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Salzburger Bilanz

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Die Salzburger Festspiele 1968 waren, alles in allem genommen, ein Erfolg, doch zeigten sich zwei Mängel, die Gefahrenmomente für die Zukunft bergen: die Problematik der Salzburger Bühnen und Festspielhäuser und der Niedergang des Schauspieles, obwohl mit dem Schauspiel Max Reinhardt den Salzburger Festspielen erstmalig Weltgeltung verschafft hatte.

Es isit bezeichnend, daß keine der drei besten Operninszenierungen („Die Hochzeit des Figaro“, „Der Barbier von Sevilla“ und „Rappre- sentazione“) im Großen Festspielhaus stattfand, womit auch im heurigen Jahr wie schon in den vorangegangenen bewiesen wurde, daß sich die Bühne des Großen Festspielhauses ihrer enormen Breite und geringen Tiefe wegen für den größten Teil der Opern, die in Salzburg gespielt werden, nicht eignet. Hier liegt von allem Anfang an ein Fehler in der Planung vor, der offenbart, wie gefährlich es ist, wenn große Bauvorhaben nicht öffentlich ausgeschrieben und nach allen Seiten hin diskutiert werden.

Was nun das Schauspiel betrifft, so ist hier die Dringlichkeit einer Reform geradezu alarmierend. Auf dem Gebiet des Schauspieles wurde in diesem Jahr ein Tiefpunkt erreicht, aber gerade dieser Tiefpunkt könnte den Umschwung herbeiführen und die Festspielleitung veranlassen, das Schauspielprogramm, das klassisches und modernes, weltweites und typisch österreichisches Theater einschließen soll, wenigstens für die nächsten fünf Jahre zu überdenken.

Wozu die Oper nicht in der Lage ist, dazu wäre das Schauspiel imstande: die seistige Diskussion zu entfachen. Salzburg gewänne damit eine Möglichkeit, mitten in der Welt von heute zu stehen. Neben dem wundervollen Musikmuseum, wie es derzeit der Opern- und Konzertbetrieb in Salzburg bietet, gäbe es dann auch ein Podium für zeitnahe Diskussion, obschon auf gehobener Ebene und gefiltert durch die Aussage vergangener und gegenwärtiger Geistesgrößen. Das Schauspiel muß wieder ein wesentlicher Bestandteil des Fest- spielprogramtnes werden und wie zur Zeit Reinhardts gleichrangig neben den musikalischen Darbietungen stehen. Autoren und große Regisseure wie Strehler. Brook und Zeffirelli müssen dafür gewonnen werden. Nur auf diese Weise würden die Salzburger Festspiele viel von ihrer derzeitigen musealen Aura verlieren.

Auf dem Gebiet der Oper gelang heuer rin Glückstreffer. Die Aufführung von Cavalieris „Rappresenta-

zione di Anima e dd Corpo“ zeigt, welcher Weg beschnitten werden könnte. Max Reinhardt hatte 1920 mit der Inszenierung des „Jedermann“ vor der Fassade des Salzburger Domes eine religiöse Seite angeschlagen und war damit auf den ursprünglichen Sinn von Festspielen eingegangen. Seine späteren Versuche auf diesem Gebiet, die Aufführungen von Vollmöllers „Mirakel“ und Calderons „Großes Welttheater“ erzielten allerdings geringeren Erfolg. „Rappresentazione“ ist zweifellos das vitalste und der religiösen Aussage nach stärkste Werk, das bisher in Salzburg gezeigt wurde. Es hat bei aller Einfachheit seiner Aussage etwas von dem heißen Atem, der Renaissance, Reformation und Gegenreformation durchwehte. Ähnliche künstlerische Perlen unter den Werken des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts gäbe es noch zu entdecken, um sie im großartigen Rahmen der Felsenreitschule aufzuführen.

Erfreulich bei den Salzburger Festspielen war auch die Gegenüberstellung von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ und Rossinis „Der Barbier von Sevilla“, beide Opern übrigens in mustergültiger Inszenierung und glänzender musikalischer Interpretation. Auch hier, auf dem Gebiet musikalischer, stofflicher und geistiger Beziehungen oder Gegensätze zu Mozart wäre noch einiges aufzuspüren. Leider mangelt es dem Festspieldirektorium, von Bernhard Paumgartner abgesehen, einfach an Phantasie. Die Parole: „Das Bewährte ist das Beste, und was vor zehn Jahren gefiel, gefällt sicher auch heute noch“, ist jeglichen Fortschrittes Feind.

Die Salzburger Festspielleitung muß langsam auch an das Publikum der Zukunft denken. Die Jugend ist wenig an den Salzburger Festspielen interessiert und betrachtet sie vielfach als eine Angelegenheit des Establishment. Nun sind die derzeitigen Verhältnisse so, daß die Festspiele nur solche des Establishment sein können. In ihrem Mittelpunkt steht die Oper, die weder revolutionäre noch zukunftsträchtige Züge trägt. Dazu kommt, daß die Salzburger Festspiele auf Grund der Glanzbesetzungen in den Opern höchste Eintrittspreise verlangen müssen, was zahlungskräftige Besucher voraussetzt. Dies alles trägt dazu bei, daß die Jugend nicht ihren prozentuell gerechtfertigten Anteil an Besuchern stellt.

Grundsätzlich ist zu sagen, daß es revolutionäre Festspiele nicht gibt, da Revolution immer Herausforderung und Kampf bedeutet, beides aber in einem künstlerischen Kommerzbetrieb, zu dem die Salzburger Festspiele nun einmal geworden sind, keinen Platz hat. Dennoch könnte die Problematik mit ihrem gegenwärtigen Unbehagen und ihrer ungewissen Zukunft durch eine kluge Programmgestaltung in allen künstlerischen Sparten gemildert werden, vor allem aber könnte durch eine grundsätzliche Reform des Schauspiels das derzeitige Antlitz der Festspiele um gegenwartsnahe und geistig ausgeprägtere Züge bereichert werden.

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