6833501-1974_51_20.jpg
Digital In Arbeit

Hexenjagd?

Werbung
Werbung
Werbung

Lieber Kurt Skalnik!

t

In Deiner Replik auf meinen Artikel „Die Hexenjagd von Prag“, die wir in der Nummer vom 14. Dezember vollständig veröffentlicht haben, fragst Du mich, warum ich denn mit meinem Artikel wieder alte Wunden aufreiße und fragst es mich mit dem alten klassischen Satz „cui bono“. Deine Frage rührt eigentlich an den Sinn jeder Geschichtsschreibung und insbesondere an den Sinn der sogenannten zeitgeschichtlichen Forschung. Jede Geschichtsschreibung hat, nach Ranke, die Aufgabe, zu erforschen, wie es wirklich gewesen ist. Und nach Holzinger ist die Geschichtsschreibung ein Rechenschaftsbericht, den sich eine Generation über ihre Vergangenheit gibt. Natürlich wird Geschichtsschreibung immer wieder alte Wunden aufreißen und insbesondere wird das Zeitgeschichte, da diese sich ja vielfach mit noch lebenden Personen beschäftigen muß. Als der Herold-Verlag vor zwei Jahren ein wissenschaftliches Werk über die österreichische Emigration von 1938 bis 1945 herausgab, sagte eine sozialistische Kritikerin, daß unser Verlag durch die Herausgabe solcher Bücher seinen guten Namen aufs Spiel setze. Was war geschehen? Der Autor, Dr. Franz Goldner, Jude und Sozialist, bis 1938 Rechtsanwalt in Wiener Neustadt und nach dem Anschluß in der Emigration, hatte in seinem Buch auch die Rolle der sozialistischen Politiker im Exil dargestellt und hiebei natürlich erwähnen müssen, daß so manche dieser Politiker bis 1944 auf dem Anschlußgedanken verharrten und daß die Politik dieser exilierten Sozialisten vielfach die Bildung einer österreichischen Exilregierung verhinderte. Diese Darstellung war natürlich so manchem nicht angenehm, aber darf die Zeitgeschichte deshalb an solchen Tatsachen Vorbeigehen? Oder muß sie sie nicht doch behandeln? Auch die sogenannte „Franzei- Affäre“ ist heute bereits Zeitgeschichte. Und erst heute sind wir durch die Enthüllungen Dr. Bittmanns in der Lage, dieses Kapitel Zeitgeschichte richtig darzustellen.

Bei der sogenannten „Franzei- Affäre“ ging es, so merkwürdig es klingen mag — in erster Linie gar nicht um die Person Dr. Franzeis. Wie ich schon oft dargestellt habe, sollte ja damals durch Herausgabe einer mutierten Münchner Ausgabe, in Verbindung mit dem sudetendeutschen katholischen „Volksboten“, die FURCHE auf eine breite, solide Basis gestellt werden, um ihre Existenz zu sichern. Als Herausgeber — nicht als Chefredakteur — sollte eine Persönlichkeit fungieren, die sowohl in Österreich, wie in Süddeutschland zu Hause ist. Der Kreis der hiefür in Frage kommenden Persönlichkeiten war nicht sehr groß. Mit dem Plan war gleichzeitig die Hoffnung verbunden, daß der Einfluß der „Linken“ in der FURCHE, die sich daselbst so munter herumtummeln konnten, daß allgemein von der „linkskatholischen FURCHE“ gesprochen wurde, zurückzudämmen und die FURCHE zum Kurs der Mitte zurückzuführen. Bei Dr. Franzei vermutete man, daß er dies zustande bringen würde und deshalb wurde gegen ihn ein Sturm sondergleichen organisiert. Aber dieser Sturm wäre gegen jeden organisiert worden, von dem man hätte annehmen können, daß er die gleiche Funktion erfüllen könne. Du selbst hast ja einmal gegenüber Dr. Alfred Sturminger, der damals Mitglied unseres Vereines Herold war, angedeutet, daß man nicht nur gegen Doktor Franzei, sondern auch gegen Dr. Anton Böhm, den berühmten Chefredakteur des „Rheinischen Merkur“, werde „Minen springen lassen“. Diese „Minen" wären gegen jedermann, nicht nur gegen Doktor Böhm und Dr. Franzei losgegangen, von deren Berufung man ein Abweichen der FURCHE vom linken Kurs hätte „befürchten“ müssen. Wäre ein Journalist mit Ustascha- Vergangenheit berufen worden — und tatsächlich stand ja mein unvergeßlicher Freund Dr. Renė Marčič, der allerdings eine solche Vergangenheit besaß, einmal an erster Stelle der in Aussicht genom menen — so wäre ein ähnlicher Sturm gegen ihn losgebrochen, wenn nur irgendwelche Anzeichen dafür vorhanden gewesen wären, daß auch er den linken Kurs nicht mitmachen werde. Oder wären katholische Journalisten berufen worden, die eine Abstammung und eine politische Vergangenheit wie etwa Arthur Köstler oder William Schlamm besitzen — man hätte sich nicht gescheut, in Antisemitismus zu machen und auf deren Herkunft von „ganz links“ zu verweisen. Ein ähnlicher Sturm brach ja, wenn auch mit anderen Vorzeichen, gegen mich persönlich los, als ich 1968 die Chefredaktion der FURCHE übernehmen mußte. Da gile Versuche, mich zu einem Nazi zu stempeln, zur Hoffnungslosigkeit verurteilt waren und auch die Hinweise, ich sei „Reaktionär“ und Monarchist, nicht sehr viel Eindruck machten, versuchte man es mit anderen Mitteln: der Journalist, der als neuer Chefredakteur vorgesehen war, legte in allerletzter Minute seine Berufung zurück. Da niemand mehr vorhanden war, sprang ich ein. Die halbe Redaktion kündigte damals und ein ungeheurer Boykott seitens vieler bisheriger Mitarbeiter setzte ein. Das Ziel war klar: entweder hätte man die alte Redaktion zurückrufen müssen, oder — so vermutete man — außer Doktor Otto Habsburg und Dr. Emil Franzei werde sich kein Mitarbeiter finden. Ich fand allerdings welche. Aber es war eine bittere Zeit und nie werde ich in Dankbarkeit jener vergessen, die damals mir zu Hilfe kamen. Unter den Mitteln, mit denen ich unter Druck gesetzt werden sollte, befand sich auch ein Schreiben Dr. Nennings in seiner Eigenschaft als Präsident der Journalistengewerkschaft, mittels welchem er von der Gewerkschaft her dagegen protestierte, daß ich das Amt des Chefredakteurs völlig kostenlos ausübte. Warum protestierte aber Dr. Nenning nicht, als bekannt wurde, daß Monsignore Mauer, ebenfalls völlig kostenlos, die Chefredaktion von „Wort und Wahrheit“ ausübte?

Du siehst also, daß es sich bei der Franzei-Affäre im Kern gar nicht um Dr. Franzei handelte.

Und die Wiedergabe der „belastenden“ Artikel war eine der Waffen, mit denen versucht wurde, das „Abgleiten“ der FURCHE vom Linkskurs zu verhindern.

Was nun diese Dokumente anlangt, die beweisen sollen, ein wie großer Nazi Dr. Franzei doch gewesen sei, so muß ich gestehen, daß ich immer nur Photokopien dieser Artikel zu Gesicht bekam. Ich habe überhaupt noch niemanden getroffen, der die Originale der Zeitungen, in denen diese Artikel abgedruckt waren, gesehen hat. Aber selbst, wenn die Photokopien mit den Originalexemplaren übereinstimmen sollten — ist es sicher, daß Dr. Franzei sie so, wie sie gedruckt wurden, auch geschrieben hat? Er selbst jedenfalls behauptete mir gegenüber, daß er diese Artikel nie so geschrieben habe, sondern daß sie „höhern- orts“ nachträglich umgeschrieben wurden. Du selbst erinnerst Dich doch, wie Dr. Funder unsere Beiträge für die FURCHE umzuschreiben pflegte. Es blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Mein Freund Doktor Georg Zimmer-Lehmann, heute Direktor der CA, äußerte damals einmal, daß für ihn die FURCHE eine Rätselzeitung sei. Er rätsele immer beim Aufschlagen einer neuen Nummer, was aus seinen Artikeln geworden sei. Du könntest höchstens fragen, wie Dr. Franzei es zulassen konnte, daß seine Artikel überhaupt umfrisiert wurden. Aber ich glaube, es hätte sich im Dritten Reich niemand leisten können, gegen das Umschreiben seiner Artikel zu protestieren. Auch wir jungen Journalisten der FURCHE haben bei Dr. Funder nicht gegen das Umschreiben protestiert. Es ist also sogar sehr wahrscheinlich, oder sogar sicher, daß es sich hier um Umstilisierungen sehr krasser Natur handelt, die noch durch nachträgliche Fälschungen verschärft wurden. Dr. Bittmann jedenfalls behauptet, daß Fälschungen vorgenommen wurden und an dieser Behauptung zu zweifeln, besteht kaum eine Möglichkeit. Erwies sich doch die berühmte Loyalitätserklärung Doktör Schuschniggs ebenfalls als eine Fälschung. Die heutige Zeit hat außerdem ein besonderes Raffinement sowohl auf dem Gebiet der Fälschungen ausgebildet, wie auch auf dem Gebiete, Menschen durch psychischen Druck zu zwingen, falsche Geständnisse oder sonstige Dokumente zu verfassen. Fälschungen wurden im Laufe der Weltgeschichte sehr oft vorgenommen: denke nur an die Konstantinische Schenkung, an die pseudoisidorischen Dekreta- len, an die Bulle Papst Sylvesters an den hl. Stephan von Ungarn, die erst vor rund 70 Jahren als Fälschung erkannt wurde, an das Privilegium Malus, an vieles andere. Ein klassisches Beispiel dafür, wie aus einem harmlosen Dokument eine explosive Bombe geschaffen werden kann, ist die berühmte „Emser Depesche“. Ein harmloses Telegramm König Wilhelms I. von Preußen wurde von Bismarck zu einem Dokument der Kriegsdrohung Frankreichs gegen Preußen umgefälscht, das dann wirklich den gewünschten Kriegsausbruch auslöste. Aber ein derartiges Raffinement wie jenes, mit dem heute Dokumente so gefälscht werden können, daß sie absolut echt wirken, und die Art, wie Menschen gezwungen werden können, falsche Geständnisse zu produzieren, hat es wohl noch nie gegeben. Lies doch einmal die Memoiren Mindszėntys und Du wirst sehen, wie Geständnisse zustande kommen, die dann womöglich noch schriftlich niedergelegt werden. Der große Kardinal Trochta, Bischof von Leitme- ritz, erzählte mir einmal in Rom, wie er für seinen Prozeß präpariert wurde. Ostdeutsche und russische Spezialisten bearbeiteten ihn mit Drogen so lange, bis sein Wille völlig gebrochen war. Dann lernten tschechische Spezialisten mit ihm den kommenden Prozeß Wort für Wort auswendig. Natürlich mit dem entsprechenden Schuldbekenntnis am Schluß. Aber in diesem großen Kardinal steckte auch ein kleines Stück Schwejk: er. der sich im NS-KZ eine Zehntelsekunde vor dem Abfeuem der Salve des Erschießungspelotons niederfallen ließ und so nur verwundet, und nicht tot wie seine Kameraden war, der sich dann beim Wegtragen von der Bahre fallen ließ, so daß seine Kameraden die Möglichkeit hatten, ihn zu retten, bemerkte sehr bald, daß die angewandten Drogen dank seiner schweren Zuckerkrankheit nicht wirkten. Aber er lernte zur großen Freude seiner Peiniger den Prozeß brav auswendig, um dann in der Verhandlung das Gegenteil von dem zu sagen, was man ihm eingetrichtert hatte. Was wäre aber gewesen, wenn die Drogen gewirkt hätten? Kardinal Mind- szenty hat kurz vor seiner Verhaftung erklärt, daß man nichts von dem glauben solle, was er in der Haft sagen werde. Ich glaube daher auch nicht an die Dokumente, die man über Dr. Franzei vorgewiesen hat. Und man müßte mir zuerst die Originalmanuskripte zeigen und mir dann auch noch beweisen, daß diese unter normalen Umständen verfaßt wurden, ehe ich an deren Echtheit glatibe.

Und was nun die Erklärung zum Staatsvertrag anlangt, so steht Doktor Franzei damit nicht allein. Viele westliche Politiker und Journalisten teilten seine Meinung. Seine düstere Prognose traf nicht ein. Gott sei Dank. Er hat sich also damals geirrt. Aber welcher Journalist hat sich nicht schon geirrt? Dr. Funder erzählt ein klassisches Beispiel für solchen Irrtum in seinen Memoiren,’ für einen Irrtum, der ihm selber unterlaufen ist.

Ich bin am Ende meiner langen Replik gegen Deine Replik. Meine Darstellung war nicht geschrieben, um Wunden aufzureißen, sondern, um darzustellen, wie es wirklich gewesen ist und welche Hintergründe die sogenannte Franzei-Affäre wirklich hatte. Meine Darstellung sollte aber auch zeigen, wie leicht die Österreicher sich manipulieren lassen. Das Jahr 1938 war ein beredtes Beispiel dafür.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung