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Absage an links

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Die Wahlnacht ist vorüber. Neue Probleme sind — überraschend schnell — aufgetaucht und haben die Frage nach dem Warum in den Hintergrund treten lassen. Wird Bundespräsident Scheel den Hamburger oder den Pfälzer Helmut mit der Regierungsbildung beauftragen? Jenen, der sich trotz Verlusten auf eine — angeblich — sichere Koalitionsbasis stützen kann, oder jenen, der sich mit Recht als Sieger fühlt? Werden Abtrünnige diese Koalitionsbasis erschüttern? Werden die Freidemokraten über vier Jahre dieser Koalition erhalten bleiben? Dies alles beschäftigt die Auguren, kaum mehr die Frage, ob eine Tendenzwende oder ob nur Abnützungserscheinungen nach Stockholm auch Bonn erschüttert haben.

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Die Wahlnacht ist vorüber. Neue Probleme sind — überraschend schnell — aufgetaucht und haben die Frage nach dem Warum in den Hintergrund treten lassen. Wird Bundespräsident Scheel den Hamburger oder den Pfälzer Helmut mit der Regierungsbildung beauftragen? Jenen, der sich trotz Verlusten auf eine — angeblich — sichere Koalitionsbasis stützen kann, oder jenen, der sich mit Recht als Sieger fühlt? Werden Abtrünnige diese Koalitionsbasis erschüttern? Werden die Freidemokraten über vier Jahre dieser Koalition erhalten bleiben? Dies alles beschäftigt die Auguren, kaum mehr die Frage, ob eine Tendenzwende oder ob nur Abnützungserscheinungen nach Stockholm auch Bonn erschüttert haben.

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In der WaMnacht waren sich die Kommentatoren noch weitgehend einig, daß hier ein Zug zur Mitte unverkennbar war. Die Extremen auf der Linken wie auf der Rechten sind atomisiert worden, Bruchteile von Prozenten blieben für sie übrig. Ihre Zeit ist vorbei Zum mindesten im Herzen Buropas.

Nun hatte das, was in der Bundesrepublik am rechten politischen Flügel angesiedelt ist, schon seit einiger Zeit Franz Josef Strauß aufgesogen und damit außer Gefecht gesetzt, ohne damit seiner CSU — was man auf der Linken so gerne gehabt hätte — die Punze des Rechtsextremismus aufzudrücken. Wenn Schmidt seinen Diskussionsgegnern in der Vorwoche vorwarf, sich im Schatten der alten Deutschnationalen angesiedelt zu haben, geht dies an der Tatsache vorbei, daß der Deutschnationalismus der Weimarer Republik mit all seinen mitunter schizophrenen Erscheinungen und Entscheidunigen eben ein Produkt seiner Zeit war und heute keine Voraussetzungen mehr findet. Nicht einmal die Verbände der Heimatvertriebenen pflegen heute mehr jenen Kaiser- und Reich-Mythos, der einst zur haßerfüllten Ablehnung der Republik und zur Schützenhilfe für den National-Sozialismus geführt hat.

Anders auf der Linken. Dort war nach einer lebhaften Entwicklung einer immer mehr verbürgerlichen-den Sozialdemokratie der linke Flügel geistig und politisch immer stärker geworden, jene Kräfte drangen vor, die ihre Tradition bewußt nicht mehr auf die Evolutionäre der Jahrhundertwende, sondern auf die Altväter des Sozialismus, Marx und Engels, zurückführten und auch Liebknecht und Rosa Luxemburg zu ihren Ahnen zählten. Ihr Marsch durch die Institutionen machte sich bald vor allem in jenen Bereichen bemerkbar, wo die weniger ideologisch als pragmatisch denkenden Menschen allergisch reagieren — im Schulwesen, auf den Hochschulen. Vorstöße in anderen Bereichen kamen hinzu; auch wenn sie noch nicht zum Tragen kamen, sie ließen den Topf doch überkochen.

Und damit bekam der Slogan „Freiheit oder Sozialismus?“ seinen harten Kern. Natürlich war er in dieser Vereinfachung demagogisch — wo aber enthielte sich je ein Wahlkampf billiger Demagogie? Er baute bewußt auf der Tatsache auf, daß die Staaten des europäischen Ostens, die Länder unter kommunistischen Diktaturen, sich stets nur als „Sozialistisches Lager“ bezeichnen, nie als „kommunistisch“. Mögen sie dafür auch ihre Erklärung bereit haben, daß sie den erstrebten Zustand des Kommunismus noch nicht erreicht haben — für den westeuropäischen Demokraten wird damit Sozialismus mit Unfreiheit, mit Einparteienherrschaft, mit Verfolgung, mit Mauer assoziiert, auch wenn sich die im Westen unter der Marke „sozialistisch“ laufenden Parteien glaubhaft von diesem System distanzieren. Haben sie sich aber auch vom Mißbrauch ihrer Firmenmarke distanziert? Und von jenen ihrer Genossen, die dieser Firmenmarke auch im Westen zwar nicht die Erscheinungsformen des Ostens, aber doch deren geistigen Gehalt, deren ideologische Ausrichtung geben wollen?

Strauß skizzierte in seinen Wahlreden die Entwicklung von der Sozialdemokratie über einen (demokratischen) Sozialismus bis zum kommunistischen „Sozialismus“ des Ostens — auch das eine Vereinfachung, durch den Wahlkampf bedingt. Aber hätte er mit ihr solchen Erfolg gehabt, wenn nicht auch im Wahlbürger das Mißtrauen, das Unbehagen gegen die Entwicklung auf dem linken Flügel der Regierungspartei längst virulent geworden wäre? Noch konnte ein Pragmatiker v/ie Helmut Schmidt, bewußt sich absetzend gegenüber seinem Vorgänger, den Dammbruch verhindern. Die Meinungen waren wohl einheitlich, daß eine Wahl unter einem Kanzlerkandidaten Willy Brandt den Zug zur CDU noch deutlicher hätte ausfallen lassen.

Noch dürfte mehr das unbewußte Unbehagen, nicht die klare Entscheidung zwischen zwei Welten den Ausschlag gegeben haben. Aber gerade dieser so zwiespältige Slogan hat zweifellos die Menschen aufgescheucht, hat sie empfindlich gemacht und wird diese Wirkung, auch ohne immer wieder von neuem getrommelt zu werden, beibehalten. Die Menschen in der Bundesrepublik werden einer neuen rot-blauen Koalition gegenüber hellhöriger werden,, sie werden noch genauer aufpassen, wo zwischen den Versicherungen der Spitzenfunktionäre und den Handlungen der linken Basis die tiefe Kluft droht.

Entwicklungen wie in Schweden und in Deutschland können nicht auf ihre Ursprungsländer beschränkt bleiben. Um so weniger dann, wenn die führenden Kräfte dieser Länder mit ihren Freunden in den Nachbarländern stets einen über das Persönliche hinausgehenden Kontakt gepflegt haben. Österreichs Bundeskanzler ist der letzte der Troika Palme-Brandt-Kreisky, der noch in Amt und Würden ist, allerdings auch der einzige der drei, der sich von Anfang an und eindeutig gegen die Eskapaden des linken Flügels gewehrt hait. Liegt hier der Grund, daß die Abnützungserscheinungen in der österreichischen Sozialdemokratie noch nicht so groß sind wie bei den andern? Aber auch hier will die Basis nicht immer so, wie die Spitze die Richtung angibt.

Auch für Österreich gibt der Wahlausgang in Schweden wie in Deutschland das Zeichen dafür, daß es Zeit ist, sich über die geistigen Grundlagen unseres Staates, der Politik, des Zusammenlebens aller Bürger, Klarheit zu verschaffen. Noch ist die Ideologiediskussion ein Schlagwort, mit dem nur wenige etwas anzufangen wissen. Die Grundlagen des Gemeinwohls, die geistige Ausrichtung aber geht alle an.

Wollen wir, will eine Mehrheit in unserm Volk die bisher weitgehend von allen akzeptierte christlich-humanistische Grundlage über Bord werfen? Soll sie durch eine neue — eine sozialistische, welche sozialistische? — ersetzt werden? Wo liegen die grundlegenden Unterschiede zwischen diesen Alternativen? Wohin reichen die geistigen Wurzeln der politischen Konzepte, der Gesetzesmaterien, mit denen der Bürger heute konfrontiert wird?

Vielleicht ist es besser, mit dieser Analyse, mit dieser Diskussion anzufangen, bevor ein Wahlkampf zwangsläufig zur Demagogie führt, bevor das Unbehagen, der Überdruß an Symptomen überhand nimmt und eine echte geistige Auseinanderset-gung unmöglich macht.

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