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Das wahre Bild der Liselotte von der Pfalz

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Madame Liselotte von der Pfalz. Von Mathilde Knoop. Verlag K. E. Koehler, Stuttgart. 304 Seiten mit 12 Kunstdrucken und 5 Stammtafeln

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Madame Liselotte von der Pfalz. Von Mathilde Knoop. Verlag K. E. Koehler, Stuttgart. 304 Seiten mit 12 Kunstdrucken und 5 Stammtafeln

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Versehen mit dem Titel „Madame", der am französischen Hof eingeführten Bezeichnung für die Gattin des ältesten Bruders des Königs (Monsieur, frère du Roi), erschien nach langer Zeit, frei von der Voreingenommenheit der kleindeutschen Schule und der Verständnislosigkeit einiger französischer Autoren, eine diesmal allen Anforderungen entsprechende Biographie Liselottes von der Pfalz. Von ihren Zeitgenossen, sobald sie ihnen nicht im Wege stand, und der Nachwelt verehrt, wurde sie durch den Umstand, daß sie am Hof des gerade in Deutschland bestgehaßten Ludwig XIV. sich niemals etwas vergeben hat, die populärste deutsche Prinzessin ihrer Zeit.

Elisabeth-Charlotte, die 1652 geborene Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig, ist uns durch die in antiquiert anmutendem Deutsch verfaßten Briefe bekannt, die weit urwüchsiger wirken als die in französischer Sprache mit ihren einigermaßen gewählteren Ausdrücken verfaßten. Nachdem in Deutschland zu allermeist die in ihrer Muttersprache geschriebenen Briefe bekannt wurden, war „Madame" bisher zu einer mehr oder weniger erheiternden Figur ge- worden, als welche sie keineswegs aus ihren französischen Schreiben hervorgeht. An Hand dieser aufschlußreichen Selbstbekenntnisse kann man eingehend den aufreibenden Alltag am glanzvollsten, jedoch unsittlichen Hof Europas verfolgen, anderseits aber auch den rüden Ton begreifen, in dem sie sich zur Wehr setzte, damit allerdings bei den zarter besaiteten Franzosen Anstoß erregen mußte. Ihr um zwölf Jahre älterer, zum zweiten Male verheirateter Gatte Philippe war Liselotte eigentlich von Herzen zugetan, bis der „blendend schöne" Chevalier de Lorraine, dem er „mit Leib und Seele“ verfiel, die Ehe zerstörte. Von unansehnlicher Gestalt, geziert in all seinem Gehaben, zeigte Philippe mehr „weibliche als Mannsmanieren. Ueberaus eitel schätzte er alles, was die Damen lieben, Juwelen, Bänder, Spitzen". Immerhin zeigte er sich Liselotte gegenüber sehr rücksichtsvoll, so daß sie sich mit seinen Eigenheiten bald abfand. Nach Philippes Tod gedachte „Madame“ wiederholt ihres Gatten. „In der Tat war Monsieur selig ein guter Herr; hätten Ihro Liebden ein wenig mehr Stärke gehabt, den Favoriten nicht so sehr zu hören, wäre es der beste Herr von der Welt gewesen. Ich hatte ihn lieb, ob er mich viel hat leiden lassen, aber in den letzten drei Jähren war alles geändert. Man durfte nichts gegen mich mehr sagen, denn er hatte declariert, daß ers nicht mehr leiden wolle Ich war recht im train glücklich zu seyn, wie mir unser Herrgott den armen Mann genommen hat. Ich habe 30 Jahre gearbeitet, um den Herrn zu gewinnen; da ich meinen Zweck erlangt, starb er." Ganz anders geartet zeigte sich Ludwig XIV.: „Seine liebenswürdige und vollendet ritterliche Art echter Majestät übte auch auf seine Schwägerin den stets gerühmten Zauber. Selbst kritische Zeitgenossen erkannten an, wie höflich der König sich gegen jedermann gab und wie zartsinnig er darauf bedacht war, im persönlichen Umgang möglichst niemanden zu kränken. In einer Atmosphäre der Lieblosigkeit und Intrigen aufgewachsen, war er im Grunde empfänglich für argloses Vertrauen und andere Gefühle aufrichtiger Zuneigung“,

wie ihm solche auch seine Schwägerin entgegenbrachte, da sie den König „gantz in die ewigkeit undt in der gerechtigkeit" liebgewonnen. Nach seinem Tod versicherte Madame: „ wann der König mein leiblicher Vater gewesen wäre, hätte ich ihn nicht lieber haben können als ich ihn gehabt, und war gerne bei ihm“. Es wäre billig, meint Mathilde Knoop, wollte man das mit einer unglücklichen Liebe zu Ludwig XIV. und einer kleinlichen Eifersucht erklären, welche sie tatsächlich gegen die morganatische Gattin des Königs, Marquise von Mam- tenon, empfunden hat. „Und doch waren starke Gefühlsgründe dabei im Spiel.“ Ueber die „Allmächtige", die mildeste Bezeichnung für die Marquise in „Madames“ Vokabular, ließ sie sich derart heftig aus, daß der König ihr durch den Beichtvater sagen ließ, nur die nahe Verwandtschaft hätte ihn zurückgehalten, sie vom Hof zu verbannen.

Ueberaus schmerzlich empfand es Liselotte, daß ihr in der Erziehung ihrer Kinder nicht freie Hand gelassen wurde, ja daß man ihre Gespräche mit ihnen belauschte und weitergab. Erst die Ernennung des Abbé Dubois, der es bis zum Ersten Minister und Kardinal gebracht hatte, beruhigte die fürsorgliche Mutter, da sie hoffte, es werde dem neuen Erzieher gelingen, ihren Sohn „von den Lastern seiner Zeit“ zu bewahren. Doch nichts verletzte sie mehr in ihrem Stolz, als die ihrem Sohn aufgezwungene Heirat mit der illegitimen, daher nach deutschen Begriffen nicht ebenbürtigen Tochter des Königs und der Marquise -von Montespan, und der Plan, Mademoiselle de. Blois, deren Bruder, den Herzog von Maine, mit der Tochter Liselottes zu vermählen. Kann man nach solchen Eingriffen in die Mutterrechte, nach allem, was sich seit Jahren zugetragen, über die schonungslosen Urteile „Madames" erstaunt sein? „Unrecht wäre es, wollte man es ihr als franzosenfeindliche Haltung auslegen, wenn sie nun verallgemeinernd die Franzosen intrigant und falsch nannte und dabei unterstellte, daß in Deutschland doch alles viel besser sei." Die zahllosen Mißhelligkeiten, denen „Madame“ immer ausgesetzt war, haben das meiste dazu beigetragen, daß sie sich mit ihrer Heimat, in der sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, stets auf das Innigste verbunden fühlte. „Ich habe nie französische Manieren gehabt, noch annehmen können, denn ich habe es jederzeit für \eine Ehre gehalten eine Teutsche zu seyn, und die deutschen Maximen zu behalten, welche hier selten gefallen."

„Wir verlieren eine gütige Fürstin; eine solche ist etwas Seltenes“, trug Mathieu Marais, ein angesehener Literat, in seine Memoiren ein. Eine gottergebene, kluge und pflichtgetreue Frau und Mutter, kann man hinzufügen, die während der einundfünfzig in Frankreich verbrachten Jahre durch würdevolle Haltung und Charakterfestigkeit sich ihrer Neider und Gegner zu erwehren verstanden hat. In der gerade durch ihre Sachlichkeit überzeugenden und von romanhaften Schilderungen freien Beschreibung des so arg verrufenen Hofes, hat Mathilde Knoop das bisher entworfene Charakterbild „Liselottes" von den üblichen Verzeichnungen endgültig befreit.

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