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Von der Freikeit des Geistes

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Ec gabt rwei Pflichten für den Schriftsteller: die Wahrheit zu 6agen, wie er sie sieht, und keine Vorrechte vom Staat anzunehmen. Das Zuvorkommen des Staates, sein Interesse an der Kunst, ist weit gefährlicher als seine Gleichgültigkeit! Im Kriege haben wir es erlebt, wie uns 6tets irgendein wohlmeinender Patron die Meinung aufdrängen wollte, die Künstler sollten eine privilegierte Klasse bilden. Aber wie würde man, nach sechsjähriger Bedrohung von Leib und Leben, den Künstler ansehen, der privilegiert, geschützt, feist geworden wäre auf Kosten der Öffentlichkeit, der zu gut war, wie jedermann zu sterben? Und was würde man von i'hm erwarten bei seiner Rückkehr in6 öffentliche Leben?

In Rußland hat der Künstler eine privilegierte Klasse gebildet; er bekam bessere Wohnung, mehr Geld, mehr Essen, 6ogar eine gewisse Bewegungsfreiheit, aber bei seiner Rüdekehr verlangte der Staat, daß er aufhöre, Künstler zu 6ein.

Diese Gefahr gibt es nicht nur in totalitären Staaten. Auch der bürgerliche Staat hat seine Lockmittel für den Künstler oder für jene, die er als solche ansieht — und in diesen Fällen hat der Künstler (wie der Politiker) im voraus bezahlt. Man denkt an die literarischen Knechte, und dann wendet m‘an sich zu den schlichten Grabsteinen mit ihrem nackten „hie jacet" von Hardy, James und - Keats. Je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir die Pflicht des Künstlers gegenüber der Gesellschaft, keine Vorteile anzunehmen, vielleicht eine Rente, wenn seine Familie zu verhungern droht. Die Sittenlehrer gestehen ja in solchen Fällen das Recht des Diebstahls zu.

Vielleicht der größte Drude auf den Schriftsteller wird von der Gesellschaft in der Gesellschaft ausgeübt, etwa von einer politischen oder religiösen Gruppe, es können auch eine Hochschule oder Arbeitgeber sein. Es will mir also scheinen, als ob da6 einzige Vorrecht, das er annehmen darf, vielleicht in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen, aber möglicherweise mit größerer Bestimmheit, Widerspenstigkeit (disloyalty) ist. Ich kenne einen Bauern, der zwei Irre beschäftigt; er 6agt, sie seien ausgezeichnete Arbeiter und sehr fügsam! Sie sind wie We6en aus der Retorte. Widerspenstig zu sein, ist aber unser Vorrecht. Nie aber wird man die Gesellschaft dazu bringen, dies Vorrecht anzuerkennen; um 60 notwendiger, daß wir, die ungestraft widerspenstig sein können, die6 Ideal lebendig halten

Wenn ich von mir reden darf, so gehöre ich au einer bestimmten Gruppe der katholischen Kirche, die mich als Schriftsteller mit ernsten Problemen belasten würde, wenn ich nicht widerspenstig wäre. Wenn medn Gewissen 60 streng wäre, wie das von Mauriac in seinem Aufsatz „Gott und der Reichtum“, 6o könnte ich keine Zeile schreiben. Es gibt auch Kirchenführer, welche die Literatur als Mittel zur Erbauung betrachten. Dieser Zweck mag von höchstem Wert 6ein, weit höher als der der Literatur 6elb6t — aber er gehört einer. anderen Sphäre an. Literatur hat nichts mit Erbauung zu tun. Ich meine nicht, daß die Literatur amoralisch sein solle, aber sie spiegelt eine persönliche Ansicht, und die persönliche Ansicht eines Individuums ist selten identisch mit der Moralität der Gruppe, welcher er angehört. Erinnern Sie 6ich der schwarzen und weißen Felder auf Bischof Blougrams Schachbrett? Als Schriftsteller muß mir erlaubt 6ein, sowohl vom Gesichtspunkt der schwarzen wie von dem der weißen Felder zu schreiben. Dem Zweifel und auch der Leugnung muß eine

Gelegenheit zum Ausdruck gegeben werden. Wie sollte man sonst freier als die

Leningrad-Gruppe sein? Katholische Schriftsteller (ich sagte lieber: Schriftsteller, die kątholisdi sind) sollten Newiman als Vorbild nehmen. Niemand verstand ihr Problem besser oder verteidigte sie geschickter gegen die Attacken der Frömmelei.

Propaganda ist nur dazu da, um Sympathien bed den Harmlosen oder jenen zu erwecken, dde der Propagandist für harmlos hält, und das tut er auf Kosten der Wissenschaft; denn er vergiftet die Quellen. Der Schriftsteller hat Gleichheit mit jedem menschlichen Wesen zu bewahren. Ist nicht unsere Haltung gegenüber all unseren Gestalten mehr oder weniger ein „Das bin ich selbst, Gott vergebe mir"?

Wenn wir in unseren Lesern Sympathien erwecken, nicht nur für die bösen Charaktere (da6 ist leicht; es gibt nur eine Schnur von ihnen zu allen Herzen, an der wir beliebig zerren können), sondern auch für die edlen, artigen, glücklichen, dann können wir die Arbeit des Staates mit Erfolg schwieriger machen — und es ist eine elementare Pflicht der Gesellschaft gegenüber, ein bißchen Sand in der Staatsmaschinerie zu sein. Wie annehmbar auch der Sowjetstaat die großen Klassiker finden mag, die

Dostojewski, Tolstoj, Tschechow, Turgenjew, Gogol — sie haben sicherlich die

Reglementierung des russischen Geistes um ein Winziges schwieriger und unvollständiger gemacht. Uber die Karama6off6 kann man nicht in den Ausdrücken des Klassenkampfes sprechen, und wenn man haßerfüllt von Kulaken spricht, kommt dann nicht die humoristische Erinnerung an die Helden der Toten Seelen und tötet den Haß? Früher oder später muß die laute Weise von der sozialen Verantwortlichkeit, vom Marxismus, vom größten Nutzen der größten Zahl in den Ohren sterben, und dann kommen vielleicht gewisse Erinnerungen zurück von langen zwecklosen Diskussionen im Mondschein über Leben und Kunst, vom Anstoß eines Billardballs, vom Schlag der Axt an den Kirechbaum, der gefällt wird.

Es tut mir leid, ich komme immer wieder auf die Frage von Gehorsam und Widerspenstigkeit zurück; aber ist des Autors Widerspenstigkeit nicht so gut eine Tugend wie der Gehorsam die des Soldaten? Wer schreibt, ist der Verteidiger des Einzelnen, wie die christliche Kirche. Der Soldat, der gehorsame Mann, bedeutet Massenbeerdigung, das anonyme Grab. Der Schriftsteller ist für den unökonomischen, vielleicht ungesunden, gedrängten kleinen Friedhof mit den Steinkreuzen, die unzählige Namen bewahren.

in uns ertönt und uns hilft, im Träumen uns selbst zu vergessen... Vor allem aber blieben ihm die Kameraden und die Araber.

Der Beruf wird zur Quelle des Lebens, zur letzten Pflicht, zum absoluten Verzicht: er zwingt uns zu großen Aufgaben, die bescheiden auf sich genommen werden und doch voll Größe sind. Und wo lockt der Beruf mehr als in der Wüste? Dort, wo man weiß, daß man oft nur auf sich allein zählen kann: in der Wüste, in der tausend unvorhergesehene Gefahren lauern, in der alles zu überwachen ist und nicht übersehen werden darf. Die Kameraden, das sind alle jene, mit denen dich der Beruf verbindet, das sind die Leute von der Flugpost, deren Leben und Freiheit ständig in Gefahr ist, das sind jene Opfer einer Panne, die mitten in der Wüste landen, denen du helfen, die du den Arabern oder dem lähmenden Durst entreißen mußt. Die Freude macht dich trunken, wenn sie, die in Gefahr waren, gerettet sind. Dann fühlst du die Größe des Berufs und begreifst, daß es nicht nur ein Vergnügen für dich selbst ist. Du liebst, was du tust, und der Beruf zwingt dich zur absoluten Selbst beherrschung, damit du die feindlichen Elemente besiegen kannst.

Hat Saint-Exupery in der Wüste, inmitten von allen erdenklichen Gefahren nicht auch über den Tod nachgedacht? Er lebte in seiner Nachbarschaft, er wußte, was ein Menschenleben bedeutete. Er mußte sich fragen, was ihn vor dem endgültigen Vergessen retten könne, und begreifen, was den Wert des Lebens ausmacht: nicht die materiellen und vergänglichen Güter sind es, sondern im Gegenteil all das, was dem Menschen zur Ehre gereicht, das heißt Hingabe und Opfer, Bereitschaft zum „Tausch", wie er es nannte. Denn der Tod ist nicht dort, wo man glaubt. Jene sind tot, die nur an die erworbenen Güter, an das gute und leichte Leben glauben. Die Lebenden sind jene, die wissen, daß das Werk niemals vollendet, daß alles unausgesetzt in Frage gestellt ist und daß die Würde des Menschen kein Ausruhen duldet.

Als der junge Flieger wieder zu den Menschen zurückkehrte, war er Saint- Exupery geworden, der Schriftsteller und Mensch Saint-Exupery, den wir lieben und bewundern.

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