Wien und war von da ab in der „Courage“, am „Parkring“, in der „Tribüne“ und im „Kaleidoskop“ nahezu in jeder bedeutenderen Aufführung zu sehen. Was man da nun zu sehen bekam, war stets gediegen und ausgewogen, war die Gestaltung einer ernsten, feinfühligen, einnehmenden Persönlichkeit. Ihre Figuren sind herb, selbstsicher und von der dunklen Strahlkraft einer spröd-weiblichen Anmut umgeben. Einer Gastrolle am Volkstheater („Reisender ohne Gepäck“) folgte unverständlicherweise kein Engagement.- Jetzt geht sie nach Tübingen. Das ist ein Verlust.

Herbert Wochinz (Reinhardt-Seminar 1949) verkörpert Wiens Avantgarde. Am Beginn standen Anfangserfolge in kleineren Rollen an der Josefstadt und im Hochschulstudio, entscheidend für alle spätere Entwicklung aber war 1950 das Zusammentreffen mit — Felicien Marceau: Drei Wanderjahre in Marceaus Theatergruppe, Pantomimestudien bei Etienne de Croix und Schauspielunterricht bei Bareau machten den Kärntner Wochinz zum „Spezialisten" des französischen Theaterstils. Nach fünfjähriger Praxis an verschiedenen Pariser Bühnen (wobei alles inbegriffen war: von der Tätigkeit als Beleuchter bis zum Inspizienten und zum Regisseur des „Woyzeck" und „Leonce und Lenas“) wurde er zu einer Art „Maitre de plaisir noir“ im „Theater der .Courage“. Hier inszenierte er 1956 57 eine Reihe interessanter Stücke (Sternheim, Wedekind, Genet), spielte einen grotesken, vitalen, temperamentgeladenen Stil einer zutiefst komödiantischen Begabung, und gründete schließlich das „Theater am Fleischmarkt“, dem wir eine recht intensive Bekanntschaft mit Ionesco, Beckett und Ghel- derode zu verdanken haben. Gedankt wurde es ihm nicht: sein „existentialistisches“ Theater existierte knappe vier Monate. Aber er plant weiter.

Peter Weihs kommt gleichfalls aus der Wiener Avantgarde. Er ist einer der letzten unkonventionellen Typen der „Gründerzeit“: ein intellektueller Unterspieler, ein still-subtiler Darsteller des Abgründigen und Hintergründigen, des Beladenen und Bedrückten, des Zweifelnden und Zweifelhaften, des Außenseiterischen und Uneinen mit sich selbst. Nach 1947 absolviertem Seminar spielte er in Salzburg, Bern, Innsbruck, Dortmund, Basel und bei Schuh in Berlin. Aus der Vielzahl der an allen Kellerbühnen Wiens zu beeindruckendem Erfolg geführten Hauptrollen sei die ausgezeichnete Gestaltung in Helmuth Schwarz’ „Arbeiterpriester“ an der „Tribüne“ herausgegriffen. Zuletzt sahen wir ihn als Gast in der Josefstadt („Dritte Legion“, „Musik bei Nacht“, „Jakobowsky und der Oberst"), im Vorjahr wurde er zum erstenmal mit der Inszenierung des „Urfaust“ in Klosterneuburg betraut.

Bibiana Zeller bestand die Bühnenreifeprüfung 1951. Vielversprechenden Anfangserfolgen an der Josefstadt (bis 1953) folgten Engagements am Berliner Kurfürstendamm- Theater und am Stadttheater Bonn. Zeit der Reife und Bewährung in nahezu allen Rollen, die das Fach der jugendlichen Charakterliebhaberin zu vergeben hat. Als sie 1955 zurückkehrte, ge wann der Wiener Keller seine reizvollste, sub- tfl&tef Pet ötflibhkHf. Hier 'š'tėh't juti hiidčheri- hafte• Sauberkrft iff ’ständigem1'Kontrast zu einem schwellenden Feuerwerk listig-frivolen (oft karikaturhaften) Humors, hier sind alle Schwerelosigkeit, aller Charme und alles Glitzern einer höchst differenzierten Verwandlungsfähigkeit aufs Glückhafteste vereint. Zahlreichen Hauptrollen in der „Courage“, am „Parkring“ und im Fleischmarkttheater (welch prächtige Ionesco- Spielerin) folgten jüngst Gastspiele im Konzerthaustheater („Das Ei“) und in den Kammerspielen der JosefstaSt („Charleys Tante“).

Kurt Me j strik sahen wir vor sieben Jahren zum erstenmal in kleinen Rollen an der Josefstadt und in der Scala. Mittlerweile entwickelte er sich zu einem der begehrtesten Jungmänner-Spieler fürs harte, moderne Fach: „Von Menschen und Mäusen“, „Straße ohne Bäume“, der „Versteinerte Wald“ und zuletzt drei Einakter O’Neills in der „Courage“ kennzeichnen die vielseitige Verwendung in den realistischen Zeitstücken der Gegenwartsliteratur. Mejstrik spielt vital und explosiv, seine Geste ist abrupt, sein Auftreten sicher, männlich, entschlossen. Er reißt Abgründe auf, legt Leidenschaften bloß, bringt das Dunkle, Gewaltsame, Gefährliche zum Ausbruch. Für die kommende Saison wurde er nach Innsbruck verpflichtet. Antrittsrolle: Don Carlos.

Robert Werner begann 1951 am Stadttheater Steyr.- Villach folgte, dann Klagenfurt, Bregenz, Josefstadt, Volkstheater — dazwischen immer wieder große Aufgaben an den Wiener Kellern. Kaum eine Rolle, die dieser vielseitige junge Schauspieler (trotz seiner Jugend bereits ein „alter Hase“ am Theater) nicht schon zu Beginn seiner Karriere gespielt hätte: Vom Ferdinand über den Marquis Posa, vom Faust zum Gallomir und Knierim, vom Lorenz im „Bauer als Millionär“ bis zur Operette — alles in buntem Durcheinander. Für Robert Werner gibt es keine Ueberraschung mehr auf der Bühne. Nur er ist immer wieder Ueberraschung: Wir sahen ihn („Der Fall Pinedus“, Parkring) in einem psychologischen Zeitstück ebenso ernst, profiliert und kräftig, wie (im „Guten Wein des Herrn Nuche“, Parkring, urtd später in Salacrous „Tugend um jeden Preis“, Courage) voll sprühenden, saftigen Humors. Ein Komödiant mit Leib und Seele. Beginnend mit August nimmt er an den Tournee-Inszenierungen Oskar Werners teil.

Henriette Hieß kam 1955 vom Seminar ans Volkstheater: Ihre einzige größere Rolle in Priestleys „Sommertagstraum“ war eine erfolgversprechende Talentprobe im eher sentimentalen Liebhaberinnenfach. Ein Gastspielintermezzo im Ateliertheater Bern brachte Erfolg, zwei vortreffliche Leistungen in der „Courage" („Versteinerter Wald“ und später Andrė Gidės „Immoralist“) führten schließlich zum ersten Durchbruch in die Richtung einer sehr frischen, sauberen Gestaltung moderner Mädchen. Das Spiel ist schlicht, verinnerlicht und von jener unbefangenen Natürlichkeit durchpulst, die Anteilnahme erweckt und Sympathie. Während der Wiener Festwochen sah man Henriette Hieß als Marceline in Philipp Hafners „Der Furchtsame“ auf der „Pawlatschenbühne“.

Veit Relin rückt durch ein kürzlich abgeschlossenes Burgtheaterengagement in den Blickpunkt. Er absolvierte 1944 das Reinhardt- Seminar, war dann in Innsbruck, Linz, München, Chur und Salzburg — und von 1947 bis 1948 zum erstenmal am Burgtheater und später zwei Jahre in Kassel und drei Jahre in Frankfurt engagiert. Zuletzt hatte er in Sartres „Fliegen“ am Parkring und in Andrė Gidės „Immoralist" an der „Courage" großen Erfolg. Er vertritt den Typus des lyrischen, mit den Mitteln der getragenen Gefühlsäußerung agierenden, attraktiven Helden, zeigte sich aber nichtsdestoweniger in den beiden modernistisch-literarischen Stücken von einer ebenso subtilen wie distanzierten Geschmeidigkeit.

Last, not least in der unvollkommenen Reihe guter Schauspieler am Keller (über Wolfgang Gasser etwa und Peter Schratt wird noch viel Vorteilhaftes zu sagen sein) drei weitere, ungemein begabte junge Kräfte: Georg L h o t z k y, Otto G a ß n e r, Georg C o r t e n. Ihnen ist der Sprung nach oben noch nicht gelungen — was indes zweifellos nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Gaßner ist ein höchst vitaler, eigenwilliger, naturhafter Gestalter, Lhotzky, ein intellektueller Charakterspieler mit dem Trend zur Charakterkomik, bewährte sich glänzend als Nachwuchsregisseur („Kinder des Schattens“, Kaleidoskop), Corten, rustikal und von bezwingendem Humor, kann als echte Entdeckung für tragende groteske Rollen angesehen werden.

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