6742145-1966_45_15.jpg
Digital In Arbeit

Propaganda und Dichtung

Werbung
Werbung
Werbung

Erstmals spielt das Burgtheater in Stück von Bertolt Brecht. Man wählte das Schauspiel „Leben des Galilei“, in dem am Beispiel dieses großen Physikers eine vorgestrige Portschrittsideologie propagiert wird. Ein veraltet wirkendes Stück.

Brechts Trick: Auch noch der primitivste Zuschauer fühlt sich hier denen überlegen, die sich Galileis Eintreten für die Kopernikanische Lehre widersetzen, denn er weiß ja, daß die Erde sich um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt. Darauf spekuliert Brecht um der politischen Nutzanwendung auf das Heute willen, er reizt den Zuschauer hierzu an. Es geht ihm um ein neues Zeitalter, man weiß welches. Die heute als zeitnah erscheinende Warnung des „Verräters“ Galilei, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht falsch zu gebrauchen, zielt doch nur auf ein sehr einseitig gesehenes „Wohl der Menschheit“.

Der Angriff gegen die Kirche trifft ins Leere, denn längst haben kirchliche Stellen das damalige Ur teil gegen Galilei als Irrtum erklärt. Antiquiert wirkt die Verherrlichung der Vernunft, die bei dem Rationalisten Brecht zu einer Verherrlichung der Ratio, der Wissenschaft als Inbegriff des Heils wird, wovon heute selbst die Wissenschaftler abrücken. Brecht verliert alle Vorzüge seiner Dramatik, wenn der pseudopolitische Volksaufklärer Brecht ihn übermannt. Vollends antiquiert wirkt die schwerfällige Bilderbogentechnik.

Die Aufführung wird unter der Regie von Kurt Meisel entbrechtet. Man tut so, als habe man den Sozialrevolutionären Sprengstoff, der in dem Stück steckt, gar nicht bemerkt, als sei dies irgendein harmloses Pulver. Tatsächlich ist er ja längst nicht mehr brisant. Dadurch wird die Wiedergabe zu einer groß- angelegten Geschichtsshow. Saß- mann hätte seine Freude daran. Curd Jürgens bietet als Galilei eine großartige Leistung, er spielt ihn als einen Kraftkerl, eine Frohnatur, lebhaft, bewegt, manchmal als ein großes Kind. Wäre das Stück darnach, würde er in der Vergreisung ergreifen. Dieser Riesenrolle stehen 45 Kurzrollen gegenüber. Fred Lie- wehr als glatt-liebenswürdiger Kardinalinquisitor, Heinz Moog als ruhig-überlegener Papst, Annemarie Düringer als Galileis klug-naiv

Tochter, Eva Zilcher als seine stets besorgte Haushälterin heben sich heraus. Metall kennzeichnet in den Bühnenbildern von Lois Egg den Anbruch des naturwissenschaftlichen Zeitalters. In die Stützen einer Himmelshalbkugel aus Metallstäben werden wechselnd Metallplatten verschiedener Farbe eingehängt. Die Kardinale kleidete Erni Kniepert in helles Braun. In der Musik von Hanns Eisler werden kirchlich wirkende Tonfolgen zu Songs.

In vollem Gegensatz zu Brecht ist der 41jährige englische Dramatiker James Saunders, ein ehemaliger Chemielehrer, der Meinung, daß noch kein Kunstwerk je jemanden in irgendeiner Weise belehrt hat. Sein Schauspiel „Ein Duft von Blumen“, das derzeit im Volkstheater aufgeführt wird, vermittelt keine politische Besserwisserei. Das hier gerade nur anvisierte, aber nicht vorgeführte Liebesgeschehen wirkt heutig, wird aber nicht, was das Theater seit geraumer Zeit genugsam darbietet, zum Abbild verrotteter Lebensverhältnisse.

Im ersten Akt bringen Leichenbestatter einen Sarg, im zweiten steht er vor dem Altar, im dritten trägt man ihn in die Gruft, die Tote, die fast noch kindhafte Zoe, ist bei alledem dabei. Noch lebt sie im Gedanken der Zurückgebliebenen bis sie, dem Sarg folgend, entschwindet und nur ein Duft von Blumen zurückbleibt. Šie und die anderen Gestalten erzählen uns, was sich begeben hatte. Zoe war Studentin, liebte einen verheirateten Dozenten, ergab sich keineswegs einer wie selbstverständlich betriebenen Liber- tinage, sondern geriet in Gewissensnot, fand nirgends seelische Hilfe, ihr religiöser Glaube erwies sich nicht als stark genug, der Verzweiflung zu widerstehen, so tötete sie sich.

Wir geraten in ein Zwischenreich zwischen Tod und Leben. Was ist real? Was irreal? Was Gegenwart? Was Erinnerung? Alles greift so sehr ineinander, daß wir uns darüber gar nicht Rechenschaft geben. Eine Seelenlandschaft ersteht, in die Zoe eingebettet ist, denn es sind, so mag es scheinen, nur Seelen, die auf der Bühne agieren, die Seele des Stiefbruders, die Seele des elown- haften, lüsternen Onkels, der kontaktunfähigen Mutter, des lethargischen Vaters. Wir glauben nicht mehr recht an die Realität des Realen. Und diese Gestalten spreche mehr zu uns als zueinander, manchmal blühen die Worte auf, und Zoes Seele beginnt zu leuchten, Rationales auszusagen wird nicht gescheut, unvermittelt gibt es Clownerien oder einer erzählt zusammenhanglos eine Anekdote. AU das wogt ineinander, wird fast zu einem Sinnbild unserer rätselvollen Existenz. Es ist Dichtung.

Die Aufführung unter der behutsamen Regie von Leon Epp erreicht vor allem durch Erika Mottl als fast zerbrechlich-zarte Zoe nachhaltigem Eindruck. Wolfgang Hübsch glaubt man als Stiefbruder den jungen, rational orientierten Menschen. Hans Rüdgers bietet das Faunische des Onkels. Die vorwiegend floraldekorativen Bühnenbilder von Wolfgang Hutter verharren in einem sozusagen greifbaren phantastischen Realismus, während die Musik von Bill Grah das Ungreifbare, Wehende des Stücks spürbarer macht. Die Übertragung von Hilde Spiel vermittelt gut den poetischen Gehalt des Werks.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung