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Die Programmierung des Menschen

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DIE WELTMASCHINE. Von Paolo Volponi. s. Fischer, Frankfurt am Main, 1966, 289 Seiten, DM 18.

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DIE WELTMASCHINE. Von Paolo Volponi. s. Fischer, Frankfurt am Main, 1966, 289 Seiten, DM 18.

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Paolo Volponi, derzeit Leiter der Sozialabteilung von Olivetti, hat mit seinem ersten Prosawerk „Memoriale“, das 1964 bei S. Fischer unter dem Titel „Ich, der Unterzeichnete“ erschien, viel Beachtung gefunden. Nun ist auch der Roman „La mac- china mondiale“ in einer Übersetzung von Gerhard Fasterding dem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich.

Für die beiden Romane Volponis gilt, was über den Roman der Gegenwart im allgemeinen zu sagen ist. Das Leben wird geschildert in seinen äußersten Grenzbereichen, in welchen die tödliche Gefährdung des Menschen, seine Einsamkeit und sein Versagen Randbezirke der in der Fiktion mit letzter Konsequenz zu Ende gedachten Wirklichkeit darstellen.

Die Helden dieser Romane sind Außenseiter, Rebellen, die gerade wegen ihrer oft an Psychosen grenzenden Veranlagungen zu einer, wie Volponi schreibt, „schmerzlicheren und ausgeprägteren Fähigkeit“ gelangen, die Wirklichkeit zu interpretieren. Ein Vergleich mit Kafka, dessen Hauptfiguren ähnliche Positionen einnehmen, liegt nahe. Jedoch bleibt Volponi, fernab von der Para- bolik Kafkas eher auf dem Boden der Realität. Sein Stil ist knapp und kraftvoll und treibt erst in der Weltmaschine Blüten einer ans Visionäre grenzenden Phantastik.

Volponi nimmt in der Weltmaschine den Monolog, der in ähnlicher Weise schon Albino Saluggia in dem Roman „Ich, der Unterzeichnete“ führt, wieder auf. In der Katastrophe totaler menschlicher Isolation und seelischen Zusammenbruchs endet das Leben beider Haupthelden.

Anteo Crocioni, Hauptfigur der Weltmaschine, ist ein Bauer aus einem unterentwickelten Gebiet in den Abruzzen. Was ihn von den anderen Bauern unterscheidet, ist, daß seine Wissenschaft, die geistige Beschäftigung mit seinen Studien, die sich auf zufällige Beobachtungen und wahllose Lektüre stützen, ihm zum Primat werden, neben dem die Mühe um die Besorgung des Lebensunterhalts, die Sorge um die Familie verkümmern. Dies stempelt ihn in den Augen seiner Mitmenschen zum Narren. Er wird als Außenseiter und Feind seiner Umgebung verfolgt und wegen seiner protagonistisohen Ideen nicht zuletzt auch von den konservativen Kräften der Gesellschaft, also der Kirche und den gehobenen Klassen (welch uraltes, seit Galilei unverändertes Bild!) bekämpft. Als Crocioni erfährt, daß seine Frau ihr Kind tötete, sprengt er sich nach einem Dialog mit seinem letzten Gesprächspartner, einer Statuette, die er zum Ankauf von Büchern entwendet hatte, in die Luft.

Man wird der Gesamtkomposition les Werkes, dem kraftvollen F1, der Erzählung, die den Leser in Atem hält, und vor allem dem Mut, die Wirklichkeit der unmittelbaren Gegenwart mit ihrer Praevalenz eines rein technisch mechanischen Denkens künstlerisch zu bewältigen, Bewunderung zollen. Und da jedes Kunstwerk in erster Linie von der Kraft der künstlerischen Ausdrucksmittel her wirkt und weniger durch Abstraktion und wissenschaftliches Denken, kommt man nicht dazu, nach der Gültigkeit der sogenannten „Studien“ Crocionis zu fragen. Trotzdem läßt sich das „Traktat“ aus dem Ganzen des Werks nicht herauslösen. Sind doch die darin aufg - zeigten Phänomene für das Weltbild Crocionis entscheidend.

Entscheidend für das Denken des Protagonisten ist die Maschine. Und schon hat man einen Namen für das Kind, das heißt eine literarische Strömung für das Werk. Paolo Volponi wird der sogenannten „lettera- ture industriale“, zu Deutsch Industrieliteratur, zugeteilt und damit der Literaturwissenschaft ein unschätzbarer Dienst erwiesen.

Die Welt der Industrie als Milieu spielt in dem Roman „Die Weltmaschine“ jedoch so gut wie keine Rolle. Und daß die Maschine bis zu einem gewissen Grad das Leben; eines jeden modernen Menschen prägt, ob er dies nun wahrhaben will oder nicht, wird man nicht bezweifeln können. Mit eben dieser Wirklichkeit konfrontiert sich der Roman. Die Maschine wird im Traktat Crocionis zum perpetuum mobile des von den sogenannten „Automa Auoren“ (schöpferische Gottwesen) angefachten Lebensprozesses. In der Planung der Mechanik liegt das Geheimnis der Aufwärtsentwicklung der Menschheit, deren Dynamik eint träge in ihren Ruhepunkten verhar- rede Welt aus den Angeln heben soll. Das Geheimnis des Universums gleichsam zu übersetzen in di Sprache von Formeln, Zahlen odei

Konstruktionen ist ein eben so alter, wie neuer Traum des Menschen. Diese Gleichung mit zwei Unbekannten läßt sich beliebig variieren,

Die Gleichung Mensch=Maschine muß jedoch im Absurden enden. Eine rein von der Mechanik her inspirierte Denkweise kann sich am Menschen nicht bewähren. Auf Grund dieser Denkweise kommt Crocioni zu einem verzerrten Menschenbild. So etwa, wenn er über die Schuld des Menschen nachdenkt und zu dem Entschluß kommt, das Wort Schuld aus dem Vokubular zu streichen und an seine Stelle die Wendung von der „unzureichenden Programmierung der Maschine“ zu setzen. Eben darin liegt die Tragik Crocionis. Seine Konstruktionen reichen nicht aus, den Menschen zu begreifen, als ein Individuum, das sich nicht planen läßt. Dies bewirkt seine Isolation und sein Unfähigkeit, menschliche Bindung vom Erlebnismäßigen her zu erfahren. Er kann seinem schmerzlich geführten Monolog nicht entrinnen und zum Dialog nicht finden, da er die Menschen wie fremde Figuren auf dem Schachbrett seiner Weltverbesserungspläne sieht. Das Selbstgespräch des Außenseiters endet in der Selbstvernichtung.

Der Satz, den Tibor Dery anläßlich einer Enquete aussprach: „Ich fürchte mich vor der unausweichlichen, endgültigen Entmenschlichung des Menschen durch die Maschine“ findet in diesem Werk Volponis seine künstlerische Entsprechung.

Man legt das Werk nicht ohne Unbehagen aus der Hand. Aber vielleicht liegt gerade darin eine echte Funktion des neuen Romans.

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