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Die Grünhemden

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Jahrelang hat man behauptet, es gebe in Frankreich keine Faschisten. Oder zumindest: es gebe sie nicht mehr — denn das Vorhandensein von faschistischen Stoßtrupps und Massenbewegungen im Frankreich der dreißiger Jahre läßt sich ja kaum bestreiten. Die Verhaftungen der letzten Wochen haben jedochi gezeigt, daß es eine erhebliche Zahl von Personen und Organisationen von faschistischem Charakter gibt, die sich für den Augenblick bereithalten, in dem sie eine Grundwelle nach oben tragen könnte. Gewiß: in Frankreich selbst ist diese Grundwelle noch nicht zu verspüren. Aber von Algerien her züngelt die Flamme herüber und hat im Mutterland ein „vorfaschistisches Klima“ geschaffen, das kaum mehr geleugnet werden kann.

Seit 1947 die Kommunisten wieder aus der Republik hinausbugsiert wurden, befindet sic Frankreich heute zum ersten Male wieder in einer revolutionären Situation — in einer Situation, in der völlig unberechenbare Stürme möglich geworden sind. Wie wollen hier nicht auf den Streit eingehen, ob die Fünfte Republik diese Situation geschaffen oder ob nicht vielmehr de Gaulle eine letzte Barriere vor dieser Situation aufgerichtet habe. Wir stellen nur fest, daß das Sturmzentrum diesmal rechts von der legalen Gewalt zu suchen ist. Die „Linke“ ist entweder im Waggon „KP“ auf ein Abstellgeleise rangiert oder sie erschöpft sich in einem Gequirl kleiner Sekten — was die weitverbreitete Meinung erklärt, Frankreich werde Tst nach einer „faschistischen“ (oder doch autoritären) „Erfahrung* wieder- zu einer echte Linken kommen. Die merkwürdige und beunruhigende Gleichgültigkeit, welche das französische Volk im Mutterland in seiner überwiegenden Mehrheit nicht nur dem 13. Mai, sondern auch allen seitherigen Erschütterungen gegenüber durchgehalten hat, ist auf jeden Fall keine Garantie gegen Stürme. Im Gegenteil: sie schafft das Vakuum, das Stürme geradezu anzusaugen droht.

Hinzu kommt, daß die Kompromittierung jedes „Faschismus“ durch die Ereignisse der Kriegszeit recht verblaßt ist. Wenn auch durchaus faschistische Kräfte in der Resistance vertreten waren, so hat doch der überwiegende Teil des französischen Faschismus entweder mit den Deutschen oder mit dem Staat von Vichy (was nicht dasselbe war) kollaboriert. Aber darüber hat nicht nur die Zeit einen Schleier gezogen und der Umstand, daß einer der deutschen Nachfolgestaaten heute ein treuer Verbündeter Frankreichs ist. Es hat auch in den Jahren seit der Liberation ein Abwertungsprozeß der Resistance stattgefunden, der eine der Hauptursachen des heutigen Fehlens einer starken Linken ist. Zu viele, die gar keine richtigen Widerstandskämpfer waren, degradierten die ..Resistance“ zu einer Maffia, die sich unter Berufung auf die Ereignisse von 1940 bis 1944 fette Pfründen zu ergattern suchte.

Eine der auffälligsten Figuren unter dem faschistischen Personal, das heute in Vorhutgefechte mit der Republik verwickelt ist, dürfte der Bauernführer Henry Dorgeres sein. Wo in den letzten dreißig Jahren die französische Bauernschaft in Bewegung geriet, ritt dieser Mann, der selbst gar kein Bauer, sondern ein Journalist und Bauerngewerkschafter ist, ganz eben auf dem Wellenkamm. Wie so oft, hat auch hier eine revolutionäre Strömung sich ihren Chef unter den Renegaten einer Oberschicht ausgesucht: der heute 63iährige Dorgeres ist in Fran-zösisch-Flandern als ein Vicomte d'Hal-luin geboren; „Dorgeres“ ist der Kampfname, den er sich zugelegt hat, um nicht durch ein Adelsprädikat vom „Volk“ getrennt zu sein.

Die Dorgeres-Bewegung ist als Selbstschutzbewegung der mittleren und kleinen Bauern gegen den Staat und „gegen die Trusts“ entstanden. Die politische Laufbahn von Dorgeres setzte ein, als er 1928 in der bretonischen Hauptstadt Rennes in der Redaktion eines kleinen, von ihm geleiteten Bauemblättchens eine Art von SteuerBeratung für seine Kunden einrichtete, mit dem er ihnen im Kampf gegen den Fiskus beistand.

Dies und die Jahreszahl 1928 zeigt schon, daß die Dorgeres-Bewegung in einen größeren Rahmen hineingehört. In ganz Europa zählte damals die Bauernschaft zu den Hauptopfern der Weltwirtschaftskrise, und von der Lappe-Bewegung in Finnland und der „Eisernen Garde“ in Rumänien über die schleswig-holsteinische Landvolkbewegung bis zur schweizerischen „Heimatwehr“ entstanden Selbstschutzbewegungen, in denen sich die Bauernschaft gegen die anziehende Schraube der großen wirtschaftlichen Konzentrationen zu wehren suchte. Insbesondere die zeitliche Parallele zu Deutschland ist überraschend: während im November 1928 in holsteinischen Steuerämtern die ersten Bomben krachen, beginnt Dorgeres — gewiß völlig unabhängig davon — in der Bretagne, in der Normandie und der Pikardie den bäuerlichen Widerstand gegen den Fiskus zu organisieren.

Der damalige „Front P a y s a n“ (Bauernfront) von Dorgeres und seine Komitees der „Defense P a y s a n n e“ (Bauernverteidigung) haben drei Kampfziele: Widerstand gegen die merklich angezogene Steuerschraube, Widerstand gegen die Sozialversicherung, Widerstand gegen die Überseeimporte zur Drückung der Inlandpreise. Dabei hat der Widerstand gegen den im Aufbau begriffenen Sozialstaat ein seltsames Doppelgesicht: Auf der einen Seite zielte man auf einen Abbau dieses Sozialstaates: der Bauer soll von der Beitragspflicht für seine landwirtschaftlichen Arbeiter entbunden werden, weil er, im Gegensatz zur Industrie, die .Sozial- und Steuerlasten nicht in seine Preise einzukalkulieren vermöge. Auf der anderen Seite aber wurde eine Ausweitung des Sozialstaates erstrebt: die Familienzulagen der städtischen Arbeitnehmer sollten, in gleicher Höhe, auch auf die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer und sogar auf die selbständigen Bauern selbst ausgedehnt werden; die Bauernkinder sollten nicht die „Bastarde der Nation“ sein.

Nun, diese Probleme von damals haben sich inzwischen zum Teil erledigt, zum Teil verschoben. Aber der Geist der Dorgeres-Bewegung von damals, in der sich die Bauernrebellionen der französischen Geschichte, die „Jacquerien“, ins Moderne transponiert hatten, ist bis heute lebendig geblieben. Das hat erst kürzlich wieder dwOfünfetündige i StraßenstMaehr*'vtjn Amiens gezetjfry'“1*'*“ ..wt Mjfrf ww* Wt tVrfHmfo*

Warum nennen wir die Dorgeres-Bewegung einen Bauern faschismus? Sie war ein Ausdruck dafür, daß ein Teil der Bauernschaft das Vertrauen in ihre traditionellen Interessenverbände verloren hatte. Die landwirtschaftlichen Gewerkschaften galten diesen Bauern als „ver-bonzt“ und „verbürokratisiert“. Sie hatten aber auch darüber hinaus das Vertrauen in das demokratische Spiel der Interessen verloren. Dorgeres hat drei Bücher geschrieben, in denen sich Doktrin und Erinnerungen mischen: „Haut 1 e s Fourches“ (Hoch die Forken, 1935), „Revolution Paysänne“ (1943), „Au XXe S i e c 1 e 10 Ans de J a c q u e r i e“ (Im 20. Jahrhundert zehn Jahre Jacquerie; Editions du Scorpion, Paris 1959). Durch alle diese Bände zieht sich als Leitmotiv die Überzeugung, daß man „die Gesetze brechen müsse, um der Gerechtigkeit Bahn zu schaffen“. „Direkte Aktion“ ist also die Parole — nur leicht abgeschwächt durch den Vorsatz, „nichts zu tun, was gegen die christliche Moral verstößt“.

Ein großer Schriftsteller ist Dorgeres nun allerdings nicht. Aber man spürt den geschickten Volksredner, wenn man mitten in den nüchternen Deklamationen auf eine Geschichte wie diese stößt. Auf einer Propajfandatournee muß Dorgeres in einem ländlichen Hotel übernachten. „Am Morgen sah ich, wie eine Magd einem dicken und recht wilden Hund eine tüchtige Portion Futter brachte, während ein magerer und ruhiger Hund daneben nur ein paar alte Brotkrusten erhielt. Daraus schloß ich, daß der Hund, der bellt, das erhält, was man dem allzu zahmen Hund verweigert...“

Das Bellen überläßt Dorgeres vor allem den „Grünhemden“. Sie sind übrigens, was wenig bekannt ist, nicht seine Erfindung. Als er 193 5 nach Kolmar kommt, um unter den elsässischen Bauern für seine Ziele zu werben, erlebt er, wie dort eine von dem Sundgauer Bauernführer B i 1-g e r aufgestellte Hundertschaft von in grüne Hemden gekleideten Jungbauern eine Übermacht von sozialistisch-kommunistischen Gegendemonstranten in die Flucht schlägt. Dorgeres trägt die Idee nach Frankreich hinein, und als es 1936 zur Bildung der Volksfrontregierung kommt, schießen insbesondere in West- und Nordwestfrankreich überall die Stoßtrupps der „Grünhemden“ auf.

Amiens hat gezeigt, daß dieser Geist heute noch lebendig ist. Manche der Bauernführer von heute haben damals in den Reihen der Grünhemden unter der Losung „Glauben — Gehorchen — Dienen“ ihre ersten politischen Erfahrungen gemacht. Der Refrain ihres damaligen Kampfliedes bewegt noch immer den aktivsten Teil der Bauernschaft: „Mit nacktem Arm und reiner Hand werden wir Paris ausmisten!“ Der Gegensatz von „pays legal“ und „pays reel“ (dem bloß legalen und dem wirklichen Land), von dem die französische Rechte nicht erst seit Maurras lebt, hat hier recht aggressive Form angenommen.

Ebensosehr wie aus ihren gewerkschaftlichen Zielen (und Erfolgen) hat nämlich die Dorgeres-Bewegung ihren Schwung aus dem Bemühen geholt, der Bauernschaft als einem angeblich verachteten Stand wieder zu starkem Selbstbewußtsein zu verhelfen. Dorgeres forderte die Bauern stets auf, auf diesen Namen stolz zu sein und sich nicht mit Künstlichkeiten, wie „Landwirt“ oder „Agronom“, zu zieren. Mit einer heftigen Kampagne nötigte er Frankreichs führendes Lexikon, den „Larousse“, zur Streichung der Definition, daß „Bauer“ in bildlichem Sinne einen „klobigen Menschen von schlechten Manieren“ meine.

Aber wenn Dorgeres seinen Bauern auch das Bewußtsein einzuimpfen suchte, daß auf ihrem Stand das Wohl der Nation beruhe, so wollte er doch keine Feindschaft mit den anderen Ständen, vor allem nicht mit Handwerk und Kleinhandel, die an die Seite der Bauern gehörten. Auch das ist eine der faschistischen Grundvorstellungen: der als Ganzes gesunde Körper der Nation, der nur von einer kleinen Parasitenschicht bedroht wird.

Aufschlußreich dafür ist die Auslegung des Kampfrufes „Hoch die Forken!“ (wobei sowohl die Heu- wie die Mistgabel gemeint sein kann) durch einen Unterführer von Dorgeres: „Sie (die Gabel) ist für uns ein Werkzeug zum Entfernen des Mistes aus unseren Ställen. Sie kann aber auch eine Waffe zum Ausmisten des Palais-Bourbon sein.“ Das deckt sich mit Sprüchen von Dorgeres, wie diesem: „Die Parlamentarier müssen sich darüber klarwerden, daß der .passage ä tabac' (Prügel) für sie zu einem Berufsrisiko

^'ll^siw wnirv.- noX 3 TW tb'2 In einem Land, in dem der Bürger immer noch „den Staat“ und die ihn regierenden „Politiker“ als feindliche Mächte empfindet, ist ein solcher Antiparlamentarismus ein Sprengstoff ersten Ranges — die beiden Putsche von Algier haben es wieder gezeigt. Die französische Rechte zieht ihre Kraft aus dem anarchistischen Grundstrom, der ständig an den Fundamenten der Republik zehrt. Immer wieder setzt sich ein Teil der Nation der Nation gleich — Dorgeres: „Ich habe die tiefe Überzeugung, daß in Frankreich die nationale Revolution von den Bauernmassen ausgehen wird“ — und bestreitet dem bestehenden Staat das Recht, die Nation zu repräsentieren.

In dem von „BauernmarschaH“ Petain (er war Bauernsohn) geführten Staat von Vichy war das anders: dieser Staat versuchte ja eine „Rückkehr, zum Boden“. Dorgeres wird Nationaldelegierter für Propaganda und Organisation in der neugegründeten „Corporation Paysanne“. Aber auch hier scheint es ihm auf die Dauer nicht zu passen; nach der Liberation wird er zwar für 18 Monate eingesperrt, aber die zehn Jahre nationaler Unwürdigkeit werden wegen Hilfeleistung für die Resistance sofort wieder gestrichen.

Es wurde dann eine Weile still um Dorgeres. Als aber mit der poujadistischen Welle die „direkte Aktion“ sich wieder ihren Platz im Arsenal der französischen Politik eroberte, schien seine Stunde von neuem zu schlagen. Mit P o u j a d e und der „Bauernpartei“ von Paul Antier zusammen gründete er im Herbst 1957 das „Rassemblement Payan“ (als dessen Generalsekretär wir wieder B i 1 g e r finden). Auch wenn man auf die Grünhemdenromantik der Vorkriegszeit verzichtete, schien doch in diesem Zusammenschluß der revoltierenden Bauern und Kleinhändler eine beachtenswerte politische Kraft zu entstehen. Aber der Zusammenschluß will nicht recht funktionieren, anscheinend vor allem wegen des Eigensinns von Dorgeres, und im Frühjahr 1959 geht man wieder auseinander.

So war es immer in Dorgeres' Leben. Dieser unzählige Male verhaftete und oft eingesperrte Mann ist ein Sturmbock, der Breschen schlägt — ist die Bresche einmal da, so laufen ihm die Truppen wieder davon, zu den alten Bauernverbänden oder in neugegründete Organisationen. Liegt das daran, daß Dorgeres selbst nicht Bauer ist? Es fehlt1 ihm wohl auch — darin gleicht er Poujade — jene spezifisch politische Geduld und Intelligenz, welche die agitatorischen Erfolge in dauerhafte Gebilde umzusetzen weiß. Dorgeres ist darum mehr ein Symptom als ein bCI3 ick ^ ^W^barer^iksirij, maj^ich^(faschistische Abenteuer s($R$Prr4fV haben andere, jüngere Kräfte mehr Aussicht, dabei die Führung zu übernehmen. Dorgeres' „Stil“ dürfte jedoch einen solchen Ausbruch wesentlich mitprägen.

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