Gabriel García Márquez: Außergewöhnliches im Alltäglichen
Vor zehn Jahren, am 17. April 2014, starb der Schriftsteller Gabriel García Márquez. Sein bisher unveröffentlichter Roman „Wir sehen uns im August“ zeigt einmal mehr die bildgewaltige und atmosphärisch dichte Erzählkunst des Literaturnobelpreisträgers.
Vor zehn Jahren, am 17. April 2014, starb der Schriftsteller Gabriel García Márquez. Sein bisher unveröffentlichter Roman „Wir sehen uns im August“ zeigt einmal mehr die bildgewaltige und atmosphärisch dichte Erzählkunst des Literaturnobelpreisträgers.
Der General hat sich selbst überlebt. In seinem heruntergekommenen, von weidenden Kühen verwüsteten Palast haust er, ein unberechenbarer Machthaber und Tyrann, als einer der zahlreichen Gewaltherrscher nicht nur im Lateinamerika des vorigen Jahrhunderts. Niemand weiß mehr, wie alt er inzwischen geworden ist, jedermann fürchtet, ihm und seinen Häschern unversehens und ohne Anklage in die Hände zu fallen.
In seinem Diktatorenroman „Der Herbst des Patriarchen“ hat der Weltliterat Gabriel García Márquez vor einem halben Jahrhundert aus realistischen und surrealen Elementen die mythologische Figur des von Paranoia getriebenen Alleinherrschers geschaffen, ein vielgestaltig schillernder Mythos des Machtwahns. So memoriert der Tyrann nach einem Attentat, dem sein Doppelgänger zum Opfer fiel, ohne Unterlass seinen aus Panik und Größenwahn geschöpften Überlebenstriumph: „... denn ich allein bin mir genug und übergenug, um weiterhin zu befehlen, […] denn so wie ich bin gedenke ich nie mehr zu sterben, zum Teufel, sollen die anderen sterben, sagte er, pausenlos redend, als rezitiere er aus dem Gedächtnis, denn er wusste seit dem Krieg, dass wenn er laut nachdachte, er die Angst verscheuchte.“
Literat von Weltrang
Im bildmächtigsten Beispiel des Romans triumphiert der Tyrann als Überlebender, indem er seine geheimen Widersacher im Generalstab zum mitternächtlichen Mahl lädt. Als sie alle bis auf einen an der Tafel versammelt sind, tragen die Diener auf einem großen Silbertablett den Rädelsführer des geplanten Aufstands herein, gebraten wie ein Spanferkel mit einem Büschel Petersilie im Mund. So zwingt der Diktator die versammelte Generalität, unter der er genügend Abtrünnige vermutet, in einer Geste von gargantueskem Ausmaß zu einem grauenhaften Festmahl.
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