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Zum Motto dieser Festwochen

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„Spectacles müssen seyn, ohnedem kann man nicht hier in einer solch großen Residenz bleiben."

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„Spectacles müssen seyn, ohnedem kann man nicht hier in einer solch großen Residenz bleiben."

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KAISERIN MARIA THERESIA

Dieser Stoßseufzer einer vom Theaterstreit mitgenommenen Landesmutter soll nicht dokumentieren, daß etwa die Kaiserin Maria Theresia die Wiener Festwochen gegründet habe. Er soll nur beweisen, daß Wien immer eine Theaterstadt war. Genauer gesagt, eine Stadt des Unterhaltungstheaters. Denn „spectacles“ ist doch eine mehr abschätzige Bezeichnung, sie beinhaltet wohl kein tiefes Kunsterlebnis, sondern die mehr oder weniger repräsentative Zerstreuung, die man gern in Kauf nimmt. Diese seltsame Einstellung, für die sich eine gute Anzahl von Gründen anführen läßt, ist letztlich aber auch heute noch vorherrschend. Theater als literarisches Phänomen, stilistische Auseinandersetzung, als ideologischer Kampfplatz fand und findet in Wien nur eine relativ wenig und unbedankte Anteilnahme. Komödiantentum, Humor, Dra- stik und Abwechslung (allerdings auch verbunden mit einer großen Abnützung) herrschen vor.

Doch warum eigentlich darüber klagen? Repräsentative Unterhaltung ist auch eine eigenartige Farbe auf der großen Palette der theatralischen Künste. Für manche Beteiligten, die Stückeschreiber, Regisseure, Theaterleiter, Dramaturgen, kurz für den literarischen Teil des Theaters entsagungsvoll, für den kulinarischen dagegen einträglich. Versucht man, den Dingen etwas auf den Grund zu blicken, so kann man feststellen, daß eigentlich in Wien noch immer wie eh und je, Volkstheater oder besser, volkstümliches Theater gespielt wird. Diese scheinbar unversiegbare Tradition, die manchmal schon leicht anachronistisch anmutet, ist hier schon immer bewundert worden. Einer der ersten Wiener Theaterberichte, ein Brief der Gattin eines englischen Botschafters, Lady Montagu, erzählt im Jahre 1716 sehr eindrucksvoll vom Besuch des Stranitzkyschen Hanswursttheaters:

„… Doch so reizend ihre (Wiener) Opern sind, in ebenso hohem Grade sind ihre Lustspiele lächerlich. Sie haben nur eine Schaubühne. Aus Neugier, eine deutsche Komödie zu sehen, ging ich dahin und freute mich, daß es did Geschichte Amphitryons war. Da diese bereits von einem lateinischen, einem französischen und einem englischen Dichter behandelt worden ist, so erweckte es meine Neugier, zu sehen, was ein österreichischer Schriftsteller daraus machen würde. Ich bin dieser Sprache mächtig, genug, um den größten Teil zu verstehen, außerdem hatte ich eine Dame mitgenommen, welche die Güte hatte, mir jedes Wort zu erklären. Man nimmt gewöhnlich eine Loge, die Platz für vier Personen enthält. Der festgesetzte Preis ist ein Dukaten. Mir schien das Gebäude sehr niedrig und dunkel, doch die Komödie, ich gestehe es, glich diesen Fehler ganz bewunderungswürdig aus. In meinem Leben habe ich nicht so viel gelacht. Sie fing damit an, daß Jupiter aus einem Guckloch, das in den Wolken angebracht war, sich in die Alkmena verliebte, und endete mit der Geburt des Herkules. Doch das Lustigste war der Gebrauch, den Jupiter von seiner Verwandlung machte, denn sobald er unter Amphitryons Gestalt erscheint, schickt er, anstatt mit den entzückten Worten, die ihm Dryden in den Mund legt, zu Alk- menen zu eilen, zu Amphitryons Schneider, betrügt ihn um ein verziertes Kleidungsstück, seinen Wechsler um einen Beutel Geld, einen Juden um einen diamantenen Ring und bestellt ein großes Nachtessen in seinem Namen. Der meiste übrige Teil des Spiels besteht in der Verlegenheit des armen Amphitryons, da ihn seine Gläubiger wegen der gemachten Schulden quälen. Merkur behandelt den Sosia auf gleiche Art. Übrigens fällt es mir schwer, dem Dichter die Freiheit zu verzeihen, sein Stück nicht allein mit groben Ausdrücken, sondern auch mit so unanständigen Worten auszuspicken, wie sie unser Pöbel keinem Marktschreier zugute haltenwürde. Noch dazu ließen die beiden Sosias ihre Hosen ohne Umstände gerade den Logen gegenüber herunter, die voller Leute von erstem Range waren, und diese schienen mit der ganzen Unterhaltung so wohl zufrieden, daß sie mir versicherten, es wäre ein berühmtes Stück.

Ich schließe meinen Brief mit dieser merkwürdigen Erzählung, die wohl eine ernsthafte Erwägung des Herrn Collier verdiente. Mit Abschiedskomplimenten mag ich Sie nicht plagen, mir scheinen sie ebenso unverschämt wie das viele Bücken und Neigen am Ende eines Besuches, der schon viel zu lange gedauert hat.“

Sehr fein war es wirklich nicht, das Wiener Volkstheater! Doch eine unglaubliche Vitalität, ein unverwüstlicher Hunger nach Komik, eine eigenartige Aura der unversieglichen Lebenslust tat sich darin kund. 100 Jahre später attestierte Goethe den Stücken Philipp Hafners, sie seien wahrhaft „seltsame Produkte, wert, der Vergessenheit entrissen zu werden, und Denkmal einer bedeutenden Zeit und Lokalität“. Damit war der Höhepunkt desVolkstheaters, trotz aller Todesmeldungen, bekanntlich noch nicht erreicht. Doch ,.gspassige Sachen schreiben und damit nach dem Lorbeer trachten wollen, is grad so, als wenn einer ein’n Zwetschgenkrampus macht und gibt sich für ein’n Rivalen von Canova aus“, hatte auch Nestroy erkennen müssen. Das ganze Genre hat es in sich: es bringt keine Lorbeeren. Andere zum Lachen zu bringen, ist wohl noch vergänglicher als die anderen theatralischen Künste. Ein Kasperl eben!

Gerade jener Punkt aber, an dem sich Nestroy und Raimund angesiedelt hatten, der Sprung vom lokalen Spaßmacher zum großen Komiker, vom anonymen Volkstheater zur Weltliteratur, schien uns interessant, der „Aufstand der Harlekine“ darstellenswert. Die antiken Spötter Aristophanes, Menander, Plautus, die überschäumenden Theatermenschen der neueren Zeit, Shakespeare, Cervantes, Moliėre, Goldoni, Beaumarchais, Congreve und die mit dem modernen demokratisierten Volkstheater ringenden Wedekind, Brecht und Ionesco, das schien uns eine Reihe von Persönlichkeiten in ähnlicher Situation zu Nestroy und Raimund, die in Wien wohl verstanden werden sollte. Freilich ist uns nicht alles gelungen, eine Anzahl dieser Namen sind nicht dokumentiert bei unserem Festival.

(Also doch wieder das ominöse Festwochenmotto! Wenn man es nicht im Schilde führt, fehlt es allen, wenn man es ausspricht, empfindet es jeder als Zwangsjacke! Doch gar so zwängend kann es nicht sein, wie man aus dem reichen und zwanglosen Konzert- und Ausstellungsprogramm ersieht. Unter dem Motto „Die Komödianten Europas“ sind die Wiener Theater vereinigt, die sich meist mit einer Premiere einstellen, das Theater an der Wien mit seinem ganzen Zyklus und — als avantgardistische Erweiterung — das Nachtstudioprogramm im Metro.)

Bleiben wir noch einen Augenblick bei unserem Thema! Denn so begeistert die Altwiener Volkskomödie auf genommen wurde, so doppelsinnig ist auch das Erbe, das sie hinterlassen hat. Mit wenigen Ausnahmen war es eben doch ein sehr ungeistiges Theater, mit derber Situationskomik und purer Spottlust ausgefüllt. Denn der Witz ist, der Linie des leichteren Widerstandes folgend, im Grunde statisch und reaktionär, jedem Extrem abhold. In der ganzen oben angeführten Reihe von Namen sind, was die älteren Epochen betrifft, kaum wirkliche Zeitkritiker zu finden, sondern eher Spaßmacher, Nörgler, Bloßsteller. Beaumarchais wäre hier als Ausnahme zu nennen, doch sein „Figaro“ ist mehr vom allgemeinen Geist der Aufklärung getragen als durch die Persönlichkeit seines Autors.

Erst im 20. Jahrhundert hat sich das, sieht man vom komischen Konfektionsstück ab, gründlich geändert. Eine neue Auffassung der Komik scheint möglich: „Sieh den Ausgang der Dinge freundlicher an, das ist nicht immer leichtfertig oder dumm. Der dumme Trieb zum guten Ende kann ein kluger werden, der passive Glaube ein kundiger und aufrufender sein!… Wogegen Menschen, die überhaupt an kein Häppy-End glauben, die Weltverbesserung fast ebenso hemmen wie die Scharlatane der Apotheose“, sagt Ernst Bloch in seinem „Prinzip Hoffnung“. Hoffen auch wir, daß unser Thema des komödiantischen Volkstheaters Europas, das auch in unserem Almanach von allen Seiten abgehandelt wird, in Wien einen tätigen Widerhall findet.

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