6790307-1970_34_01.jpg
Digital In Arbeit

Das Unbehagen

19451960198020002020

Am einfachsten und angenehmsten wäre es, sich unter die Gratulanten einzureihen. Aber wozu soll man die Salzburger Festspiele beglückwünschen? Daß sie ein halbes Jahrhundert erlebt und überlebt haben? Und darf das „ad multos annos“ besagen: „Nur so weiter!“? — Hört man auf die Stimme des Publikums und betrachtet man den Kassenrapport, so scheint alles in bester Ordnung. Sämtliche Großveranstaltungen waren heuer (so wie in den vergangenen Jahren) ausverkauft, und auch für die „kleineren“ war kaum noch eine Karte zu bekommen. Das Fest in Hellbrunn, vom Wetter dreimal begünstigt und von etwa 7000 Personen besucht, sowie das Straßentheater, dessen Zuschauer ebenfalls nach Tausenden zählen, waren zwar nur Experimente am Rande und nicht in das offizielle Programm aufgenommen; sie haben den während der letzten Jahre erstarrten Spielplan bereichert und auch sozial ein wenig aufgelockert.— Aber das allein genügte der internationalen Kritik nicht.

19451960198020002020

Am einfachsten und angenehmsten wäre es, sich unter die Gratulanten einzureihen. Aber wozu soll man die Salzburger Festspiele beglückwünschen? Daß sie ein halbes Jahrhundert erlebt und überlebt haben? Und darf das „ad multos annos“ besagen: „Nur so weiter!“? — Hört man auf die Stimme des Publikums und betrachtet man den Kassenrapport, so scheint alles in bester Ordnung. Sämtliche Großveranstaltungen waren heuer (so wie in den vergangenen Jahren) ausverkauft, und auch für die „kleineren“ war kaum noch eine Karte zu bekommen. Das Fest in Hellbrunn, vom Wetter dreimal begünstigt und von etwa 7000 Personen besucht, sowie das Straßentheater, dessen Zuschauer ebenfalls nach Tausenden zählen, waren zwar nur Experimente am Rande und nicht in das offizielle Programm aufgenommen; sie haben den während der letzten Jahre erstarrten Spielplan bereichert und auch sozial ein wenig aufgelockert.— Aber das allein genügte der internationalen Kritik nicht.

Werbung
Werbung
Werbung

Man hat sich von den Jubiläumsfestspielen mehr erwartet und seine Enttäuschung offen oder ein wenig verklausuliert ausgedrückt. Das Unbehagen bei der Kritik, speziell bei der inländischen und noch spezieller bei der Wiener Kritik, die sich in Salzburg keines besonderen Wohlwollens erfreut, sitzt tiefer.

Und in der Tat: Die künstlerische Bilanz der Jubiläumsfestspiele 1970 ist keineswegs festlich, sondern eher spärlich. Auf dem Gebiet der Oper gab es eine einzige echte Neuinszenierung (über die wir in unserem Kunstteil ausführlich berichten) und eine halbe Premiere: die Transferierung des „Fidelio“ in die neu adaptierte Felsenreitschule (siehe „Furche“ Nr. 31). Im übrigen behalf man sich mit Reprisen: von sechs Mozart-Opern in teils guten, teils weniger guten Inszenierungen und Besetzungen; mit der Reprise von Cavalieris „Rappresentazione“ und Pergolesis „La serva padrone“ sowie einer großen Anzahl nicht immer sehr festlicher Konzerte. Auf dem Gebiet des Sprechtheaters gab es gleich in der ersten Festspielwoche mit Oskar Werners „Hamlet“ einen Betriebsunfall, aber dann folgte zu Beginn der zweiten Halbzeit ein interessanter Theaterabend mit zwei selten gespielten Stücken von Schnitzler und Horvath. Das war alles.

Über dieses Programm schrieb der angesehene und wegen seines fundierten, affektfreien Urteils geschätzte Münchener Kulturkritiker K. H. Kuppel:

„Wer wie der Verfasser die Salzburger Festspiele seit 1930, also seit nunmehr 40 Jahren, mit Auge und Ohr des kritischen Freundes verfolgt, den befällt im Jahr ihres halb-hundertjährigen Jubiläums weniger hochgestimmte Gratulationslust als ziemliches Unbehagen. Unbehagen darüber, '.vi<= sehr sich gerade im Programm des Jubiläumsjahre die Institutionalisiertheit des Festspiels als routiniert geplante, mit allen Finessen eines hochentwickelten Kunstkonsums ausgestattete luxustouristische Veranstaltung dokumentiert, deren Management es aufs beste versteht, ihr immer noch den Nimbus einer kulturellen Enormität zu bewahren, obwohl sich ihre entscheidenden Impulse längst vom Kulturellen ins Kommerzielle verlagert haben.“

Natürlich war anläßlich des Jubiläums viel die Rede vom ursprünglichen Konzept, das sich — besonders eklatant während der letzten fünf Jahre etwa — zu einem „feudalistischen Modell“ entwickelt hat. Aber der vor kurzem verstorbene Grazer Soziologe und Musikkritiker DDr. Harald Kaufmann hatte bereits 1956 in einer Studie mit dem Titel „Kanon des Festlichen, Träume vom Salzburger Kern“ geschrieben: die allseits einsetzende Kulturkritik verberge gar nicht die affektive Besetzung ihrer Argumente. Es handle sich dabei um ein Luftmachen der Enttäuschung über den Zusammenbruch des Wunders. (Man erinnert sich auch an Freuds „Unbehagen in der Kultur“.)

Die gesteigerte kulturkritische Aggression nötigt das Festspiel zu immer größerem Aufwand, zu immer gleißenderem Perfektionismus, der seinerseits „die Kritik nur aufputscht“. Einen Gedanken Walter Benjamins interpretierend, meint Kaufmann: „Der Redliche muß der Welt sagen, was ist. Wer das einmal als Schein Erkannte trotzdem auf-rechthält, lügt. Gar nicht so sehr die Ästhetik unserer Feste ist deshalb im Begriff, abzurutschen, als ihre Moral.“ Vor allem aber ist das Verhältnis von Aufwand und Resultat gründlich zu prüfen... Die aufs Ganze zielende Frage aber ist, ob die Salzburger Festspiele auch künftig an ihrem derzeitigen fast schon anachronistischen Modell festhalten wollen, ob sich eine radikale Strukturänderung empfiehlt — oder ob es einen „dritten Weg“ gibt. Zu diesem Thema meint der bekannte Theaterwissenschaftler Siegfried Melchinger: „Salzburg sollte den Massentourismus nicht als notwendiges oder verächtliches Übel über sich ergehen lassen, sondern ihm auf der elitären Grundlage etwas anbieten, wodurch die Idee der Festspielstadt auch vor diesem Publikum legitimiert würde ... Kühnheit und Wagemut neuer Initiativen können sich im elitären Programm ebenso durchsetzen wie im programmatischen Versuch; dieser muß nur den Vorsatz haben, sich der Soziabilität zu stellen; jenes muß der Sterilisierung entzogen werden, die sich mit dem eigenen Klischee begnügt...“ Hierüber sollte man öffentlich, vor allem auch in der Presse, diskutieren. Denn wohin die amikalen Beratungen des Direktoriums hinter verschlossenen Türen führen, haben wir gesehen. (Eine westdeutsche Tageszeitung stellte die rhetorische Frage „Sind die Salziburger Festspiele ein fünfzigjähriger Greis?“.) Doch für diese Diskussion müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden. Das Kuratorium unter dem Vorsite des Salzburger Landeshauptmannes wird in der nächsten Zeit einen neuen Präsidenten zu nominieren haben. Und im Direktorium wären mindestens zwei Sessel mit Männern zu besetzen, die Ideen haben. Dann erst, wenn man weiß, an wessen Adresse Vorschläge zur Erneuerung der Salzburger Festspiele zu richten sind, wollen auch wir gerne das unsere dazu beitragen. Denn nichts fehlt, um noch einmal Harald Kaufmann zu zitieren, den Salzburger Festspielen seit dem Tod Hugo von Hof mannsthals schmerzlicher als die Reflexion.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung