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Der Beitrag Amerikas zu den Salzburger Festspielen 1959

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Leonard Bernstein hat das Konzert der New- Yorker Philharmoniker im Rahmen der Salzburger Festspiele geleitet, auf dessen Programm Samuel Barbers Second Essay for Orchestra, Dimitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5, op. 14 und Bernsteins „Age of Anxiety”, seine Symphonie Nr. 2 für Klavier und Orchester, standen.

DIRIGENT UND KOMPONIST

Bernstein ist ein vielseitig begabter Musiker, dem ernste Arbeit und eine Reihe von Zufällen innerhalb weniger Jahre die Anerkennung der Musikwelt und die Berufung zum ständigen Dirigenten der New-Yorker Philharmoniker eingetragen haben. Die Leitung des Orchesters erhielt Bernstein, der zu diesem/ Zeitpunkt erst 39 Jahre war, im Jahre 1957 aus den Händen von Dimitri Mitropoulos, der diesem berühmten Orchester sieben Jahre vorgestanden ist.

Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 in Lawrence im Bundesstaat Massachusetts geboren. Schon während seiner Studienzeit an der Harvard-Universität unter Walter Piston und Edward B. Hill zog Bernstein die Aufmerksamkeit von Mitropoulos auf sich, der ihm riet, sich nach Abschluß seiner musikwissenschaftlichen Studien auf die Laufbahn eines Dirigenten vorzubereiten. Nach seinem Abgang von Harvard besuchte er die Dirigentenklasse von Fritz Rainer am Curtis-Institut in Philadelphia, außerdem studierte er Instrumentierung bei Randall Thompson und Kontrapunkt! bei Richard Stoehr. Isabella Vengerova gab ihm während der gleir chen Periode Klavierunterricht. Ein Stipendium ermöglichte ihm 1940 und 1941 am Tanglewood- Musik-Festival teilzunehmen, wo er in der Dirigentenklasse von Koussewitzky arbeitete, der ihn im folgenden Jahr zu seinem Assistenten machte.

Erfolg und Ruhm kamen zu dem jungen Musiker über Nacht, als im November 1943 Bruno Walter unvermutet erkrankte und Bernstein berufen wurde, die Leitung des Konzertes der New-Yorker Philharmoniker zu übernehmen. Der junge Dirigent hatte knapp 24 Stunden Zeit, sich mit dem Programm vertraut zu machen. Er studierte die Nacht durch und hatte noch kurz Gelegenheit, am Vormittag mit Walter eine Programmbesprechung abzuhalten. Am Abend stand er, ohne eine einzige Orchesterprobe, am Pult in der Carnegie Hall, um ein Konzert vor ausverkauftem Haus zu leiten, das außerdem vom CBS für den Rundfunk übertragen wurde.

Bernstein bestand seine Feuerprobe, und am nächsten Tag brachte die „New York Times” auf der Titelseite die Meldung von seiner sensationellen Leistung. Bernstein war damals knapp über 25 Jahre. Er bewies in den nächsten Monaten, daß sein Anfangserfolg nicht dem Zufall zuzuschreiben war, sondern das Ergebnis intensiver Arbeit darstellte.

Von 1944 bis 1946 leitete Bernstein als Nachfolger Stokowskis das später aufgelöste New-York-City-Symphonie-Orchester und in den folgenden Jahren war er als Gastdirigent fast aller namhaften amerikanischen Orchester tätig und leitete wiederholt prominente Orchester in Europa. Diese Gastspielreisen führten ihn auch nach Oesterreich. An der Scala in Mailand war er der erste Amerikaner, der eine Opernaufführung dirigierte, es war dies in der Saison 1953 Cherubinis „Medea” mit Maria Meneghini- Callas.

Bernstein beschränkte sich jedoch nicht nur auf seine Dirigentenlaufbahn. Ein Jahr nach seinem sensationellen New-Yorker Debüt schrieb er 1944 sein erstes Ballettwerk „Fancy Free”, das Jerome Robbins choreographierte, und sein erstes Musical „On the Town”, das in New York am Broadway mit großem Erfolg aufgeführt wurde und dem Autor den Preis der Musikkritiker eintrug. Unmittelbar darauf folgte seine erste Svmphonie „Jeremias”, die unter seiner Leitung vom Pittsburgher Symphonieorchester uraufgeführt wurde und mit dem New-Yorker Kritiker- preis ausgezeichnet wurde. Es folgte bald seine 2. Symphonie „Age of Anxiety”, eine Kurzoper und seine Serenade für Streicher und Schlagwerk.

Im Jahre 1953 konnte sich Bernstein neuerlich bei der Premiere eines Musicals „Wonderful Town”, das auch in Wien an der Volksoper lief, vor dem begeisterten Publikum verbeugen. Es hatte ein und ein halbes Jahr Laufzeit am Broadway. Sein dritter Musicalerfolg kam mit seiner „West Side Story”, die das Romeo-und- Julia-Motiv im Gangstermilieu zum Inhalt hat und derzeit auch in London Triumphe feiert.

Bernstein ist jedoch nicht nur ein fähiger Dirigent und einfallsreicher Komponist, sondern auch ein Pianist von Format. Er hat wiederholt den Solopart in zahlreichen Klavierkonzerten der Weltliteratur übernommen, wobei er das Orchester vom Klavier aus leitete. Im Fernsehen machte er sich einen Namen als Interpret der Musikgeschichte von Haendel bis zum Jazz. Diese Sendungen wurden zum Teil in Form von Langspielplatten bei Columbia Records herausgebracht. Außerdem fand er noch Zeit, an der New-Yorker Brandeis-Universität musikwissenschaftliche Vorlesungen zu halten.

In der Geschichte der New-Yorker Philharmoniker ist Bernstein der zweitjüngste Orchesterleiter. Er dirigiert meist ohne Stab und versteht es, mit seiner dynamischen Persönlichkeit das Orchester mitzureißen. Darüber hinaus besitzt er das Können und die Energie, um an die Dirigententradition seiner Vorgänger wie Mengelberg, Toscanini und Mitropoulos anzuschließen. In die Aera Bernsteins wird noch ein für das Orchester bedeutsames Ereignis fallen: Die Uebersiedlung von seinem alten Stammhaus, der Carnegie Hall, in das neue Zentrum der Künste in New York: das Lincoln Center, dessen Konzerthalle mit einer Kapazität von 2400 Sitzplätzen zum neuen Heim der New-Yorker Philharmoniker werden wird.

DAS ORCHESTER

Die New-Yorker Philharmoniker nehmen in der Reihe der international bekannten amerikanischen Orchester eine Sonderstellung ein. Nicht nur, weil sie mit zu den ältesten Orchestern der Welt gehören (sie sind nur um wenige Monate jünger als die Wiener Philharmoniker), sondern, weil sie durch eine Reihe ausgezeichneter Dirigenten zu einem Ensemble von einmaliger Qualität geformt wurden.

Es war am 2. April 1842, als sich eine Gruppe von Musikern am Broadway einfand, um über die „Durchführbarkeit der Gründung einer Gesellschaft von Berufsmusikern” zu beraten, die ihren Sitz in der Stadt New York haben und deren Aufgabe die Pflege der Instrumentalmusik sein sollte. Außerdem setzten sich die Musiker das Ziel, alljährlich eine bestimmte Anzahl von Konzerten zu geben, deren Niveau wesentlich das anderer Darbietungen übersteigen sollte.

Mit dieser Musikerzusammenkunft war der Grundstein zur New-Yorker Philharmonischen Gesellschaft gelegt, die ohne Unterbrechung bis zum heutigen Tag besteht. Ihr Mitbegründer, erster Präsident und Dirigent war Ureli Corelli Hill, der das erste Konzert am 7. Dezember 1842 leitete. Dieses Ereignis fiel nur wenige Monate nach dem ersten Auftreten der Wiener Philharmoniker.

Seit ihrer Gründung haben die New-Yorker Philharmoniker wirtschaftlichen Wohlstand und Krisenperioden, sechs Kriege und das Auf und Ab der Geschichte mitgemacht, aber nur einmal, anläßlich der Ermordung Präsident Lincolns, wurde ein Konzert verschoben und ein anderes Mal, infolge des Todes von Präsident F. D. Roosevelt, ein Konzert abgesagt.

Während der 117 Jahre ihres Bestehens gaben sie in zehn verschiedenen Sälen ihre Konzerte, bis sie schließlich 1892 in die neu eröffnete Carnegie Hall einzogen, die heute noch ihr künstlerisches Heim ist. Im Jahre 1961 werden sie in die neue Konzerthalle des Lincoln Centers übersiedeln.

Die New-Yorker Philharmoniker sind heute wohl der beste und präziseste Klangkörper Amerikas. Diese Weltgeltung kam nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis der nimmermüden Arbeit von Generationen berühmter Komponisten und Dirigenten. Richard Strauss, Felix Weingartner, Gustav Mahler, Igor Strawinsky und Ottorino Respighi dirigierten die Aufführungen eigener Werke durch das Orchester. Darius Milhaud, Virgil Thomson, Heitor Villa-Lobos leiteten es als Vertreter der zeitgenössischen Musik. Stokowski, Furtwängler, Toscanini und Bruno Walter zählten zu seinen großen Erziehern, während Clemens Krauß, Otto Klemperer, Artur Rodzinski, John Barbirolli, Charles Munch, Eugene Ormandy und viele andere wiederholt an seiner Spitze standen. Dimitri Mitropoulos war sieben Jahre lang sein ständiger Dirigent und hat das Orchester wiederholt auf Weltreisen von Triumph zu Triumpji geführt. Aus seinen .Eländen über- nahm das verantwortungsvolle Amt Leonard Bernstein in der Saison 195 8/59.

Das Orchester sparte nicht mit seinem Dank an die Großen der Musik. Die Ehrenmitglieder, die es aus diesem Grund aufgenommen hat, sind zahlreich. Zu diesen zählen Spohr, Wagner, Mendelssohn, Liszt, Raff, Rubinstein und Dvorak, aber auch große Sängerinnen, wie Jenny Lind, Henriette Sontag und Marietta Alboni.

Lange, ehe die Vereinten Nationen ihr Hauptquartier in New York errichteten, besaß die Stadt in ihrem Philharmonischen Orchester eine Art Vereinte Nationen. Das berühmte Ensemble besteht zu mehr als einem Drittel aus Musikern, die nicht in den USA geboren wurden. Sie kommen aus allen Teilen Europas und nehmen bald die Lebensweise ihrer amerikanischen Kollegen an. Seit seiner Gründung hat das Orchester nicht nur Musikgeschichte erlebt, sondern, wie zahlreiche Dokumente beweisen, auch gemacht.

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