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Wo die Gemütlichkeit aufhort

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Wir haben die nachfolgenden Ausführungen, die wir für notwendig erachten und zu denen sich die „Furche“ verpflichtet fühlt, absichtlich vom Zeitpunkt der heftigen Auseinandersetzungen um die Wiener Oper und die Person ihres Leiters abgerückt, um nicht den Anschein zu erwecken, als solle durch die Kritik der Kritik, die an Dr. Böhm geübt wurde, dieser in Schutz genommen werden. Was wir gegen dessen Di-rektionsführung einzuwenden hatten, wurde an dieser Stelle, und zwar noch vor Ausbruch der Krise, ausführlich dargelegt („Das Unbehagen an der Oper“, Folge 9 der „Furche“ vom 25. Februar). Es ging uns weder darum, Dr. Böhm zu stützen noch zu stürzen. Es muß aber festgehalten werden, daß die ersten Worte, welche Dr. Böhm bei der Pressekonferenz sagte, in welcher zum erstenmal seine Demissionsabsicht bekanntgegeben wurde, den unfairen, während seiner Abwesenheit gegen ihn gerichteten Presse-ansriffen galten. Es gebe da, sagte der Angegriffene, einen Punkt, „wo die Gemütlichkeit aufhört“. — Auch für uns, die wir die Kritik an Dr. Böhm insofern für berechtigt halten, als er sich für seinen ,,Lirlaub“ den denkbar ungeeignetsten Zeitpunkt ausgesucht hat.

Wir meinen aber, daß es unpassend ist, über einen immerhin noch im Amt befindlichen Direktor der Wiener Staatsoper unter dem Titel „Der Böhm in Amerika“ zu berichten. (Diesen „Witz“ hat eine Zeitung der andern vorgeäfft.) Oder wenn man, süffisant und salopp — so, als hätte man den Wiener Staatsoperndirektor bereits in eigener Regie abgesetzt —, eine Nachricht unter dem Titel bringt: „Es kommt eh schon nicht mehr drauf an ...“ Solche Taktlosigkeiten und Ungezogenheiten werden den nicht überraschen, der ein anderes Mal in dem gleichen Mittagsblatt Ueberschriften findet wie „Sie hatte nur die Haare an“ oder „Das Urviech in einer Bombenrolle“.

Dieser Ton, der sich seit einiger Zeit in' mehreren Blättern bemerkbar macht, ist nicht geeignet, das Ansehen der Wiener Presse' zu heben. Besonders bedauerlich finden wir, daß er auch auf das im allgemeinen ruhigere und sachlichere Kunstreferat übergreift. Was soll man dazu sagen, wenn eine zwar nicht gerade schlanke, aber als Sängerin weltberühmte Künstlerin nach einer Aufführung in der Wiener Staatsoper kurzweg (angeblich nach einer Publikumsstimme) als „Kredenz auf Radeln“ bezeichnet wird, oder wenn über das Spiel einer Darstellerin der Carmen in der Volksoper zu lesen ist, daß sie „alles in den Schatten stellt, das sonst busenwabbernd und hüftenrollend Spaniens Männer zu betören pflegt“? Sind Kritiker keine Gentlemen mehr? Und was fr.ffen die Künstler, was sagt das kultivierte Wiener Publikum zu solchen Entgleisungen? Wie stehen wir vor der Oeffentlichkeit da mit einer „Kunstkritik“, die weder mit Kunst hoch mit Kritik etwas zu tun hat, sondern eine unsympathische Mischung darstellt aus Kolportage und Spionage, gespickt mit Anspielungen und Anrempelungen.

Kein Wunder, daß dann auch den Angegriffenen einmal ein unbedachtes Wort entfährt. So hat zum Beispiel Dr. Böhm in einer Stellungnahme zu den Demonstrationen vor dem „Fide-lio“ erklärt, diese seien eine „gelenkte Aktion“ gewesen und in der Oper gewinne der „Pöbel der Straße“ die Oberhand. Nicht ganz so, Herr Direktor! Oder zumindest nur teils-teils! Gelenkt waren diese Aktionen, aber der „Pöbel“ pflegt sich nicht in der Staatsoper zu versammeln, auch nicht auf der Galerie und im Steh-parterte. Dort stehen junge Leute, leicht zu begeistern, leicht zu reizen und aufzustacheln. Einige von ihnen haben zu Hause die Klavier-aufzüge studiert und wissen ziemlich genau, ob alles so gesungen wird, wie es sein soll; nur einige wenige haben in ihrem jungen Leben anderswo eine Opernaufführung gesehen, um vergleichen zu können; und kaum einer ist in der Lage,,die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Repertoirevorstellung beurteilen zu können. Wir haben es erlebt, wie etwa ein halbes Dutzend junger Mädchen aus dem Stehparterre beim Erscheinen eines besonders gut aussehenden Künstlers (der an diesem Abend nicht gerade begeisternd gesungen hat), in schrille Begeisterungsschreie ausbrach — und wir haben dazu gelächelt. Und wir haben genau beobachtet, woher vor der fatalen ,,Fidelio“-Auf-führung die Pfuirufe und die Pfiffe kamen. — Es geht, unserer Meinung nach, nicht an. hieraus eine Volksabstimmung zu machen urid diese lärmfreudigen Gruppen Jugendlicher als die „Elite des Wiener Musikpublikums“ zu bezeichnen, wie das vor kurzem in einem Wiener Morgenblatt geschehen ist. Sind die Wiener, die etwa mit Vierzig ins Parterre und in die Logen einrücken, plötzlich unmusikalischer und unkritischer geworden als diejenigen, die heute die Galerie bevölkern? — Nein, sie sind nur weniger laut und nicht mehr so impulsiv.

Aber auch damit hat es einen Haken. Denn am 20. Februar hat in einem Espresso auf der Mariahiller Straße eine „Protestversammlung ständiger Opernbesucher“ stattgefunden. Wir wissen nicht, ob dort oder anderswo die Trillerpfeifen verteilt wurden. Aber wir stellen die Frage, ob es Aufgabe der Kunstkritik ist, zur „action directe“ gegen einen Künstler oder gegen ein Institut aufzurufen. Es wurde uns auch berichtet, daß ein Mittagsblatt eine Prämie von 100 Schilling für jede schlechte Nachricht aus der Staatsoper bezahlt. Das wollen wir vorläufig nicht glauben, denn dann wären wir auf einem Tiefstand journalistischer Praktiken angelangt, der kaum noch zu unterbieten ist.

Die Moral von der Geschichte? Wir haben keineswegs den Eindruck, daß sich die Unterrichts-vcrwaltung durch einige Zeitungen und durch die Demonstrationen in der Oper in ihren Verhandlungen mit Dr. Böhm, die bekanntlich zu einem negativen Ergebnis geführt haben, bestimmen ließ. Die Sorge für die künftige Amtsführung, die Unmöglichkeit, Dr. Böhms Gastspielverpflichtungen und die Notwendigkeiten einer geregelten und kontinuierlichen Führung der Direktionsgeschäfte ä la“ longue unter einen Hut zu bringen, waren ausschlaggebend.

Nun ist ein Provisorium geschaffen, bald oder später werden' Verhandlungen mit anderen als Leiter des Hauses “in Betracht kommenden Persönlichkeiten aufgenommen werden. Lloffentlich wird auf diese nicht ebenfalls von vornherein • „scharf geschossen“ (unter dem windigen Vorwand, es' läge den' Angreifern das Wohl der. Staatsoper gar so sehr am Herzen). Kaum war Dr. Böhm erledigt, da forderten zwei Zeitungen von ganz links bereits den Kopf des Nächsten. „Dem Abgang Böhms müssen weitere folgen“ und „Wann geht auch Ministerialrat Marboe?“ rufen zwei Schlagzeilen. Und d a s ist es, dieser Tön in der Wiener Presse, der uns für die notwendige, hoffentlich baldige Konsolidierung der Verhältnisse an der Wiener Staatsoper fürchten läßt.

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