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Die große Chance

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Am 3. November wird in Paris das Bureau International des Expositions zusammentreten, um über einen Antrag Oesterreichs zu entscheiden, einen Antrag, dessen Annahme für unser Land weittragende Konsequenzen nach sich ziehen würde: Oesterreich bewirbt sich um die nächste Weltausstellung, und zwar für das Jahr 1967.

Das Bureau International des Expositions ist eine Institution, die als Interessengemeinschaft aller an internationalen Ausstellungen interessierten Länder gegründet wurde. Ihr Sitz ist Paris, ihre Mitglieder werden größtenteils durch die dort akkreditierten diplomatischen Vertreter repräsentiert. Die Vergebung der Weltausstellung ist die wichtigste Entscheidung, welche dieses Forum zu treffen hat. Sie macht ein Land, eine Nation — und niemals eine Stadt allein — für geraume Zeit zum Mittelpunkt der Welt, legt ihm aber mit der Ehre auch Lasten und Pflichten auf, die für einen solchen Zeitraum alle Kräfte des Landes und oft auch alle seine Möglichkeiten bis zum äußersten in Anspruch nehmen.

Im Bewußtsein dieser Tatsache hat sich Oesterreich durch einen Regierungsbeschluß um die nächste Weltausstellung beworben. Zu diesem Entschluß wäre es wohl nie gekommen, hätte die Expo in Brüssel für Oesterreich nicht einen ganz außergewöhnlichen Erfolg bedeutet. Damals konnte Oesterreich beweisen, daß es. obgleich ein kleines Land, Geist und Sinn einer derart umfassenden Schau besser wahrzunehmen in der Lage war als manche Großmacht.

II.

Was waren die Ursachen dieses Erfolges? Sie mögen vielleicht in dem mehr zufälligen Umstand begründet’gewesen Sein’ß 4 stllungsleitung damals ein inji Grunde kulturelles Thema stellte — „Bilanz einer Weft für eine menschlichere Welt“ — und daß dieses Thema für Oesterreich eine große Chance bedeutete. Denn während die Beiträge der industrialisierten und technisierten Länder aus der Lage der Dinge heraus zugleich mit der Demonstration ihrer Industrie und Technik auch die Zweifelhaftigkeit dieser Güter in bezug auf das gestellte Thema zur Diskussion stellen mußten, war Oesterreich gezwungen, unter Verzicht auf die Konkurrenz in solchen Belangen vorzuweisen, was es besaß. Und daß diese Güter „für eine menschlichere Welt“ viel bedeuteten, dafür hatten sie bereits Zeugnis abgelegt. Die einmaligen Kunstschätze unserer Schatzkammern, das musikalische Erbe, das in autographen Partituren und in der Praxis vorgewiesen werden konnte, die Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Erziehung wogen bei den Massen der Ausstellungsbesucher denn doch schwerer als das Funktionieren toter Maschinen und das Nichtfunktionieren der Menschen, die sie bedienten. Und selbst den Bewunderern der Technik mußten die Zis-Limousinen im sowjetischen Pavillon im Vergleich mit dem ersten Benzinauto im österreichischen Pavillon als in gewissem Sinn zweitrangig erscheinen.

In Brüssel konnte man somit versuchen dem Thema gerecht zu werden — oder man mußte es ignorieren. Viele Staaten haben den zweiten Weg beschritten. Die Lehre, die daraus zu ziehen war: ein humanitäres Thema wird in Zukunft weniger absolut, es wird elastischer gestellt werden müssen, damit es nicht durch seine Fragestellung gewisse Nationen ausschließt oder sie in die Reserve einer bekenntnislosen Großmesse treibt. Oesterreich hätte es nie gewagt, den Antrag auf die nächste Weltausstellung zu stellen, wenn es nicht geglaubt hätte, ein solches Thema finden zu können.

III.

Das vorgeschlagene Thema lautet: Arbeit und Freizeit. Und gerade in der Koppelung dieser beiden Begriffe, die sich ja nicht bloß aneinanderreihen, sondern ergänzen, liegt die wirklich weltweite Möglichkeit einer ausstellungsmäßigen Realisierung. Freizeit — das ist der Inbegriff alles dessen, was das Leben schön macht: das ist Kultur, Zivilisation, Freude am Schönen, Freude am Guten; auch der Kamp gegen das, was es bedroht: Genußsucht, Neid, Haß. Und Arbeit— das ist die Quintessenz aller Bestrebungen, die Zeit und Möglichkeit für das „menschlichere Leben" schaffen. Nationen, die einen hohen Entwicklungsstand errungen haben, kennen die Freizeit als Problem und werden ihren Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten können. Völker, die den Begriff der Freizeit nicht oder nur ungenügend kennen, werden die Probleme ihrer Arbeit mit der Blickrichtung auf das Ziel der Freizeit behandeln können. Die korrelative Verbindung der beiden Begriffe wird so zum ausgleichenden und sich gegenseitig ergänzenden Faktor, ihre Addition — zum Ganzen. Schließlich steht auch nichts den Extremen im Wege. Sollte ein Staat sein ganzes Glück nur in der Arbeit — oder nur in der Freizeit sehen, nichts hindert ihn, diese These zum Ausdruck zu bringen. Es darf wohl schon jetzt behauptet werden, daß dieses Thema, das viel weniger ein Teilproblem ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag, von vornherein jede Gefahr zur Hypo- krisie, zum Mehr-scheinen-Wollen auszuschließen vermag, und damit die große Gefahr einer Weltausstellung: den Kitsch. Das Thema ist für jedes Land zugeschnitten.

Es wäre vielleicht die Lage zu positiv beurteilt, würde man auf Grund der Themenwahl bereits von seriösen Aussichten auf die Zuerkennung der Expo sprechen. Zuwenig hat sich noch die Stellung eines Themas als allgemein anerkannte Verpflichtung durchsetzen können. Es läßt sich schwer sagen, ob die diesbezügliche belgische Initiative — ermutigend, wie sie in Brüssel war — in der Betrachtung der teilnehmenden Nationen schon zur Conditio sine qua non geworden ist. Eines läßt sich allerdings schon jetzt behaupten: die Zuteilung der Weltausstellung an Oesterreich wäre nicht nur die Betrauung irgendeines kleinen Landes mit einer großen Aufgabe — es wäre bereits eine Direktive, der Ausdruck einer Auffassung, eine Entscheidung über die Zukunft der Weltausstellungen. Und daß sich diese Entscheidung in Brüssel bereits angebahnt hat, läßt einer gewissen Hoffnung Raum.

Andere Hoffnungen beruhen auf weniger idealen, dafür aber vielleicht überzeugenderen Grundlagen. Die solide Basis etwa die durch die geographische und politische Situation Oesterreichs geschaffen wird, kann so leicht von keinem anderen Land gestellt werden. Eine Weltausstellung hat wohl nur dann einen Sinn, wenn sie nicht zur Welthälftenausstellung wird. Freilich, die politische Entwicklung der Welt läßt sich schwerlich auf sieben, acht Jahre vorhersehen. Da aber die Existenz der Weltausstellung an und für sich an die positive Entwicklung der internationalen Lage geknüpft ist, muß man wohl so tun, als ob es nur eine solche geben könnte. Andernfalls wird eine Weltausstellung ihren Namen nicht verdienen. Es wird jedenfalls klug sein, den Ort der Weltausstellung ‘ von vornherein so zu wählen, daß der Wille zur Gesamtausstellung außer Zweifel steht. Das ist sicher ein starkes Argument.

IV.

Bildet somit Oesterreich auf der Trennungslinie zwischen dem Westen und Osten in seiner Gesamtheit den Idealfall einer politisch wie geographisch hervorragend geeigneten Heimstätte für die Weltausstellung, so darf der detaillierte Plan des Ausstellungsgeländes und die vorgesehene Lage des in Aussicht genommenen Terrains ihrerseits positive Beurteilung beanspruchen. Der Park von Laxenburg hat nämlich im Hinblick auf diese Verwendung eine Reihe von Vorteilen aufzuweisen, die weit über alles hinausgehen, was zum Beispiel der Park von Heysel in Brüssel zu bieten hatte.

Da ist zunächst die in keiner Weise beschränkte Fläche des Geländes zu nennen. Das Areal von 250 Hektar, das man von vornherein ins Auge faßt, ist bereits um ein Fünftel größer als jenes, das in Brüssel zur Verfügung stand, kann aber jederzeit erweitert werden. Die landschaftliche Lage des Terrains verspricht darüber hinaus interessante Lösungen in der Verbindung natürlicher und architektonischer Schönheiten. Auf keinen Fall wird der Platzmangel, wie es leider in Brüssel der Fall war, zu architektonischen Zwangslösungen, zu mutuellen Störungen und — nicht zuletzt — zu unvorstellbaren Stauungen der Menschenmassen führen.

Ein nicht unwesentlicher Vorteil des geplanten Geländes tangiert in erster Linie die Kalkulatoren, kann aber unter Umständen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Der königliche Schloßpark von Heysel in Brüssel wurde nur unter der Bedingung für die Weltausstellung 1958 zur Verfügung gestellt, daß nach Beendigung der Expo sein ursprünglicher Zustand wiederhergestellt würde. Das bedeutete den Abriß aller Gebäude, auf Kosten der ausstellenden Länder. Die dafür notwendigen Summen überstiegen dabei in vielen Fällen den Realwert des Gebäudes, so daß etwa der amerikanische Pavillon, der gratis angeboten wurde — der Beschenkte mußte „lediglich" für die Versetzung des Gebäudes sorgen — keinen Abnehmer finden konnte. Diese Kosten für die Abtragung könnten in Laxenburg in vielen Fällen vermieden oder vermindert werden, weil ja dort die Abtragung nicht zur Bedingung gemacht werden muß. Es ist durchaus denkbar, daß eine Reihe von Gebäuden gleich im vorhinein für spätere Verwendungszwecke errichtet werden. Es wäre auch denkbar, daß das Laxenburger Gelände nach Schluß einer Weltausstellung als Erholungsstätte und Freizeit-Musteranlage weiter in Verwendung bleibt.

Die verkehrstechnische Situation des geplanten Geländes wird im Jahre 1967 allen Anforderungen entsprechen. Dabei fällt ins Gewicht, daß ein großer Teil des geplanten Straßennetzes sozusagen außerhalb der Weltausstellung errichtet würde, das heißt auf jeden Fall und unabhängig von ihr: es ist dies jener Teil, der durch die Autobahnen gebildet wird, durch die Südschleife der von Westen kommenden Einfahrt, und durch die Südautobahn. Es ist bekannt, daß ein wesentlicher Teil der Kosten der Expo 1958, die 22 Milliarden belgische Francs betrugen zirka 11 Milliarden Schilling, von den nötigen Straßenbauten verschlungen wurden. Diese Aufwendungen könnten zu einem erheblichen Teil aus dem Budget der Expo 1967 ausgeklammert werden, wodurch von vornherein mit einer geringeren Belastung gerechnet werden kann, als dies in Belgien der Fall sein mußte. Schnellverkehrsstraßen, Einbahnstraßen, Zugsverbindungen und ein Helikoptertransport vom Flughafen Schwechat sind überdies vorgesehen. Die Entfernung vom Stadtzentrum zum Gelände würde 17 Kilometer betragen, das ist wohl mehr, als es in Brüssel der Fall war, kann aber gerade deshalb für die reibungslose Abwicklung des Verkehrs von größter Wichtigkeit sein. Jedem, der in Brüssel war, sind noch heute die ungenügenden, weil sich aufstauenden und gegenseitig sich behindernden Verkehrsmittel in Erinnerung. Es kann ohne weiteres angenommen werden, daß die größere Entfernung durch flüssige Verbindungen zumindest kompensiert wird.

Diese Möglichkeit gestattet von vornherein eine Einbeziehung der Stadt Wien in die Rahmenveranstaltungen der Weltausstellueng. In Brüssel mußten die vielen kulturellen Manifestationen der teilnehmenden Länder in einer ungünstigen Halle auf dem Gelände selbst durchgeführt werden. Wien, durch seine ko iWimeünoch zahlreichen — Theater, Konzertsäle und Hallen ungleich besser vorbereitet als 1RB¥üSsel; wäre;’in der Lage, eine vifkIiche Welt- ausstfllungsstadt zu werden, eine echte Verbindung zwischen seiner alten Kultur und der jungen vor ihren Mauern herzustellen. Es sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß die Frage des Theaters an der Wien aus diesem Gesichtswinkel sehr wohl positiv gelöst werden kann, weil eine zweite Opernbühne in diesem Fall nicht Luxus, sondern Bedarf wäre.

Die Unterbringung der Gäste — 42 Millionen haben die Weltausstellung in Brüssel besucht — wird ebenfalls durch die projektierte Lage des Geländes erleichtert werden, insofern als nicht die Bundeshauptstadt allein die Massen unterzubringen hat, sondern das ganze umliegende Gelände von den Voralpentälern bis zum Semmering. Eine vorsichtige Schätzung des zur Verfügung stehenden Platzes, in Wien und in dem ganzen bezeichneten Gebiet, ergibt, daß schon jetzt die Kapazität von Brüssel 1958 wesentlich überschritten ist. Bis zum Jahre 1967 wird die Bettenanzahl natürlich noch erheblich erweitert, wobei die Hotellerie ihr Augenmerk in erster Linie den erstklassigen Appartements widmen müssen wird, die auch in Brüssel Mangelware waren.

Der Umfang und die Dauer der Vorbereitungsarbeiten rechtfertigt das vorgeschlagene ; Datum von selbst. Es dürfte kaum möglich sein, ein Unternehmen dieses Umfanges in kürzerer Zeit vorzubereiten, als es sieben Jahre erlauben. Anderseits wäre es unklug, den Elan, den Brüssel für die Idee der Weltausstellung bedeutet hat, nicht auszunützen und den Anschluß zwischen diesem Erfolg und dem Beginn der Vorbereitungsarbeiten nicht herzustellen.

Es besteht kein Zweifel, daß Oesterreichs Antrag — er liegt in Form eines ausführlichen Buches vor — auf Grund seiner ideellen und materiellen Ausarbeitung, die oft bis ins Detail geht, in Paris sehr ernst genommen werden wird Ebenso wird die Persönlichkeit des österreichischen Regierungsbeauftragten für die Weltausstellung, Manfred Mautner Markhof, die schon in Brüssel den österreichischen Erfolg mitbestimmte, sehr ins Gewicht fallen. Dennoch kann man unsere Chancen nur schwer gegen die anderer Antragsteller abwägen. Denn Konkretes liegt noch von keinem von ihnen vor.

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