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Er war kein Mythomane

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„Einmal entwickelte Roth in einer jiddischen Unterhaltung mit einem lettischen Talmudisten in launischer Ausgelassenheit und mit spielerischem Unterton eine geradezu kabbalistische Theorie über das Jiddische, wobei er weiter der Ansicht war, nur einer, der Jiddisch könne, sei imstande, ein vorzügliches Deutsch zu schreiben.“ Dann weiter, Roth wörtlich zitiert: „Da ich ein Romanschriftsteller bin, muß ich die Sprache benützen, die am besten der gojischen Realität nahekommt. Da aber die Sprache nicht nur aus Worten besteht, sondern auch strukturell und stilmäßig zu begreifen ist, muß ich ein Deutsch mit ganz einfachen Strukturen schreiben. Deshalb sind meine Sätze kurz und deshalb habe ich nichts für die .Thomas Mann' übrig, die ein geschwollenes und verwickeltes Deutsch sprechen und schreiben — ein Deutsch, wie es sich entwickelt hat, als die Gojim glaubten, auch einen geistigen Inhalt in ihre gojische Sprache hineinschmuggeln zu können.“ So Joseph Roth zu Joseph Gottfarstein (S. 123 ff.). So zu lesen in der umfangreichen, über 700 Seiten umfassenden Biographie, die Dr. David Bremsen, Professor für Germanistik an der Wahington University St. Louis, herausgegeben hat.

Das Werk behandelt das ganze Leben des Dichters auf eine Art und Weise, die dem Verfasser vor allem insoferne zum Ruhme gereichen wird, als er mit dem Fleiß und der Akribie eines positivistischen Naturwissenschaftlers alle ihm zugänglichen Daten aus dem Leben dieses großen Österreichers gesammelt und verwertet hat. Der Biograph ist Amerikaner, und so ist es nicht verwunderlich, daß ihm hie und da in nebensächlichen Fragen Interpretationen passieren, die, durch die leider heutzutage so grassierende Unkenntnis über die alte k. u. k. Monarchie verursacht, gleichsam zeitgenössisch begründet sind; doch angesichts der so überwiegenden positiven Aspekte dieser ungeheuren Arbeit ist dies ziemlich belanglos.

Amüsant sind jene Stellen, aus denen die Kontroversen Roths mit Thomas Mann ersichtlich sind und die erlauben, im ersten fast einen Antipoden des letzteren zu sehen. Dies kommt auch an anderer Stelle zum Ausdruck, so zum Beispiel in Zitaten aus einem Brief Roths an den Kollegen Natonek (eine Persönlichkeit, an die sich der Schreiber dieser Zeilen sehr gut erinnert; er wirkte damals, 1939, im Cafe Tournon in Paris, am Tisch Roths, auf ihn wie ein Adept aus der Magierbude des Rabbi Low in Prag), in dem Roth eine Ästhetik des Romans entwickelt (schreibt Bronsen). Darin heißt es: „... Im Roman hat nichts Abstraktes (von Roth unterstrichen) vorzukommen, überlassen Sie dies den Thomas Manns...“

Leider kam Roth posthum bei der heute so heftigen Diskussion über Mann in den deutschen Literaturgazetten nicht zu Wort und es wäre vergnüglich gewesen, die Kontroverse zu rekapitulieren, die anläßlich des 50. Geburtstages eines gewissen Schicklgruber alias Hitler, zwischen Roth („österreichische Post“, „Schwarzgelbes Tagebuch“, unter dem Titel „Zum Wiegenfest“) und Thomas Mann („Bruder Hitler“, „Neues Tagebuch“, Amsterdam) gegen April 1939 ausbrach. Sie ist eines der wenigen Ereignisse, die in der Biographie leider nicht ausführlich erwähnt werden.

Irgendein Schriftsteller hat einmal gesagt (sinngemäß zitiert): „Bei den Deutschen nennt man einen Dichter, der unfähig ist, klar zu formulieren, einen Seher.“ Daß Roth eine ganz große Ausnahme von dieser Regel war, daß er, obwohl politologisch nicht sehr versiert, erstaunliche Voraussagen machte, so zum Beispiel, daß die deutsche Wehrmacht große Anfangserfolge erzielen werde, bevor die große Katastrophe eintrete, ist auch aus vielen Zitaten im Werk ersichtlich.

Nicht kann ich den Interpretationen Bronsens im Hinblick auf den Monarchismus Roths folgen, wenngleich sie vielleicht dadurch entschuldbar sind, daß es für Menschen von heute (der Biograph ist 1926 in den USA geboren) schwierig ist, sich geistig in die Situation von damals, insbesondere in die der Jahre 1938 und 1939, hineinzudenken. Bronsen macht zwar diesbezüglich sehr instruktive Ausführungen, doch sieht er in dieser Geisteshaltung des Dichters (wie leider sogar die meisten seiner Bewunderer) gleichsam den Ausdruck einer durch Alkoholismus bedingten „Mythomanie“. Ich hatte damals, 1939, einige Monate vor dem Tode Joseph Roths, oft Gelegenheit, dieses Thema mit ihm zu erörtern, was mich veranlaßt — sinngemäß zitiert —, in diesem Zusammenhang den Dichter selbst zu Wort kommen zu lassen. Roth war der Ansicht, es habe sich erwiesen, daß die Mehrheit der Bevölkerung nicht rational denke, sondern ständig irrational gefaselten, Idolatrien (so wörtlich), also Massenpsychosen, zum Opfer falle. In diesem Zusammenhang verwies mich Roth damals auf das Werk Gustave Lebons, „La Psychologie des Masses“. Dies mache, so Roth weiter, einen Katalysator erforderlich, eine irgendwie dem Tabuisierungsbe-dürfnis der Menschen entsprechende

Persönlichkeit, welche bewirken könne, daß diese Irrationalismen nicht in Unmenschlichkeit ausarten. Und hier setzte der Legitimismus Roths ein.

Anders formuliert: aus der damaligen historischen Sicht war es für Roth unter den vorerwähnten Aspekten nur natürlich, in einem Sproß des Hauses Habsburg, im Hinblick auf die positiven Erfahrungen, welche die Juden der k. u. k. Monarchie insbesondere mit den Kaisern Franz Joseph und Karl gemacht hatten, den am ehesten geeigneten Träger einer Gegenposition gegen die Nazibarbarei zu erblicken. Unter umgekehrtem Blickwinkel war übrigens die Gestapo Hitlers der gleichen Ansicht, wie ich während meiner Haft und bei meinen Verhören feststellen konnte.

Anderseits ist in dem Werk Bronsens das Verhältnis der Juden zum Monarchen recht anschaulich und positiv geschildert.

Der Schreiber dieser Zeilen hatte das Vergnügen, als junger Student in Paris während der letzten Lebensmonate des großen Dichters diesen fast täglich im Caii Tournon zu sehen, mit ihm und seinen zahlreichen, teilweise ungemein pittoresken Freunden manchmal sehr hefrig zu diskutieren und besonders mit Roth viel zu lachen. Desgleichen wurde ihm die Ehre zuteil, an seinem Begräbnis teilnehmen zu dürfen.

Professor Bronsen erweist mir seinerseits die Ehre, eine Bemerkung wörtlich zu zitieren, die ich bei diesem Anlaß Madame Gidon gegenüber, der Übersetzerin Roths, der ich die Bekanntschaft mit dem. Dichter verdankte, gemacht habe. Sie lautet: „Wie schade, daß er dem (Begräbnis) hier nicht selber beiwohnen konnte. Genau so würde er es sich erträumt haben. Es fehlt nur noch der Radetzkymarsch.“

Roth hätte, wenn er seine Biographie hätte lesen können, sich über einige Stellen vielleicht so geärgert, daß er nach einem neuen Calvados gerufen hätte; nachher hätte er sich aber darüber wahrscheinlich sehr gefreut. Das Buch sei jedem Verehrer dieses großen Dichters hiemit wärmstens empfohlen.

JOSEPH ROTH. Eine Biographie. Von David Bronsen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.

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