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Musica viva

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Wer behauptet, daß in Wien wenig neue Musik gespielt wird, könnte durch die Konzerte der letzten Woche leicht widerlegt werden. — Das Studium der Jahresspielpläne verschiedener europäischer Konzertinstitute führt zu dem Ergebnis, daß ln Wiener Konzertsälen und Im österreichischen Rundfunk mehr Zeitgenössisches geboten wird, als Irgendwo anders. Der Besuch dieser Veranstaltungen läßt zuweilen sehr zu wünschen übrig. Eines der nachfolgend besprochenen Konzerte war, obwohl Im Großen Musikvereinssaal, mangelhaft frequentiert, ein anderes, obwohl im abgelegenen Rundfunksaal, überfüllt. Vermutlich dank der attraktiven Solisten. r

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Wer behauptet, daß in Wien wenig neue Musik gespielt wird, könnte durch die Konzerte der letzten Woche leicht widerlegt werden. — Das Studium der Jahresspielpläne verschiedener europäischer Konzertinstitute führt zu dem Ergebnis, daß ln Wiener Konzertsälen und Im österreichischen Rundfunk mehr Zeitgenössisches geboten wird, als Irgendwo anders. Der Besuch dieser Veranstaltungen läßt zuweilen sehr zu wünschen übrig. Eines der nachfolgend besprochenen Konzerte war, obwohl Im Großen Musikvereinssaal, mangelhaft frequentiert, ein anderes, obwohl im abgelegenen Rundfunksaal, überfüllt. Vermutlich dank der attraktiven Solisten. r

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Im Großen Musikvereinssaa! veranstaltete die Musikalische Jugend gemeinsam mit dem ORF ein Konzert, das den Titel „Horizonte der Musik“ zu Recht trug. Das interessante Programm wurde in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik erstellt .und begann mit der VIII. Suite von Josef Matthias Hauer (1883 bis 1959). Die im Jahre 1927, also in Hauers mittlerer Periode entstandene Komposition, ist Hermann Scherchen ge- widjmet und läßt bereits den kontemplativen Stil der späteren Zwölf- tanspiele ahnen. Die Titel der drei Sätze (Rhythmico e marcato alla Jazz — Largo espressivo — Ländler) sind irreführend. In Wirklichkeit sind sie sowohl ihrem Charakter wie dem Rhythmus nach wenig voneinander verschieden. Das bald ruhige, bald etwas lebhaftere Strömen im V4— oder '/s-Takt wirkt ebenso als „Cantinuum“ wie die kompositorische Machart nach den von Hauer selbst aufgestellten Regeln seiner Zwölftonmusik. Innerhalb der einzelnen Teile gibt es keine Tempoveränderung und kaum dramatische Höhepunkte. Trotzdem fesselt diese Musik von der ersten bis ziur letzten Note.

Pendereckis „Fluorescences" sind bereits 1961/62 entstanden, wurden aber in Wien noch nicht gespielt. Das 16 Minuten dauernde Stück ist angefüllt mit den meriewürdigsten Klangeffekten, die nicht nur von den sechs Schlaigwerkem hervorgebracht werden, sondern auch von Handsäge und Feile, Schreibmaschine und Sirene. Die Bläser betätigen zuweilen ihre Klappen ohne in das Instrument hineinzublasen, die Streicher klopf en mit den Bogen nicht nur auf die Saiten und das Holz ihrer Instrumente, sondern auch auf die Notenständer — und spielen zuweilen mit dem Bogen in der Luft, also mehr zum Spektakel. Das jugendliche Publikum quittierte diese Musdk, die man sich gut zu einem Horrorfilm vorstedlen kann, /mit Gelächter. Die Ausführenden — das ORF-Sinfonieorchester unter Milan Horvat — schienen sich in der Aktionsschrift, in der Pendereckis interessante Partitur notiert ist, gut auszukennen. (Das letzte Stück des Programms, eine Gesangsszene für Bariton und Orchester zu Worten aus Giraudoux’ „Sodom und Gomarrha" von K. A. Hartnann, konnte der Referent nicht mehr hören.)

Im Großen Sendesaal des Rundfunks spielten am vergangenen Sonntag vormittag die Wiener Symphoniker

(was auf dem Programm nicht vermerkt war) unter Carl Melles. Mit der Wiedergabe des 3. Brandenbur- gischen Konzerts van J. S. Bach konnte mian zufrieden sein: zügig und markant der erste Satz, tänzerisch bewegt der dritte. Aber der dazwischenstehende Adagio-Teil wurde ohne die zu Bachs Zeiten aus- geführte Kadenz gespielt und bestand nur aus den bekannten zwei Überleitungsakkorden. Das geht heute wirklich nicht mehr!

Hierauf folgten die fünfteiligen „Ariosi“ von Hans Werner Henze. von denen drei vom Sopran (auf Texte Torquato Tassos) gemeinsam mit der Solovioldne, zwei (mit dem Titel „Klage“ und „Laune“) von der konzertierenden Violine mit Begleitung des Orchesters ausgeführt werden. „Das Thema meines Werkes ist die Geschichte einer imaginären Liebe, oder genauer, Reflexionen über das Ende einer Liebe“, sagt der Autor. Diese Stimmung vermochte er farbig und suggestiv zu illustrieren, aber obwohl das Stück nur knappe 20 Minuten dauert und trotz der hervorragenden Wiedergabe durch Irmgard Seefried und Wolfgang Schneiderhan, für die es 1963 geschrieben wurde (was gleichfalls nicht im Programm vermerkt war), stellten sich Längen ein. Das komm' weniger von der „monotonen“ Stimmung, als vom amorphen Charakter dieser Partitur.

Ganz in ihrem Element waren Melles und die Symphoniker bei der Wiedergabe des letzten Stückes, Zöltan Kodalys C-Dur-Symphonie aus dem Jahre 1961. Unseres Wissens handelt es sich hier um die einzige Symphonie, die der Altmeister der ungarischen Musik geschrieben hat. Auch muß man bed ihrer Beurteilung das Alter des Komponisten in Rechnung stellen: Für einen Fünfundsdebzigjährigen, der auch in früheren Jahren nicht miit der Mode gegangen ist, bedeutet sie eine bedeutende, hochrespektable Leistung. Das knapp halbstündige Werk ist dreiteilig. Gelungener als das erste Allegro sind das fioriturenreiche Andante und der ebenfalls folkloristisch inspirierte Schlußsatz „Vivo“. — Kodäly versteht es, sehr interessant zu harmonisieren, wobei er die Schule Debussys nie verleugnet. Melles scheint viel freier zu dirigieren als in früheren Jahren, was der Schönheit des Orchesterklanges und der saMsti- schen Entfaltung der einzelnen Instrumente sehr zugute kommt.

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