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… eine Zypresse im Oarten Jes Propheten

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„Wer immer du auch seist, komm zu uns!

Vnd seist du ein Unglücklicher, ein Heide, ein Feueranbeter, komm! Unser Kloster ist kein Ort der Verzweiflung.

Und hättest du den Schwur der Reue hunderte Male gebrochen, komm!"

Welch tröstlicher Spruch, der den Reisenden am Tor des ehemaligen Derwischklosters in Konya erwartet! Arg durchgerüttelt von der vielstündigen Autobusfahrt, die von Ankara über die flachwellige, endlos scheinende Steppe Inneranatoliens nahe am großen Salzsee vorbeiführt, steht der Besucher vor dem Mevlana-Kloster-Museum, dem eigentlich nichts Museales anhaftet. Die Stätte des Wirkens des großen islamischen Mystikers Celaleddin Rumi, von seinen Jüngern „Mevlana“ (— unser Herr) genannt, strahlt heute, 700 Jahre nach dem Tode Mevlanas und 40 Jahre nach der Säkularisierung des Ortes, eine Weihe und Würde aus, die auch den neugierigen Fremden, den Touristen, xum Pilger werden läßt.

Wer war dieser Mann, dessen Werk uns noch heute so in seinen Bann schlägt? Der 1207 in Turkestan geborenen Celaleddin war im Alter von vierzehn Jahren mit seinen Eltern im Zuge der großen Westwanderungen der Turkvölker nach Konya gekommen, wo er den Beinamen „Rumi“, der Römer, bekam, da Anatolien früher römische Provinz war. Hier wurde der Weise „Schems-i-Täbrizi“, die „Sonne von Tabriz“, sein Lehrer, und auf dessen Anraten vertiefte sich Mevlana Celaleddin Rumi in die islamische Mystik. Er wurde ein „Sufi“, ein Mystiker, der die Vereinigung mit Gott ersehnte und diese Sehnsucht in wunderbaren Gedichten und Gesängen in Persisch, der Sprache der islamischen Poesie, zum Ausdruck brachte. Um sich mit Gott, dem Wesen jenseits aller Verstandes- und Vorstellungskraft, vereinigen zu können, muß sich der Mensch, so lehrt Mevlana, durch fortwährende Anbetung und Aufopferung alles Irdischen zu Gott emporläutern und so seinen Geist aus dem Gefängnis der Sinnenwelt hinweg dem Unbegreiflichen nähern.

Dies aber könne nur durch den „Weg der Liebe“ geschehen. Damit verkündet Mevlana zugleich einen sublimen Begriff von Toleranz, ja von christlicher Nächstenliebe, die in sonderbarem Gegensatz zu den streitbaren Lehren des Koran steht. Alle mögen sie zu ihm kommen, auch die Ungläubigen, „die Giauren“, die Juden, ja sogar die Heiden, und alle mögen sie von ihm den „Weg der Liebe“ lernen, denn Gott ist Liebe und Verzeihung.

Und sie kamen von nah und fern nach Konya, „Gläubige und Ungläubige“, und lauschten den gedankentiefen Poesien Celaleddin Rumis. Während im Abendland die Mystiker Einzelgänger und Exzentriker waren, sammelte Mevlana eine Schar von Jüngern um sich, die nach seinem Tode im Jahre 1273 den Orden der

„Mevievi-Derwisclie“' gründeten. Bevor ein Derwisch in diesen Orden aufgenommen wurde, mußte er drei Jahre lang in Demut den anderen dienen. Am Ende des Noviziats durfte er zum erstenmal an einem rituellen Tanz teilnehmen, bei dem gewisse rotierende Bewegungen vorgeschrieben waren. Durch die immer schneller werdenden Drehungen wurde der Tänzer in Ekstase versetzt und empfand diese fromme Verzückung als eine Art der Vereinigung mit Gott, wie sie Mevlana predigte. Die Bezeichnung „Tanzende Derwische“ gibt es allerdings nur im Deutschen, in allen anderen Sprachen heißen sie „Drehende Derwische“.

Bäuerinnen der Umgebung mit aen cnaraKteristi- schen Umtengtü- chern in Schwarz, Rot oder Braun betreten die „Tür- bee“, den Grabraum Mevlanas, die Schuhe in den Händen. Dicke rote Teppiche dämpfen den Schritt, es riecht nach Wachs, altem Holz und Staub. Der riesige Marmorsarkophag Mevlanas steht, etwas erhöht, in einer Ecke des Raumes, dessen Wände über und über mit goldenen Koransprüchen bedeckt sind. Über dem Sarkophag liegt eine grüne Samtdecke, reich bestickt mit goldenen Schriftzeichen und Ornamenten und darüber am Kopfende ein kunstvoll geschlungener riesengroßer Turban aus grüner Seide. Rund um den Sarg Mevlanas stehen die kleineren Särge seines Vaters, sei nes Sohnes und einiger Junger. Unzählige silberne Leuchter und Lampen verstärken die sakrale Stimmung dieser Stätte.

Über der Grabkammer erhebt sich die berühmte seldschukische Kuppel mit dem kegelförmigen Aufsatz, die außen mit herrlichen smaragdgrünen Fayencen verkleidet ist — das weithin leuchtende Wahrzeichen Konyas.

Heute ist „bayram“, ein Festtag, deswegen strömen besonders viele Gläubige in den Kuppelsaal und ziehen an Mevlanas Sarg vorüber.

In den angrenzenden Räumen fühlt man sich schon eher in ein Museum versetzt, wenngleich auch hier nur im Flüsterton gesprochen wird. An den mit Arabesken und Koranversen bemalten und zum Teil auch mit Fayencen verkleideten Wänden stehen große Vitrinen. Junge Mädchen im schwarzen Schulkleid mit weißem Kragen, welches überall in der Türkei getragen wird, führen die Besucher. Ein wenig verlegen lächelnd leiern sie die eingelernten Erklärungen herunter und werden bei neugierigen Fragen allmählich lebhafter; die Führungen machen ihnen sichtlich Spaß. Staunend betrachtet man die kostbaren Kalligraphien der berühmten Verdichtung Mevlanas, dem „Mesnevi“, und vergleicht unwillkürlich mit mittelalterlichen Handschriften in christlichen Klöstern. In einer Eckvitrine sind die eigenartigen Musikinstrumente der Derwische ausgestellt: „ney“, die Rohrflöte, „kudum“, die große Trommel, „teff“, die Schellentrommel, „heman“, die Geige, „rebap“, ein Saiteninstrument mit Zwei Saiten.

Der große ehemalige Tanzsaal der Derwische ist leer, der eigentliche Tanzplatz ist von einer niedrigen hölzernen Barriere umgeben. Nur an den Wänden hängen unter Glas die vergrößerten Nachbildungen alter

Stiche, den Tanz der Derwische darstellend. Auf den Bilderrahmen liegt Staub. Hier fühlt man das Museale am deutlichsten: Der Raum wurde seit 40 Jahren nicht mehr für seinen ursprünglichen Zweck verwendet.

Und doch ist der Tanz der Derwische noch nicht ganz ausgestorben! Der Derwischorden wurde zwar wie alle religiösen Bünde von Atatürk aufgelöst und verboten, der überlieferte Tanz wird jedoch noch heute von Laien im Rahmen eines Folklore-Vereines weiter gepflegt. Alljährlich findet in Konya das „Mev lana-Festival“ statt — welch seltsame Wortverbindung einer mystisch-kontemplativen Welt mit dem Show-business-Geist unserer Zeit…

Die Sitzreihen in der großen, festlich beleuchteten Sporthalle am Stadtrand sind in den Abendstunden dicht gefüllt mit Zuschauern: Bauern, Soldaten, vereinzelten Touristen, Schülern, Frauen im schwarzen wallenden Gewand Anatoliens mit hennagefärbten roten Händen. Wo sonst eine modern erzogene Jugend Handball und Basketball spielt, soll heute der alte Derwischtanz aufgeführt werden. An der Stirnseite dies Saales befindet sioh ein überdimensionales, auf Stoff gemaltes Bild von Mevlana, flankiert von zwei ebenso großen türkiisahen Fahnen. Das Podium, auf dem die in Derwiischkleider gehüllten Musiker mit gekreuzten Beinen — im „Türkensitz“ — sitzen, liegt gegenüber.

Langsam verlöschen die großen Lampen, nur das Musikpodium und das Mevlana- bild bleiben beleuchtet. Da strahlen Scheinwerfer ihre Lichtkegel auf den Gummiboden, auf dem «die Markierungen der Spielfelder zu sehen sind, die Musik beginnt zu spielen. Langsam schreiten zwölf Derwischgestalten in den Saal, die Hände in den weiten Ärmeln der Kutten verborgen,

als erster in Schwarz der Vorbeter, alle übrigen im traditionellen Weiß mit schwarzbraunen konischen Filzmützen, als letzter ein etwa zwölfjähriger Knabe. Sie verneigen sich stumm nach allen Seiten und setzen sich dann in zwei einander zugekehrten Reihen, der Vorbeter nimmt zwischen ihnen am äußersten Ende Platz. Dumpf dröhnt die Trommel, während die Rohrflöte für europäische Ohren ungeheuer schrill und jammervoll aufschluchzt und dann jäh abbricht. Nun beginnt der Vorbeter mit dem Gesang, sein nasales „elhamdül- lilah“ (Gott sei Dank) schallt weithin durch den Raum. Er erhebt seine Stim me zu voller Höhe und stimmt einen Preisgesang auf Mevlana an:

„Du Liebling Gottes!

Der Abgesandte des alleinigen Schöpfers bist du.

Aus der Schar seiner Diener hat Gott dich auserwählt,

der Reine und Unvergleichliche bist du!

Du Zierde Gottes!

Du in der höchsten Stufe des Paradieses, o Vollkommenheit.

Das Licht der Augen der Propheten,

das Licht unserer Augen bist du!

Du Abgesandter Gottes!

Eine Zypresse im Garten des Propheten,

der Frühling in der Welt der Wissenschaft, eine Rose im Garten des Rechtes, eine edle Hyazinthe bist du!“

Am Ende eines jeden Satzes schwingt als dessen Höhepunkt das Wort „sensin“ — das bist du — lange durch den Saal, dem Amen der christlichen Responsorien vergleichbar.

Wieder ertönt die Trommel, die Gewänder der sich erhebenden Tänzer rascheln hörbar. Die volle Musik setzt ein, und langsam beginnen sich die Männer der Reihe nach um ihre eigene Achse zu drehen. Rhythmisch bewegen sich die weißen Gestalten zu den langgezogenen Tönen der Flöte und Geige, die Arme weit von sich streckend wie Vögel, die ihre Schwingen ausbreiten. Das Licht der Scheinwerfer huscht über die Tän zer; mre an aer Taille abgebundenen Kutten beschreiben große weiße Kegel, die sich wellenförmig auf und ab bewegen. Immer schneller werdende Beine erinnern an ein Ballett, manche drehen sich minutenlang am gleichen Fleck, gleichmäßig beschwingt, die Köpfe wiegen im Takt der Trommel. Der Tanz dauert 45 Minuten! 45 Minuten ununterbrochenes Drehen, und bei keinem der Tänzer ist ein Anzeichen von Taumel oder Schwindel zu bemerken, nur die Gesichter röten sich. Ein alter Mann mit weißem Mevlanabart dreht sich am harmonischesten, sein Gesicht ist ganz Hingabe und Versunkenheit in Gott, in seinen Augen glänzt die Ekstase der frommen Derwische von einst,

als die „Gläubigen und Ungläubigen“ zu Celaleddin Rumi kamen, um den „Weg der Liebe“ zu lernen.

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