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Angst entstellt das Gesicht der USA in Philip Roths

Roman "Verschwörung gegen Amerika".

Im Rückblick betrachtet, war das schonungslose Unvorhergesehene das, was wir Kinder in der Schule als Geschichte' lernten, harmlose Geschichte, wo alles Unerwartete zu seiner Zeit als unvermeidlich verzeichnet wird. Den Schrecken des Unvorhergesehenen lässt die Geschichtswissenschaft verschwinden, indem sie eine Katastrophe zu einem Epos macht."

Von welchen Zufällen hängt Weltgeschichte ab? Wie vieles ist doch unvorhersehbar? Und: Was wäre gewesen, wenn - Fragen, die Literatur immer schon interessiert haben. Das Unvorhergesehene ist in diesem Fall nicht 9/11, sondern eine Begebenheit, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt. Ja, Hitler kommt auch im Roman "Verschwörung gegen Amerika" von Philip Roth an die Macht. Aber Franklin Delano Roosevelt gewinnt die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1940 nicht, sondern der Flieger und Nazifreund Charles Lindbergh, der 1938 den Deutschen Adlerorden erhielt. Antisemit Lindbergh, den Roth in seinem Roman zum Präsidenten der usa in den Jahren 1940-1942 erschreibt, ist kein Judenvernichter, aber er ist auch nicht das Gegenteil. Seine Person lässt die unterschiedlichsten Annahmen, Befürchtungen und Reaktionen zu. Eindeutig ist nur eines: Lindbergh ist ein Gegner des Krieges gegen Hitlerdeutschland. Und so gewinnt er auch den Wahlkampf: "Es geht um Lindbergh oder Krieg."

Lindbergh oder Krieg

Ein Kriegsgegner war Lindbergh wirklich. Sechzig Jahre, bevor das World Trade Center in New York in Schutt und Asche geflogen wurde, am 11. September 1941, hielt Lindbergh eine Rede, die im Anhang auch nachzulesen ist: "Wer sind die Kriegstreiber?" Lindbergh wirft darin Briten, Juden und der Regierung Roosevelt vor, Amerika in den Krieg hetzen zu wollen.

In Roths Roman unterschreibt Präsident Lindbergh das Island-Abkommen für friedliche Beziehungen zwischen Deutschland und den usa und das Hawaii-Abkommen mit Japan, das dessen Vorherrschaft in Ostasien anerkennt.

Fast unmerklich ändert sich das Klima im Land. Einerseits weil der Faschismus auch in Amerika nur darauf wartet, ausbrechen zu dürfen, andererseits weil die Angst unter den Juden deren Leben beherrscht und von innen her verändert. Angst entstellt das Gesicht der amerikanischen Gesellschaft. Mit ihr beginnt der Roman. Mit ihr endet er.

"Angst beherrscht diese Erinnerungen, eine ständige Angst. Natürlich hat jede Kindheit ihre Schrecken. Doch ich frage mich, ob ich als Kind nicht weniger Angst gehabt hätte, wenn Lindbergh nicht Präsident gewesen oder ich nicht das Kind von Juden gewesen wäre." Mit diesen Sätzen steigt Roth in die Handlung ein. Den Roman entwirft er als fiktive Autobiografie, er erzählt die Entwicklung des Kindes Philip Roth parallel zu den politischen Ereignissen in den usa, deren deutlichste Veränderungen in diesen Jahren der Verlust von Sicherheit und das Auseinanderdividieren der Amerikaner in Amerikaner und andere Amerikaner sind. Als Lindbergh als Präsident nominiert wurde, "erschütterte dies wie nichts zuvor das umfassende Gefühl persönlicher Sicherheit, das ich als amerikanisches Kind amerikanischer Eltern auf einer amerikanischen Schule in einer amerikanischen Stadt in einem Amerika, das mit der Welt in Frieden lebte, immer für etwas Selbstverständliches gehalten hatte."

Harmlose Namen

Zunächst sind es noch keine Pogrome (doch diese folgen), sondern kleine Schritte, mit harmlosen Namen versehen: die Aktion "Land und Leute" ("Just Folks"), die jüdische Jugendliche mit guten Amerikanern, natürlich fleißige Christenmenschen, in Kontakt bringt. Sie sollen der religiösen Minderheit helfen, sich noch besser in die Gesellschaft einzufügen. Den Ängstlichen klingt das anders: die Kinder sollen ihren Familien entfremdet werden - was auch gelingt. Oder das großräumige Juden-Zwangsübersiedlungs-Programm "Homestead 42". Es reißt die jüdischen Grätzel auseinander und verstreut die Juden derart, dass sie überall nur mehr Minderheiten sind.

Amerikanisch?

Sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt es auf die neue Lage Amerikas. Und auch der Titel ist mehrdeutig. Wer verschwört sich eigentlich auf welche Weise gegen Amerika? Und: Wer kann behaupten zu wissen, was das sei: amerikanisch? Die Sicht auf Amerika, aus der der Leser diese zwei erfundenen Jahre jedenfalls erleben darf, ist die des kleinen Philip Roth, damals wie der Autor Roth etwa acht Jahre alt, 1933 in Newark, New Jersey geboren. Ein Bub, der den politischen Alptraum als Traum erlebt, in dem sich statt der Köpfe plötzlich Hitlerbilder und Hakenkreuze auf seinen Briefmarken finden.

Von den lebendig erschriebenen Personen lebt dieser Roman. Vater Herman Roth nimmt sich kein Blatt vor den Mund, aber will nicht wie andere nach Kanada fliehen, immerhin ist er Amerikaner und Amerika ist sein Heimatland. Parallelen zur historischen Situation der Juden in Europa werden sichtbar. Am Ende fährt Herman 750 Meilen durchs für Juden inzwischen lebensgefährliche Amerika, um ein Waisenkind zu holen. Herman aber ist es auch, der seinen Neffen prügelt, Alvin, der für Kanada in den Krieg gegen Nazideutschland gezogen ist, als Krüppel zurückkommt und dessen Werte Herman schließlich auch verkrüppelt sieht. Mit dieser Gewaltszene im Wohnzimmer, "traditionell der Ort, an dem man gemeinsam den Versuch unternimmt, sich gegen die Zudringlichkeiten einer feindlichen Welt zu verteidigen - wurde den Antisemiten bei der erfrischenden Lösung des größten Problems Amerikas in die Hände gearbeitet, indem wir selbst hysterisch zu den Keulen griffen und uns dezimierten."

Wer wie Geschichte macht

Sandy, Philips Bruder, ein begnadeter Zeichner, wird im Zuge des Land und Leute-Programms zu einem Tabakfarmer nach Kentucky geschickt und kehrt - erfolgreich gegen die eigene Familie aufgebracht, die er nun als paranoide Ghettojuden beschimpft - als Lindbergh- und Schweinefleisch-Fan zurück, bis das Interesse an Mädchen alles andere überwiegt.

Bess Roth ist die starke Mutter, deren Glanzstück jene Szene ist, in der sie einem zum Waisen gewordenen verängstigten Buben per Telefon Anweisungen gibt, was er essen soll, um ihn zu beruhigen.

So soll ein Roman sein, in der kleinen überschaubaren Welt der handelnden Figuren wird sichtbar, wer wie Geschichte schreibt: "Mein Vater entscheidet sich für Widerstand, Rabbiner Bengelsdorf entscheidet sich für Kollaboration, und Onkel Monty entscheidet sich für sich selbst." Rabbiner Lionel Bengelsdorf, der Philips Tante heiratet, beruhigt die Juden in Amerika, es drohe keine Gefahr, steigt zum Berater auf und speist mit von Ribbentrop im Weißen Haus. Er predigt "die Amerikanisierung der Amerikaner" als besten Schutz der Demokratie vor "Bolschewismus, Radikalismus und Anarchismus". Alvin durchschaut das Spiel schon vor der Wahl: "Er will Lindbergh für die Gojim koscher machen."

Der populäre Präsident

Mittendrin und das Schicksal dieser fiktiven Figuren bestimmend geistern auch historische Größen und Ungrößen durch den Roman, etwa Henry Ford, Autohersteller und Antisemit, oder Burton K. Wheeler, der einst ein Acht-Punkte-Friedensprogramm zu Verhandlungen mit Hitler vorlegte und von Lindbergh dafür ein Glückwunschtelegramm erhielt. Oder Walter Winchell, der Journalist, der in Roths Roman Lindbergh kritisch die Stirn bietet, bis er gekündigt und schließlich ermordet wird. In Wirklichkeit war er nach dem Krieg McCarthy-Anhänger, verrät die äußerst interessante Dokumentation im Anhang des Buches.

Lindbergh schließlich stellt den populären sportlichen Präsidenten dar: "Da war er wieder, unser Lindy, der kein Blatt vor den Mund nahm, unser Lindy, der es nie nötig hatte, mit seinem Äußeren oder seiner Stimme einen überlegenen Eindruck zu machen, weil er schlicht überlegen war - der furchtlose Lindy, jugendlich und doch auch ernst und gereift, der zähe Individualist, der legendäre amerikanische Übermann, der das Unmögliche leistet, indem er sich ganz auf sich allein verlässt." Ein Präsident, der plötzlich verschwindet. Übrig bleiben Verschwörungstheorien, die absurder nicht sein könnten, mithilfe derer Roth Amerika wieder zurückführt in die reale Geschichte des Jahres 1942, selbst das entführte und ermordete Lindbergh-Baby lebt auf einmal wieder, zumindest in den Wahnvorstellungen von Philips Tante ...

Die Vermengung von historischen Fakten, autobiografischem Material und Fiktion ist dem seit Jahren nobelpreisverdächtigen Autor meisterhaft gelungen - bis auf jenen Abschnitt vielleicht, wo er sehr lange die Perspektive des Buben verlassen und aus dem fiktiven Archiv der Newarker Wochenschaukinos berichten muss, um die Geschichte an ein Ende zu bringen. Roths besondere Stärke sind nämlich die vielschichtigen Beschreibungen der einzelnen Personen und ihrer Handlungen. Jede Szene hat ihre Bedeutung. Wie jene, in der sich der verängstigte Bub im Klo eingeschlossen hat und nicht mehr herausfindet - dann stellt sich heraus, die Tür wäre offen gewesen. "Geschichte ist alles, was irgendwo passiert. Sogar was einem ganz gewöhnlichen Mann in seinem Haus widerfährt - auch das ist eines Tages Geschichte."

Vieles erinnert an ...

Dieser Roman verweist auf vieles zugleich. Natürlich denkt man beim Lesen an die amerikanische Gegenwart, an Heimatschutz, Patriotismus, Beschränkung von Bürgerrechten, Selbstverteidigung und Bewaffnung von Zivilisten und an die Kriegsdiskussionen in den usa. Deshalb sorgte dieser Roman schon vor seinem Erscheinen kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2004 für reichlich Wirbel. Der nicht verstummte, obwohl oder gerade weil Roth in den New York Times den Roman gerade nicht als Schlüsselroman verstanden wissen wollte. Philip Roth ist ein viel zu raffinierter Erzähler, er braucht keine platten Parallelen. Der Leser kann, wenn er will, darüber grübeln: Richtet sich der Roman gegen ein isolationistisches Amerika, das sich dem Krieg verweigert? Oder doch eher gegen eine Bush-Regierung, die Angst schürt und Bürgerrechte beschneidet? Roths vielschichtiger Roman geht über eindeutige aktualisierende Gleichsetzungen weit hinaus.

Dem mit Schuldgefühlen beladenen achtjährigen Buben kommt aber die Erkenntnis, "dass man nichts richtig machen konnte, ohne gleichzeitig etwas falsch zu machen, so falsch, dass man, besonders dort, wo Chaos herrschte und buchstäblich alles auf dem Spiel stand, vielleicht sogar besser abwarten und gar nichts tun sollte - außer dass Nichtstun ebenfalls ein Tun war ... unter solchen Umständen nichts zu tun, hieß sehr viel zu tun -, und daß sogar die Mutter, die sich täglich und systematisch dem ungebärdigen Strom des Lebens entgegenstemmte, keine Möglichkeit kannte, mit einem solchen Durcheinander fertig zu werden."

Verschwörung gegen amerika

Von Philip Roth Aus d. Amerikan. v. Werner Schmitz

Hanser Verlag, München 2005

430 Seiten, geb., e 25,60

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