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Hindemith-Requiem, Halle-Orchester

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Den Zyklus „Meisterwerke des Jahrhunderts" der Konzerthausgesellschaft, gemeinsam mit dem österreichischen Rundfunk, eröffne- ten die Agramer Philharmoniker mit Milan Horvat am Pult. Als erste Programmnummer das Konzert für Bratsche und Orchester von Bäla Bärtok zu wählen, erscheint fast kühn, erwies sich aber als durchschlagender Erfolg sowohl des Orchesters als auch des Solisten Ron Golan, der im Mittelsatz wunderbar zarte Stimmung vermittelte, in dein Ecksätzen dagegen die eruptive Kraft in fast selbstverständlichem Impuls austönte. Die Ausgewogenheit mit dem Orchester stellte der Dirigent mit souveräner Sicherheit her. Nach der Pause folgte Paul Hindemiths Requiem „Für die, die wir lieben“ für Alt, Bariton, Chor und Orchester, zu einem Text von Walt Whitman. Dieses große lyrische Oratorium tönt aus einer innerlichen Stille und entbehrt daher der großen dramatischen Spannungen, Sehr richtig weist Rudolf Klein im Programmheft auf den amerikanischen „Impressionismus“ Hindemiths hin. Bleibt die Schönheit und fast altmeisterliche Gekonntheit der Musik, die mit einer einzigen großen Fuge auskommt, dafür aber Strophenformen, Refrains und ähnliches verwendet und tonale Härten fast ganz vermeidet.

Die Solopartien sangen mit hoher Ausdruckskunst Lucretia West und Vladimir Ruidjak. Abgetönt und verhalten, aber auch wie eine volle Orgel tönend, löste der Chor der Wiener Singakademie seine prekäre Aufgabe. Die klare Zeichengebung des Dirigenten hatte es nicht schwer, seine Intentionen bei Chor und Orchester überzeugend durchzusetzen.

Nicht allzu erfreulich war die Begegnung mit Dimitrij Baschkirow, dem Solisten in Mozarts c-Moll- Klavierkonzert (K. V. 491) im Musikvereinszyklus „Die große Symphonie": Die klassisch-romantische Mischung seines Interpretationsstils, aber auch häufig unpräzise Tempi, etwas beiläufig ausgeführte rasche Passagen und kalt glitzernde Kantile- nen ließen jede intimere Note vermissen. Poesiegetränkt, voll minuziös herausgearbeiteter dramatischer und lyrischer Details geriet Dvofäks Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Carl Melles führte die Symphoniker lmpetuos, auf saubere Proportionen und ausgewogene Kontraste bedacht. Debussys „Prelude ä l’apres-midi d’un faune" lag ihm offenbar besonders am Herzen. Wir haben das Werk in Wien schon lange nicht so subtil in den Nuancen, so glühend in den Höhepunkten erlebt.

Das HalU Orchestra Manchester war das erste ausländische Ensemble, das — am 5. Juni 1948 — nach dem zweiten Weltkrieg in Wien gastierte. Es wurde bereits 1850 von dem aus Deutschland stammenden Karl Halle übernommen, der seit 1857 die ersten Abonnementkonzerte in Manchester veranstaltete. Einer seiner Dirigenten war Hans Richter, seit 1943 wird es von Sir John geleitet, der als Giovanni Battista Barbirolli 1899 in London geboren und dort, zunächst als Solocellist, ausgebildet wurde. — Am vergangenen Samstag und Sonntag gab das Hallä Orchestra unter seinem ständigen Leiter zwei Konzerte. Dem Brio der Italienischen Symphonie von Mendelssohn schien es nicht ganz gewachsen, bei der Interpretation von Ravels 2. Suite aus „Daphnis und Chloe“, die Stra- winsky nicht nur als eines der besten Werke Ravels, sondern auch als eine der schönsten Schöpfungen der französischen Musik bezeichnet hat, vermißten wir ein wenig den orphischen Zauber, durch den Ravels Partitur erst zu jenem Wunderwerk wird, das man nicht aufhören kann, zu bestaunen. — Die IV. Symphonie von Tschaikowsky haben wir schon effektvoller und intensiver gehört, aber gerade das Maß, das sich Dirigent und Orchester auferlegten, sprach für sie und ihre Interpretation. — In allen Werken war die Qualität des Orchesters aus Manchester zu konstatieren: es besitzt unfehlbare Hörner (deren Ton freilich weniger voluminös ist als der der unseren), eine süße Oboe, ein recht präzis spielendes Streichercorps und temperamentvolle Kontrabässe. (Der Soloflötist ist allerdings kein Wanau- sek.) In dem großen Orchester, das zusammen mit seinem Leiter überaus herzlich begrüßt und nach jedem Stück lebhaft gefeiert wurde, sitzen auch etwa 20 Damen. Vielleicht hat sich die Tatsache, daß das Hall£- Orchester seit 100 Jahren von nur vier ständigen Dirigenten betreut wurde, positiv auf die Solidität, aber eher negativ auf die Spontaneität und Intensität des Musizierens ausgewirkt.

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